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# taz.de -- Neue Weihnachtsbräuche: Die Tor macht weit
> Viele schmücken ihren Weihnachtsbaum heute schon Wochen vor dem Fest.
> Weihnachten und Advent werden damit viel erträglicher.
Bild: Früher war mehr Lametta
„Vorweihnachts-Trend: Christbaum schon im Advent“, liest man in diesen
Tagen [1][zum Beispiel auf der Website des Bayerischen Rundfunks]; und wenn
man Muße hätte, würden sich gewiss noch mehr Artikel finden, die
konstatieren, dass sich gerade ein althergebrachter Weihnachtsbrauch
verändert. Aber Muße haben wir ja gerade eben nicht, weil, um Karl Valentin
zu paraphrasieren, es ruhiger traditionell erst wieder dann wird, wenn die
stille Zeit vorüber ist.
Früher war [2][der Weihnachtsbaum] das Arkanum, das große Geheimnis. Am 23.
Dezember spätestens wurde die Türe zum Wohnzimmer verschlossen, was bei
beengten Wohnverhältnissen bedeutete, dass sich die Gesamtfamilie schon mal
so richtig gemütlich nahe kam. Entsprechender Aggressionen wurde sich mit
der Übergabe von Mütze, Handschuhen, Schal, Jacke entledigt und man selbst
vor die Tür gesetzt. Gar nicht so selten lag dann draußen sogar Schnee und
man traf andere Kinder – so lang ist das her!
Die Mutter war derweil damit beschäftigt, den Baum zu schmücken. Das
Christkind würde pünktlich am 24.12. die Geschenke drunterlegen, den
Weihnachtsmann gab es noch nicht, beziehungsweise war der als Team Nikolaus
und Ruprecht schon am 6. Dezember dagewesen. Die Mutter schaffte es
irgendwie neben der Wohnzimmerumgestaltung eine Gans oder ein Fleischfondue
und eben das andere Bisschen vorzubereiten, was niemanden störte oder
wunderte – zum Normalitätsbegriff lesen Sie bitte [3][die Kolumne des
Kollegen Volkan Ağar].
Am Ende wird gesaugt
Der Weihnachtstag selber begann dann als Kind regelmäßig mit Schmerzen. Die
Aufregungsorgie hatte dafür gesorgt, dass der Hals schiefstand, man bekam
Wickel mit heißem Kartoffelsalat zubereitet – wozu war eine Mutter
schließlich da –, und dann war es endlich soweit: Der Baum eröffnete sich
in seiner vollen Pracht, und das Leben der Kinder spielte sich in den
nächsten Tagen fast ausschließlich in seinem Schatten ab, bis er dann seine
Schuldigkeit getan hatte [4][und reichlich nadelnd] und mit Gejohle am Tag
nach Heilig Dreikönig vom Wohnblockbalkon geworfen wurde. Anschließend
musste die Mutter nur noch saugen – und dann war Weihnacht wirklich mal
wieder vorbei.
Soweit zur wunderschönen Tradition, deren sentimentale Beschwörung – Sie
haben es vielleicht gemerkt – hier durchaus auch mit ein paar kritischen
Streuseln angereichert worden ist. Wenn ich heute meine Mutter anrufe und
ihr sage, dass wir den Baum schon gekauft und aufgestellt haben, stutzt sie
erst, findet aber dann die Sache sehr vernünftig.
Die Schmuddelwochen bis zum Fest macht der frühe Baum erträglicher,
schmücken tun ihn unter Anleitung die Kinder, was der Spannung und
Vorfreude auf den Weihnachtabend nicht merklich schadet, sondern die ganze
Sache humanisiert. Wie lang der Baum stehen darf, entscheidet er letztlich
selber: Bleibt er bis über Silvester hinaus ansehnlich, dann mag er bis zum
Traditionstag bleiben, sonst wird auch er aus dem Fenster geworfen und zur
Jahresendparty hat es sich dann endlich ausbesinnlicht und Weihnachten ist
mal wieder vorbei.
Sorgen, dass mit einem solchen Vorgehen der Adventszeit der christliche
Fastencharakter genommen werde, macht man sich ernsthaft selbst beim
Bayerischen Rundfunk nicht mehr. Weihnachten ist heutzutage schließlich für
alle da. Und wer sich fragt, ob es an dieser Stelle nicht Wichtigeres zu
erörtern gegeben hätte, der darf vielleicht umgekehrt daran denken, was
hier glücklicherweise einmal nicht erörtert wird: zum Beispiel, [5][ob man
sich und seine Kinder nun zum Schutz vor einer tödlichen Pandemie impfen
lassen soll oder nicht]. Oder wie meine Mutter es gerade einer sie zur
besinnlichen Adventszeit besuchen wollenden Verwandten sagte, die den
Impfschutz verweigert: „Da musst du dir dann leider wen anders zum Besuchen
suchen.“
16 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.br.de/nachrichten/bayern/vorweihnachts-trend-christbaum-schon-i…
[2] /Nachhaltige-Weihnachtsbaeume/!5821384
[3] /Der-Begriff-Normalitaet/!5818800
[4] /Test-zu-Pestiziden-in-Weihnachtsbaeumen/!5739679
[5] /Corona-Impfung-fuer-5--bis-11-Jaehrige/!5819227
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Weihnachten
Advent
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Kolumne Poetical Correctness
Kindererziehung
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