| # taz.de -- Die Wahrheit: Alträcherin im Regierungsviertel | |
| > Was macht Angela Merkel jetzt eigentlich? Und wer ist diese maskierte | |
| > Ninja-Kämpferin aus der Uckermark, die nachts in Berlin unterwegs ist? | |
| Es war alles wunderbar und ein ganz fantastisches Ablenkungsmanöver, dachte | |
| Angela Merkel belustigt, während der Wurfstern ihre Hand mit Schwung | |
| verließ und im Licht der Abendsonne zitternd in der Holzwand steckenblieb – | |
| genau dort, wo sie mit Kreide ein Herz in den Umriss einer Person gemalt | |
| hatte. Zack! Typisch Altkanzlerin. | |
| Als solche hatte sich Angela Merkel tatsächlich selbst zu bezeichnen | |
| vorgenommen, also tatsächlich als „die Altkanzlerin“, die jetzt triumphal | |
| die Faust gen Himmel schwang, als in ihrer Vorstellung einer ihrer ältesten | |
| Feinde gurgelnd sein Leben aushauchte. Haha, nein, nicht Söder; der war | |
| noch lange nicht dran! | |
| Diese Altkanzlerin würde sich jederzeit hinter der öffentlichen Figur | |
| Merkel verschanzen können, dachte Merkel listig, während sie das scharfe | |
| Metall vorsichtig aus dem Holz zog. Und diese Altkanzlerin würde viel Zeit | |
| hier in Hohenwalde verbringen, in ihrer Datsche in der Uckermark, ihrer | |
| gottverlassenen alten Heimat, wo sie aus Sicherheitsgründen polizeilich | |
| abgeschirmt und beim Üben mit dem Wurfstern nahezu unsichtbar war. Merkel | |
| winkte ihrem Fahrer. Vielleicht könnte sie mit ihm jetzt kurz mal | |
| Verfolgungsjagd üben? | |
| Auf dem Heimweg nach Berlin grinste Merkel im Fond ihrer Dienstkarosse | |
| vergnügt in sich hinein, während der Mann am Steuer überholte, was nur | |
| ging, und die Reifen quietschen ließ, wo es nur ging. Anlässlich der | |
| Amtsübergabe an ihren drögen Nachfolger Olaf Scholz vor Tagen hatte sie | |
| noch betont harmlos erzählt, als Kanzlerin habe sie morgens beim Aufstehen | |
| nie gewusst, was bis zum Abend alles passiert sein würde. | |
| Für all die Leute hatte sie so getan, als ob sie nun in einen langweiligen | |
| und durchgeplanten Ruhestand gehen würde, aber Scholz hatte beinahe einen | |
| Herzinfarkt bekommen. Hehe! Mochte die Welt ruhig denken, dass sie sich von | |
| nun an in einer täglichen Routine aus Kuchenbacken, Eintopfkochen und | |
| Wohltätigkeitsanlässen bewegen würde und das Wochenende für Wanderungen und | |
| chemisch-physikalische Experimente mit ihrem Gatten Joachim zur Verfügung | |
| hätte. O, wie würde sie alle täuschen! | |
| ## Die Politpensionärin würde ganz sicher kein stilles Dasein fristen | |
| Merkel keckerte laut los und löste ihren Sicherheitsgurt, damit sie bei den | |
| gewagten Überholvorgängen des Fahrers tüchtig auf der Rückbank hin- und | |
| hergeschleudert würde. Hui! Haha! Die Altkanzlerin dachte gar nicht daran, | |
| als Politpensionärin ein stilles Dasein zu fristen. Was sie sich dagegen | |
| viel eher vorstellen konnte: Ihre Fähigkeiten in der edlen Ninja-Kunst des | |
| Wurfstern-Werfens zu vervollkommnen. Mit guter Vorbereitung und ein | |
| bisschen Glück würde sie es bis zur Superheldin bringen und eines Tages | |
| eine wichtige Rolle im Marvel Cinematic Universe spielen! | |
| Denn das war Merkels große Sehnsucht. Auch wenn es später wieder niemand | |
| glauben würde, da man sich bei ihr ja mit einer Handvoll Klischees | |
| zufriedengab: Kohls Mädchen, die Raute, der Hosenanzug, „Wir schaffen das“. | |
| Im Juli hatte sie in Washington verkündet, nach dem Ende ihrer | |
| Regierungszeit eine Pause einlegen und über ihre Interessen nachdenken zu | |
| wollen. Die Trottel hatten ihr alle aus der Hand gefressen, als sie ihren | |
| Spruch vom „Lesen, Augenzufallen, Schlafen“ aufgesagt hatte. Hihi! Das war | |
| die liebe Merkel, wie sie sich alle Welt wünschte. So süß! | |
| Die Altkanzlerin fletschte die Zähne. Die Leute würden eine andere, | |
| getriebenere, rachsüchtigere Merkel kennenlernen, die keine Herabsetzung, | |
| keine Demütigung je vergessen hatte; aber halt, Stopp, nein, eben nicht als | |
| Merkel, sondern als vielschichtige, dunkle Figur hinter einer Maske, bei | |
| der man viele Jahre lang rätseln müsste, wer denn dahinterstecke. Und nur | |
| einige Leute würden im Lauf der Zeit hinter das Geheimnis kommen und | |
| sogleich als Helfer rekrutiert. Joachim Sauer, der Professor. Peter | |
| Altmeier, der Adjutant. Beate Baumann, die Büroleiterin und Freundin … | |
| Ihr neues Altkanzlerinnenbüro, Adresse Unter den Linden, würde jedenfalls | |
| ein prima Hauptquartier für eine im Geheimen wirkende Superheldin abgeben. | |
| Dort hatten zu DDR-Zeiten Margot Honecker und später Altkanzler Helmut Kohl | |
| ihre Arbeitsräume gehabt. Merkel musste schon wieder lachen. Das würde den | |
| Leuten von Marvel gefallen! | |
| Das Büro stand ihr als ehemaliger Regierungschefin für die „Abwicklung | |
| fortwirkender Verpflichtungen“ zu. Und zwar exakt so: Sie würde sich die | |
| Nächte auf Politverbrecherjagd um die Ohren schlagen und ihre früheren | |
| Feinde ins Gras beißen lassen. Dafür standen sieben Mitarbeiterinnen und | |
| Mitarbeiter sowie zwei Fahrer bereit. Die Keller würden zu Laboren, | |
| Waffenkammern und einer Tiefgarage für das Merkel-Mobil ausgebaut. Die | |
| Tarnexistenz war perfekt! Jetzt musste sie noch ein wenig über ihren | |
| künftigen Namen als Superheldin nachdenken. Es sollte ein mächtiger, | |
| furchteinflößender Name sein. „Altkanzlerin“? „Rhombus“, die Raute? S… | |
| lächelte nachsichtig: Beides etwas leicht zu enttarnen! | |
| ## Die neue Superheldin suchte einen passenden coolen Namen | |
| Aber die Furcht vor der neuen maskierten Rächerin, die die Stadt demnächst | |
| in ihren tödlichen Würgegriff nehmen würde und dabei auch einen coolen | |
| Namen tragen würde, war ja durchaus begründet: Ihre von Meisterhand | |
| geworfenen Wurfsterne würden binnen kürzester Zeit Todesursache Nummer eins | |
| im Berliner Regierungsviertel sein. Die Polizei würde immer zu spät kommen, | |
| bei den zahlreichen Verfolgungsjagden regelmäßig den Kürzeren ziehen. | |
| Die japanischen Wurfsterne würde auffällig viele hochrangige CSU-Politiker | |
| in die Kehle oder das Herz treffen, doch auch prominente CDU-Funktionäre | |
| und solche der Ampelparteien würden nicht verschont. Von den zahllosen | |
| AfD-Leuten, die alle immer noch zusätzlich etwas besonders Widerliches auf | |
| dem Kerbholz hatten, ganz zu schweigen. | |
| „Und, Schatz? Wie soll das Kostüm dann schließlich aussehen?“, rief der | |
| Professor aus dem Wohnzimmer, als sie am Abend die Tür ihrer Mietwohnung | |
| ins Schloss fallen ließ. | |
| „Saugut: Schnitt wie ein Hosenanzug, Farben ständig wechselnd“, knurrte | |
| Merkel und knallte die Wurfsterne auf die Kommode. Dann hob sie ihren Blick | |
| in den Flurspiegel, zwinkerte sich beseelt zu und flüsterte: „Oder nein, | |
| blutrot wie meine fortdauernde Rache …“ | |
| 18 Dec 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Mark-Stefan Tietze | |
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