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# taz.de -- Baldiger Start von James Webb-Teleskop: Into Darkness
> Weltraumteleskope sind exorbitant teuer und machen bloß schöne Bilder?
> Hubble & Co sind Zeitmaschinen, die Reisen zum Ursprung des Alls
> ermöglichen.
Bild: Harrt immer noch seines Einsatzes: das James Webb-Weltraumteleskop mit se…
Es war ausgerechnet ein Spanngurt, der die Spannung am vergangenen Montag
wieder einmal platzen ließ. Als er sich „ungeplant“ löste, wie die Nasa
später mitteilte, erschütterte das die gesamte Konstruktion aus
hochempfindlichen Teilen. Jedes einzelne müsse nun überprüft werden. Der
[1][Start des James Webb Space Telescope], er verschiebt sich erneut. Und
mit ihm nicht weniger als eine lang ersehnte Reise in die tiefste
Vergangenheit des Weltalls.
Um sich eine Vorstellung vom Universum zu machen, wie es kurz nach seiner
Geburt durch den Big Bang, den Urknall, ausgesehen hat, nutzen
Astronom:innen die hohe, aber endliche Geschwindigkeit von Licht. Je
länger das Licht eines Sterns oder einer Galaxie benötigt, um auf den
Schirm oder die Schirme heutiger Teleskope zu treffen, desto weiter ist
nicht nur die Entfernung, sondern umso weiter liegt auch der Zeitpunkt
zurück, den man beobachtet.
Dabei kann man natürlich nicht mit jedem Teleskop beliebig weit sehen und
in der Zeit zurückreisen. Auf der Erde sind die erreichbaren Auflösungen
aufgrund der Atmosphäre deutlich beschränkt, auch nicht sichtbare
elektromagnetische Wellen aus dem UV- und Röntgenbereich werden durch die
Atmosphäre vom Boden abgeschirmt. Die bislang leistungsfähigsten irdischen
Observatorien stehen daher auf abgelegenen Hochebenen oder Bergen, wie etwa
dem Mauna Kea auf Big Island in Hawaii und dem Roque de los Muchachos auf
der Kanareninsel La Palma.
Lange bevor mit Sputnik 1 der erste Satellit in eine Umlaufbahn um die Erde
gebracht wurde, fantasierten Astronom:innen allerdings schon von einem
jenseits der Erde platzierten Observatorium, das einen ungestörten Blick in
die Tiefen des Alls erlauben würde. Der US-Astrophysiker Lyman Spitzer
hatte schon 1946 Pläne für ein Weltraumteleskop vorgelegt. 20 Jahre später
wurde er von der Nationalen Akademie der Wissenschaften in den USA
beauftragt, diese Pläne weiter auszuarbeiten.
## Wichtige Vorläufer
Unterdessen begann die National Aerounautics and Space Administration,
Nasa, die ersten mit Teleskopen bestückten Satelliten in den Erdorbit zu
schießen. Zwei von vier Versuchen hatten sogar Erfolg. Vor allem das letzte
Projekt, das Orbiting Astronomical Obervatory 3 (OAO-3) oder Copernicus
Observatory genannt, lieferte unter Beteiligung Spitzers mit seinen
Instrumenten für damalige Verhältnisse revolutionäre Erkenntnisse über
einzelne Sterne, Pulsare und die wabernde Materie zwischen den Sternen.
Der eigentliche Traum der Astronomen aber wurde mit einigen Verzögerungen,
Pleiten und Pannen erst 1990 wahr, mit dem Start [2][des
Hubble-Weltraumteleskops]. Über drei Jahrzehnte hinweg haben zwölf
verschiedene Instrumente an Bord des schulbusgroßen Teleskops in einer
Umlaufbahn von 550 Kilometern Höhe zuvor unvorstellbare Einblicke in die
Tiefen des Weltalls gewährt.
Dazu gehört auch das Hubble Deep Field, das einen sehr kleinen Abschnitt
des nördlichen Sternenhimmels im Bereich des Großen Wagens abbildet. Zu
sehen sind in diesem von Hubble festgehaltenen Ausschnitt auf den ersten
Blick sehr viele Sterne. Tatsächlich handelt es sich bei fast allen diesen
Lichtpunkten um Galaxien in unterschiedlichsten Entfernungen und
Entwicklungsstadien. Neue Messungen und Berechnungen konnten den Blick noch
verfeinern.
Hubbles Instrumente und seine Position im Orbit der Erde ermöglichen
Wissenschaftler:innen bis heute, Lichtwellen zu empfangen und zu
analysieren, die seit rund 13,2 Milliarden Jahren auf dem Weg durchs All
sind. Sie erlauben also einen Blick auf das Universum, wie es gut 400
Millionen Jahre – aus Sicht der Kosmologie also nicht so richtig lang –
nach dem Urknall aussah.
## Die Grenzen des Blicks erweitern
Weiter zurück, bis zur Entstehung der ersten Sterne, kann Hubbles
Zeitmaschine aber nicht reisen. Dafür müsste das Teleskop sehr schwache
elektromagnetische Strahlung im Infrarotbereich, also Wärmestrahlung,
messen können – und das verhindert letztlich die doch große Nähe zur Erde
mit ihrer starken Infrarotstrahlung, die solche feinen Signale überlagert.
Dass das älteste Licht im All die Erde als Wärmestrahlung erreicht, hat mit
der Ausdehnung des Universums zu tun. Galaxien und Sterne bewegen sich in
diesem expandierenden Raum voneinander weg und kurzwelliges, sichtbares
Licht wird mit zunehmender Ausdehnung des Raums in die Länge gezerrt und
damit langwelliger. „Redshift“ nennt sich dieser Effekt. Je älter das Licht
eines Objekts ist, desto größer fällt er aus. Je älter das Licht, das
Astronomen beobachten wollen, desto ungestörter müssen sie Wärmestrahlung
messen können.
Erste Konzepte für ein weit von der hinderlichen Erde entfernt
positioniertes Infrarot-Weltraumteleskop wurden bereits entwickelt, als
Hubble nach mehrfach verschobenem Start 1990 endlich in Betrieb gehen
konnte. Ab 1996 nahm die Sache mit den Plänen für das sogenannte Next
Generation Space Telescope dann Form an.
Inzwischen heißt es James Webb Space Telescope, und eigentlich sollte es
schon seit 14 Jahren in 1.5 Millionen Kilometer Entfernung zur Erde seinen
Dienst tun. Doch wie für Weltraumteleskope üblich, haben Pleiten und Pannen
nicht nur den Preis dieser neuen Zeitmaschine mehr als verzehnfacht, auch
der Start wurde vor dem aktuellen Zwischenfall schon mehrfach verschoben.
## Wann kommt das Fenster in die Vergangenheit?
Sollte er demnächst aber tatsächlich erfolgen und das Teleskop bis zu
seinem Ziel auch noch intakt bleiben, woran nicht wenige
Beobachter:innen zweifeln, stünde für die Weltraumforschung
tatsächlich ein Fenster in die noch tiefere Vergangenheit des Kosmos
bereit: bis zur Geburtsstunde der ersten Sterne, bis zur Entstehung des
ersten Sternenlichts, das sich nach dem sogenannten Dark Age vor 250
Millionen Jahren auf den Weg durchs All machte.
Es gibt noch viele andere Projekte, die sich die tiefen Blicke des neuen
Teleskops zunutze machen sollen, auch die [3][Erkundung von Planeten
außerhalb unseres Sonnensystems] und die Suche nach anderen Lebensformen.
Doch die Messung des ersten Lichts am Rand des dunklen Zeitalters gehören
sicher zu den spannendsten Zielen für die Astrophysik. Warum aber nicht
noch weiter zurückblicken, mitten rein ins dunkle Zeitalter?
Mit dem James Webb Space Telescope wird das eher nichts, weil kein
sichtbares Licht den dichten Nebel aus Wasserstoff und Helium verließ, der
in einer recht langen Phase zwischen den noch orange leuchtenden Babyjahren
des Alls und der Geburt erster Sterne herrschte. Astrophysiker:innen
vermuten oder hoffen aber zumindest, dass Radiowellen dem dichten Gas des
Dark Age entkommen konnten – nicht wenige träumen deshalb schon vom
nächsten Teleskop, das den Menschen in diesen zappendusteren Kosmos
zurückträgt.
## Ein Dark-Age-Teleskop steht noch aus
Auch ein solches Dark-Age-Teleskop müsste jedoch weit weg von der Erde
aufgestellt und zusätzlich noch von ihr abgeschirmt werden. Eine Lösung aus
massivem Stein böte die Rückseite des Monds, wo das Teleskop wahlweise auf
beweglichen Rovern oder innerhalb eines Kraters installiert werden könnte,
wie etwa für das Lunar Crater Radio Telescope gedacht.
Konkret geplant ist derzeit aber keines dieser Projekte. Stattdessen hoffen
Forscher:innen auf ein mehrteiliges Teleskop, bestehend aus drei
Satelliten, die ein gleichschenkliges Dreieck mit 2,5 Millionen Kilometer
Kantenlänge formen. Die ungeheuerliche Dimension dieses
Weltraumobservatoriums namens Laser Interferometer Space Antenna, kurz
Lisa, ist der Messgröße geschuldet: Es soll nicht elektromagnetische,
sondern Gravitationswellen aufspüren, die noch vor dem Dark Age im heißen
Plasma nach dem Big Bang entstanden. Lisa ist tatsächlich geplant, der
Betrieb soll 2034 beginnen.
Aber manchmal reicht eben ein Gurt, um große Pläne ins Wanken zu bringen.
Die Hoffnungen für den Start des James-Webb-Teleskops liegen jetzt auf dem
22. Dezember.
28 Nov 2021
## LINKS
[1] https://www.nasa.gov/mission_pages/webb/main/index.html
[2] /Weltraumteleskop-repariert/!5162816
[3] /Neuer-Exoplanet-Kepler-452b/!5217553
## AUTOREN
Kathrin Zinkant
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