Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klimakrise in der Türkei: Schlamm statt Seen
> Seit Jahren hat es in der Türkei zu wenig geregnet. Die Landwirtschaft
> beutet Flüsse und Grundwasser aus. Darunter leiden die Ernten.
Bild: Bedrohtes Vogel-Paradies: Bafa-See in der Türkei
Istanbul taz | Der Bafa-See, einst einer der schönsten Seen der
[1][Türkei], bietet derzeit ein trauriges Bild: Wo einst türkisblaue Wellen
ans Ufer plätscherten, ist nun grau-brauner Schlamm. Über 200
unterschiedliche Vogelarten lebten rund um den See, jetzt finden sie kaum
noch Nahrung – und verschwinden nach und nach. Kleine Fischerboote
verrotten dort, wo früher das Ufer war. Fatih Yavas, der einst hier vom
Fischen lebte, hat keine Hoffnung mehr: „Das Wasser kommt nicht mehr
zurück“, sagte er zur Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi. „Unmöglich, hier
zu leben.“
Der See im Hinterland der Ägäisküste war vor knapp 2000 Jahren noch eine
Meeresbucht nahe der antiken griechischen Stadt Milet. Durch stetige
Sedimentablagerung des Menderes-Flusses verlandete das Delta, ab dem
vierten Jahrhundert wurde der ehemalige Meeresarm ein See. Auch vom
einstigen großen Fluss ist kaum noch etwas übrig. „In diesem Jahr hat der
Menderes überhaupt kein Wasser mehr“, sagt der Bürgermeister des nahe
gelegenen Orts Sercin. „Deshalb ist auch im Bafa-See kaum noch Wasser.“
Das Gebiet um den See war nicht nur für Vögel ein Paradies. Zu
byzantinischen Zeiten war das am See gelegene Latmos-Gebirge auch
Rückzugsort für Mönche. Etliche Klosterruinen liegen hier in versteckten
Tälern, in Höhlen finden sich Bilder aus christlicher Zeit. Der See und
seine Umgebung waren ein beliebtes touristisches Ziel.
Das alles ist jetzt in Gefahr. Der Bafa-See ist kein Einzelfall. Vielen
Gewässern in der Türkei droht ein ähnliches Schicksal. Auch die großen Seen
im Taurus-Gebirge oberhalb der Touristenmetropole Antalya verlieren ständig
Wasser. Einige Schiffsanleger stehen bereits auf dem Trockenen. Dramatisch
ist es am Tuz-Gölü, dem zweitgrößten See der Türkei. Unlängst schlug die
Hydrologin Muazzez Celik Karakaya von der Universität Konya Alarm. Der See
mit einst 1.660 Quadratkilometern sei in den vergangenen Jahrzehnten um 30
Prozent geschrumpft. „Wenn jetzt nichts getan wird“, sagt sie, „werden wir
ihn komplett verlieren.“ Der Tuz-Gölü ist sehr salzhaltig. Aus den Salinen
an seinen Ufern hat die Türkei bislang 50 Prozent ihres Salzbedarfs
gedeckt. Hunderttausende Flamingos nisteten hier früher, aber die Vögel
finden wegen des Wasserverlusts derzeit kaum noch Nahrung.
Die Seen leiden unter zu wenig Regen [2][infolge des Klimawandels] und
wegen der Übernutzung der Flüsse und des Grundwassers durch die
Landwirtschaft. In der Türkei hat es drei Jahre kaum geregnet. Laut dem
staatlichen Meteorologischen Institut gab es landesweit von Oktober 2020
bis Ende September 2021 19 Prozent weniger Niederschläge als im Vorjahr,
die geringste Menge seit 20 Jahren. Besonders der Südosten entlang der
syrischen und irakischen Grenze leidet. Auch deshalb pumpen die
Agrarbetriebe immer mehr Grundwasser auf ihre Felder und zweigen das wenige
Wasser aus den Flüssen ab. Der Grundwasserspiegel fällt, die Bohrrohre
müssen immer weiter in die Tiefe getrieben werden. Darunter leiden die
Ernten. Dies geschieht bereits in der Umgebung des Tuz-Gölü in der Region
um Konya, einst die Kornkammer der Türkei.
## Pariser Klimaabkommen jetzt erst ratifiziert
Auch wegen dieser dramatischen Entwicklung ratifizierte die türkische
Regierung nach jahrelangem Zögern kurz vor Beginn der Klimakonferenz in
Glasgow als letztes G20-Land [3][das Pariser Klimaabkommen].
Jahrelang hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan gepokert: Er wollte die
Türkei als Entwicklungsland eingestuft sehen, um mehr Geld von den
Industrieländern und ein höheres CO2-Budget zugestanden zu bekommen. Erst
nach den verheerenden Waldbränden des Sommers und der Unterschrift der USA
unter Paris lenkte Erdoğan ein. Um den Schritt zu erleichtern, hatten die
Weltbank, Frankreich und Deutschland der Türkei günstige Kredite in Höhe
von 3,2 Milliarden Dollar zugesagt.
Umweltminister Murat Kurum will nun einen Plan zur Bekämpfung des
Klimawandels vorlegen und bis Ende des Jahres ein Klimagesetz im Parlament
verabschieden lassen. Der Schlüssel für eine bessere CO2-Bilanz ist der
Ausbau der erneuerbaren Energien – da ist in der Türkei noch Luft nach
oben.
Sonnen-Energie wird erst rudimentär genutzt, obwohl das Potenzial riesig
ist. Der Ausbau der Windenergie ist fortgeschrittener, vor wenigen Tagen
lieferte die Windenergie das erste Mal an einem Tag mehr Strom als die
Kohle. Doch noch denkt die Türkei nicht einmal über einen Kohleausstieg
nach. Stattdessen sind Atomkraftwerke am Mittelmeer und am Schwarzen Meer
geplant.
29 Nov 2021
## LINKS
[1] /Inflation-in-der-Tuerkei/!5812632
[2] /Konsens-in-der-Klimawandelforschung/!5817888
[3] /5-Jahre-Pariser-Klimaschutzabkommen/!5734348
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
klimataz
Wasser
Dürre
Klimakonferenz in Dubai
Schwerpunkt Klimawandel
Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Türkei tritt Pariser Klimaabkommen bei: Blockade aufgelöst
Als letztes G20-Land hat die Türkei das Pariser Klimaabkommen
unterzeichnet. Im Gegenzug bekommt sie günstige Kredite.
Konsens in der Klimawandelforschung: Keine Zweifel mehr
Der wissenschaftliche Konsens zum Menschen als Ursache des Klimawandels hat
zugenommen. Lag er 2013 noch bei 97 Prozent, sind es inzwischen 99.
Demos gegen Gewalt an Frauen: Tränengas gegen Frauenrechtsprotest
In türkischen Städten haben Menschen gegen den Austritt der Türkei aus der
Istanbul-Konvention protestiert. Die Polizei ging brutal dagegen vor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.