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# taz.de -- Türkei tritt Pariser Klimaabkommen bei: Blockade aufgelöst
> Als letztes G20-Land hat die Türkei das Pariser Klimaabkommen
> unterzeichnet. Im Gegenzug bekommt sie günstige Kredite.
Bild: Auch in Istanbul gilt jetzt das Pariser Klimaabkommen
Glasgow taz | Bei der [1][UN-Klimakonferenz in Glasgow] wurde ein alter
Stolperstein endlich ausgeräumt: die Ansprüche der Türkei. Denn die
„türkische Frage“ hatte viele COPs in letzter Minute verzögert, das Paris…
Abkommen 2015 sogar ganz zum Schluss noch wackeln lassen und für Aufregung
bei den VerhandlerInnen gesorgt. Das wurde nun mit viel Geld und Diplomatie
hinter den Kulissen geklärt.
Das Problem: Bei den Verhandlungen zur UN-Klimarahmenkonvention 1992 war
die Türkei als OECD-Mitglied in die Gruppe der Industrieländer eingestuft
worden – im UN-Jargon ein sogenanntes „Annex I“-Land. Nur diese Länder m…
einer historischen CO2-Schuld hatten unter dem Kyoto-Protokoll von 1997
Verpflichtungen zur Reduktion von Treibhausgasen. Die Türkei, damals ein
aufstrebendes Schwellenland, wollte im Club der Reichen mitspielen – und
hatte mit gut 3 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf deutlich weniger als der
OECD-Durchschnitt von 11 Tonnen.
Seit 1990 legte die Türkei allerdings kräftig zu, die absoluten Emissionen
kletterten bis heute auf mehr als das Doppelte, weil das Land auf die Kohle
setzte. Das Kyoto-Protokoll wurde zwar 2009 vom Parlament angenommen, aber
die Emissionen nicht reduziert. „Das Protokoll wurde einfach ignoriert“,
wie ein türkischer Experte schrieb. Allerdings merkte die Regierung: Als
Industrieland war die Türkei nicht berechtigt, auf die Finanztöpfe der
internationalen Gemeinschaft zum Klimaschutz zuzugreifen – etwa den „Green
Climate Fund“, der bislang alle paar Jahre etwa 10 Milliarden Dollar für
Projekte in armen Ländern verteilt. Dieses Geld wollte Ankara seit den
2010er Jahren haben, für Großmachtpläne und eine schwächelnde Wirtschaft.
Deshalb forderte die Türkei seit Jahren eine Neufassung der
Klimarahmenkonvention: Bei der „Annex I“-Liste sei die Türkei zu streichen.
Die Argumente: Andere Länder wie Indien, China oder Chile mit weitaus
höheren Emissionen seien nicht über den Annex I verpflichtet. Die Türkei
trage auch anders als die klassischen Industriestaaten kaum historische
Verantwortung für die Klimakrise. Das Land könne seinen Beitrag zum
Klimaschutz am besten liefern, wenn es „besseren Zugang zu Klimafinanzen,
Technologietransfer und Kapazitätsbildung“ habe, wie es im offiziellen
Antrag heißt. Außerdem gelte es bei anderen Institutionen wie der Weltbank
als Entwicklungsland.
## 3,5 Milliarden Dollar an günstigen Krediten
Doch der Weg von Annex I zu Non-Annex I, also vom potenziell reichen zum
eher armen Land, war versperrt. Die UN-Staaten fürchteten: Wenn diese
Aufteilung erst einmal kippelt, kommen schnell andere Fragen: Was ist mit
Ländern wie China, Korea, Mexiko oder Brasilien, Welt- und Regionalmächte
mit inzwischen viel Kapital und Macht – können sie sich noch zumindest
indirekt als „arme Entwicklungsländer“ bezeichnen?
Das Problem: Die Türkei, inzwischen vor Italien und Frankreich der weltweit
sechzehntgrößte CO2-Emittent, hatte das [2][Pariser Abkommen] nicht
unterzeichnet. Die türkische Kuh musste also irgendwie vom Eis, möglichst
bevor in Glasgow die letzten Regeln des Pariser Abkommens festgeklopft
wurden. Und so schmiedeten Deutschland, Frankreich und die Weltbank einen
Plan: Sie stellten Ankara einen Topf über 3,5 Milliarden Dollar an
günstigen Krediten in Aussicht – also keine Änderung des Rechtsstatus, aber
Geld für Klimaschutzprojekte –, etwa so viel, wie die Türkei aus dem
Green-Climate-Fund in zehn Jahren erwarten dürfte.
Der Deal war bereits 2019 zur COP25 in Madrid fertig – doch der türkische
Präsident Recep Tayyip Erdoğan lehnte in letzter Minute ab. Erst im
Frühjahr 2021 nahmen die Gespräche wieder Fahrt auf. Ankara signalisierte
Zustimmung zu dem Paket, von dem mehr als 2 Milliarden Dollar die Weltbank
finanziert. Deutschland ist mit knapp 300 Millionen im Boot, trug aber die
Hauptlast der diplomatischen Verständigung.
## Kanzlerin springt in die Bresche
Alles war fertig, da tauchte in Deutschland ein neues Problem auf: Anders
als noch 2019 durfte die Staatsbank KfW plötzlich keine Kredite mehr an die
[3][Türkei] vergeben, weil deren Kreditwürdigkeit abgestürzt war. Die
Bundesregierung umschiffte diese Klippe mit einem „ungebundenen
Finanzkredit“, den nur die Kanzlerin selbst vergeben kann, wenn ein
überragendes Interesse Deutschlands daran besteht. Das besprach Angela
Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch bei Erdoğan Mitte Oktober. Das letzte
G20-Land an Bord des Pariser Abkommens zu bekommen war der Regierung diesen
ungewöhnlichen Weg wert.
Damit war der Weg frei. Erdoğan hatte sogar schon Mitte September auf der
UN-Generalversammlung erklärt, die Türkei werde nun als letztes G20-Land
das Pariser Abkommen unterzeichnen. Der Deal blieb bestehen. Und in Glasgow
zeigte sich die Türkei dann im Plenum bemerkenswert kooperativ.
29 Nov 2021
## LINKS
[1] /Folgen-der-Klimakonferenz-von-Glasgow/!5814260
[2] /5-Jahre-Pariser-Klimaschutzabkommen/!5734348
[3] /Demonstrationen-in-der-Tuerkei/!5817882
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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