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# taz.de -- Umweltpolitik der Ampel-Koalition: Die neuen Adressen für Klimasch…
> Gleich vier Ministerien rangeln in der neuen Bundesregierung um
> Klimapolitik. Und das Kanzleramt hält sich erst mal raus.
Bild: Klimazuständige heben bitte die Hand: Habeck, Baerbock, Özdemir und Lem…
Berlin taz | Bisher war die Sache für KlimaschützerInnen klar: Wer auf
Bundesebene demonstrieren oder verhandeln wollte, den zog es in die
Stresemannstraße 128–130 in Berlin-Mitte. Dort sitzt das
Bundesumweltministerium, bisher fachlich und juristisch zuständig für so
ziemlich alles rund ums Klima.
Mit der Ampelregierung wird das komplizierter: Wem es um die deutschen
CO2-Emissionen und die Gesamtstrategie geht, fährt am besten zur
Scharnhorststraße 34–37, gleich beim Hauptbahnhof. Wem es ums große Geld
geht, der muss sich in der Stresemannstraße 94 anstellen. Hat jemand Fragen
zu den UN-Klimaverhandlungen, sucht er sich nun Kontakte am Werderschen
Markt 1, gleich am Humboldt Forum. Oder geht es um die Anpassung
Deutschlands an Hitze, Dürre und Fluten? Dann doch wieder zurück in die
Stresemannstraße 128–130.
Was in vielen Sonntagsreden immer wieder gefordert wurde, hat die Koalition
aus SPD, Grünen und FDP nun teilweise umgesetzt: Klimaschutz als
„Querschnittsaufgabe“ der Regierung. Stand früher das zuständige
Umweltministerium (BMU) oft allein, wenn es um die Bewältigung der
Klimakrise ging, verteilen sich die Zuständigkeiten jetzt auf mehrere
Ressorts.
Manche Beobachter beklagen eine „Zerschlagung“ des BMU, andere loben, das
Engagement werde endlich so breit, wie es dem Thema angemessen ist. Aber
klar ist: Die deutsche Klimapolitik ist von der Öko-Nische auf die große
politische Bühne getreten.
## Aderlass fürs Umweltministerium
Zentral verantwortlich ist jetzt das [1][Wirtschafts- und Klimaministerium
(BMWK) des grünen Vizekanzlers Robert Habeck]. Hier konzentrieren sich die
Zuständigkeiten für die Sektoren Industrie und Energie: Ausbau von Wind-
und Sonnenenergie, Bau von Stromnetzen, Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.
„Die Verantwortung für die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes und die
Kooperation in der Regierung liegt auch in unserem Ressort“, sagt Patrick
Graichen, Staatssekretär in Habecks Haus, bis vor kurzem Chef des
Thinktanks Agora Energiewende und davor Beamter im Umweltministerium.
„Anfang 2022 steht als erstes das Klimaschutz-Sofortprogramm an, an dem
alle zuständigen Ministerien mitwirken werden.“
Dazu kommt: Habecks Leute gestalten auch große Teile des neuen
„Klima-Transformationsfonds“, der mit 60 Milliarden Euro für grüne
Investitionen aufgestockt wurde. Sie verantworten auch gemeinsam mit dem
Entwicklungshilfeministerium Projekte wie etwa die Hilfe an Südafrika zum
Kohleausstieg, aber auch den hart umkämpften Emissionshandel, der bei der
EU verhandelt wird. Auch die Energieeffizienz in Gebäuden, eines der
schwierigsten Themen auf dem Weg zur Klimaneutralität, ist traditionell im
Wirtschaftsministerium angesiedelt – gemeinsam mit dem neuen
Bauministerium.
Um all diese Aufgaben zu bewältigen, zieht Habeck seiner Parteikollegin
Steffi Lemke etwa 70 Stellen aus dem BMU ab: Fast die gesamte Abteilung IK
III, Klimaschutz und Internationales, wandert ins BMWK. Dazu kommen
einzelne andere Referate wie die zur „Internationalen
Klimaschutzinitiative“ (IKI), die ExpertInnen für internationale
Beziehungen und OECD-Kooperation oder die Koordinierung der klimaneutralen
Bundesverwaltung.
Nach 2013, als das Wirtschaftsministerium sich aus dem BMU die
Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien zurückholte, ist das ein
weiterer Aderlass, mit dem das Umweltministerium „zur Resterampe gerupft“
wird, schimpfen manche MitarbeiterInnen.
Die neue Umweltministerin Lemke betont dagegen loyal, das Ganze sei eine
„sinnvolle Umstrukturierung, die den Klimaschutz breiter verankert als
bisher“. Für sie ist auch klar, dass ihr Haus durchaus weiter mitspielt:
Das Umweltministerium bleibt zuständig für die Anpassung Deutschlands an
den Klimawandel, für die Vorsorge gegen Schäden und für das, was Lemke
„natürlichen Klimaschutz“ nennt: Die Stärkung von Kohlenstoffspeichern in
Böden und Wäldern und die Wiedervernässung von Mooren.
Hier wird sie sich allerdings mit dem grünen Kollegen Cem Özdemir
absprechen müssen, der als Landwirtschaftsminister berücksichtigen muss,
dass viele Bauern Widerstand ankündigen, wenn ihre Flächen umgewidmet
werden sollen.
Auch das Umweltbundesamt als zentrale Fachbehörde für Klima- und
Energiefragen, für das Treibhausgas-Inventar und die Emissionshandelsstelle
bleibt beim BMU. Die Fachleute dort bereiten sich allerdings darauf vor, in
Zukunft mehr mit den nun auch klimainteressierten Häusern wie Verkehr,
Bauen, Auswärtiges und vor allem Wirtschaft zusammenzuarbeiten.
Der große neue Spieler bei dem Thema ist das Auswärtige Amt (AA).
Außenministerin Annalena Baerbock hat sich als erfahrene Klimapolitikerin
aus dem Umweltministerium die Abteilungen IK III 6 und IK I 3 geschnappt.
Das sind zwar nur etwa zwei Dutzend ExpertInnen, aber mit einer hohen
Sichtbarkeit: Sie vertreten Deutschland bei den UN-Klimaverhandlungen.
Statt wie bisher die Umweltministerin wird sich also Außenamtschefin
Baerbock einmal im Jahr in entscheidenden COP-Sitzungen die Nächte um die
Ohren schlagen.
Baerbock bastelt auch mit ein paar Getreuen an einer Strategie zur
„Klimaaußenpolitik“, um das Thema in die DNA des Diplomatischen Korps zu
integrieren. Bislang kümmern sich um das Thema Klima im engeren Sinne im AA
mit seinen etwa 12.000 Beschäftigten ganze zwei Stellen. Eine Idee: Die
bisherigen Wirtschaftsreferenten an den deutschen Botschaften sollen das
Klima verstärkt in den Blick nehmen.
## Bittere Auseinandersetzungen
Insgesamt will die ehemalige grüne Kanzlerkandidatin das Thema so präsent
in der Außenpolitik machen wie es etwa Frankreich oder die USA schon lange
tun. Es war der französische Außenminister Laurent Fabius, der 2015 das
Pariser Abkommen zum Klimaschutz verhandelte. Baerbocks Team sucht hinter
den Kulissen derzeit nach einer Person, die als deutsches Gesicht und
„Klima-Beauftragte“ im Range einer Staatssekretärin oder eines
Staatssekretärs die Ministerin vertritt – etwa wenn die durch akute
außenpolitische Krisen abgelenkt ist.
Fraglich bleibt, was Baerbock oder ihre „Klima-Beauftragte“ auf den
UN-Konferenzen groß verhandeln werden. Denn die völkerrechtlichen Regeln in
der internationalen Klimadiplomatie sind mit der COP26 in Glasgow zum
großen Teil bereits geklärt. Die bitteren Auseinandersetzungen ab 2022 bei
der Konferenz im ägyptischen Scharm al-Scheich werden sich um Finanzen,
Anpassung an den Klimawandel für die armen Staaten und den umstrittenen
Ausgleich für „Verluste und Schäden“ drehen.
Die aber fallen traditionell in die Zuständigkeit des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Schon bislang kommt aus dem Haus,
nur fünf Minuten Fußweg vom neuen Amtssitz von Steffi Lemke entfernt an der
Stresemannstraße in Berlin-Kreuzberg, ein Großteil der deutschen
Klima-Finanzierungen im Ausland: Etwa 80 Prozent der derzeit etwa 4
Milliarden Euro jährlich, die bis 2025 auf 6 Milliarden anwachsen sollen,
steht im BMZ-Haushalt für Projekte, die zum Beispiel erneuerbare Energien
in Afrika, moderne Verkehrssysteme in den Megastädten der
Entwicklungsländer oder Versicherungsangebote für Kleinbauern vorantreiben.
Die neue Ministerin Svenja Schulze ist beim Klimaschutz eine alte Bekannte.
Als Umweltministerin hat sie das Klimaschutzgesetz geschrieben. Beim Umzug
hat die SPD-Politikerin einen großen Teil des BMU-Stabes mitgenommen, vor
allem den beamteten Staatssekretär Jochen Flasbarth – seit acht Jahren
erfahrener Klimaverhandler, deutscher Delegationsleiter und international
gut vernetzt und geschätzt. Dieses Team wird auch in Zukunft mit den heißen
Eisen im UN-Prozess hantieren.
Die breite Aufstellung der neuen Bundesregierung zum Klimaschutz sei trotz
aller Risiken „ein großer Wurf“, lobt Christoph Bals, Leiter der Umwelt-
und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Es gebe in vielen Häusern gutes
Personal, das „ganz andere Ambitionen“ zeige als bisherige Regierungen.
Auch verschiedene Ministerien und das Kanzleramt wollten die Klimaagenda
international bei G20 und G7 voranbringen, bei Letzterem hat Deutschland
2022 den Vorsitz.
„Hoffentlich kommt auch viel Rückendeckung für die EU-Kommission und ihr
Klimaprogramm Fit for 55“, sagt Bals, „schließlich schauen viele andere
Länder auf Deutschland als Blaupause für einen Umbau der
Industriegesellschaft.“
## „Sorgenkinder“ des nationalen Klimaschutzes
Die neue Klima-Struktur hat allerdings auch ein paar schwarze Löcher.
Gerade die „Sorgenkinder“ des nationalen Klimaschutzes sind vom
klimagerechten Umbau der Regierung kaum betroffen: Aus dem
Verkehrsministerium von [2][FDP-Mann Volker Wissing] heißt es, zu dem Thema
sei bisher noch nichts entschieden. Auch das Bauministerium von Klara
Geywitz sortiert sich ganz neu. Die Ministerin sei dem Thema gegenüber
offen, heißt es da. Aber genaue Pläne sind noch nicht bekannt.
„Entscheidend wird sein, wie die verschiedenen Ministerien beim Klimaschutz
koordiniert werden“, sagt Christian Flachsland, Professor für
Nachhaltigkeit an der Hertie School, Experte für Verwaltungsfragen im
Klimaschutz. „Es wird zwischen den Ministerien schon bald Konflikte geben,
und die müssen ausgetragen und gelöst werden.“
Ein Konflikt lauert für die Ampel schon spätestens im Frühjahr: Bei der
Emissionsbilanz für 2021, die laut Klimaschutzgesetz ansteht, werden
ziemlich sicher die Bereiche Verkehr und Gebäude die Vorgaben verfehlen.
Dann muss die Regierung reagieren – und sich eventuell das Kanzleramt
einschalten.
Aber von [3][Bundeskanzler Olaf Scholz] und seinem Stab ist eine besondere
Konzentration auf Klimapolitik bisher nicht bekannt. Dabei hatte
Kanzlerkandidat Scholz im Wahlkampf versprochen, Klima als „zentrale
Zukunftsmission zur Chefsache“ zu machen. Das Haus bereite sich darauf vor,
bei Konflikten dazu in der Regierung einzugreifen, heißt es jetzt.
Aber erst einmal sieht es so aus, als überlasse das Kanzleramt es den
grünen MinisterInnen, schlechte Nachrichten wie das Verfehlen von
Klimazielen zu überbringen und harte Maßnahmen im Verkehr, beim CO2-Preis
oder bei Gebäuden zu fordern.
28 Dec 2021
## LINKS
[1] /Neues-Ministerium-Wirtschaft-und-Klima/!5817151
[2] /Kuenftiger-FDP-Minister-provoziert-Gruene/!5814750
[3] /Scholz-im-Bundestag/!5818116
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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