# taz.de -- Wahlen in Bulgarien: Nächster Versuch | |
> Die Bulgar*innen wählen ein neues Parlament – zum dritten Mal in | |
> diesem Jahr. Auch über ein neues Staatsoberhaupt stimmen sie ab. | |
Bild: Auftritt von Kirill Petkow, Chef der Partei „Wir setzen die Veränderun… | |
Berlin taz | In Bulgarien ist es an diesem Sonntag wieder einmal soweit: Es | |
finden [1][Parlamentswahlen] statt – zum dritten Mal innerhalb von nur | |
sieben Monaten. Damit die Veranstaltung für das von den frequenten | |
Abstimmungen ermattete Volk wenigstens einen gewissen Neuigkeits- und | |
Unterhaltungswert hat, wird auch noch ein neues Staatsoberhaupt gewählt. | |
Deswegen ist in den bulgarischen Medien seit Wochen von „2 in 1“ die Rede. | |
Die Wiedervorlage der Parlamentswahl war notwendig geworden, weil auch der | |
zweite Versuch am 11. Juli keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse im | |
Parlament und ergo keine Regierungsmehrheit hervor gebracht hatte. Bereits | |
seit dem vergangenen Mai führt eine Expertenregierung die Geschäfte. | |
Ob das November-Votum den Bulgar*innen endlich eine stabile Regierung | |
beschert, ist fraglich. Jüngsten Umfragen zufolge werden voraussichtlich | |
sechs politische Parteien die Vier-Prozenthürde nehmen und damit in die | |
Nationalversammlung einziehen. Anwärterin auf den ersten Platz, wie auch | |
schon nach der Wahl im April, ist derzeit die konservative Partei „Bürger | |
für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) des langjährigen | |
Regierungschefs Bojko Borissow. Sie käme auf rund 24 Prozent. | |
Um Rang zwei konkurrieren die Sozialistische Partei (BSP) sowie die | |
Gruppierung „Wir setzen die Veränderungen fort“ (PP). Diese Partei war erst | |
im vergangenen September von Kirill Petkow und Asen Vasilew – beide | |
Minister der ersten Expertenregierung (sie amtierte vom 12. Mai bis zum 16. | |
September 2021) – gegründet worden. | |
## Absturz prognostiziert | |
Für die Partei „So ein Volk gibt es“ (ITN) des [2][Showmasters Slavi | |
Trifonow], die noch bei der Wahl im Juli mit 24,1 Prozent der Stimmen | |
Spitzenreiterin geworden war, wird ein Absturz auf 11,4 Prozent voraus | |
gesagt. Ebenfalls gute Chancen ins Parlament einzuziehen, haben das pro-EU | |
Bündnis „Demokratisches Bulgarien“ (DB) sowie die „Bewegung für Rechte … | |
Freiheiten“ (DPS), die sich vor allem als Anwältin der türkischen | |
Minderheit versteht. | |
Sollten die GERB und Bojko Borissow wieder die meisten Stimmen erhalten, | |
wäre das eine Ironie der Geschichte. Denn vor allem Vetternwirtschaft und | |
korrupte Machenschaften der Mächtigen unter der Ägide der GERB hatten im | |
Sommer 2020 [3][zehntausende wütende Bulgar*innen] wochenlang auf die | |
Straße getrieben. | |
In der vergangenen Woche wartete der geschäftsführende Justizminister Bojko | |
Raschkow mit pikanten Informationen auf. Demnach sollen von 84 Millionen | |
Lewa für den Bau der Hemus-Autobahn 60 Millionen Lewa (umgerechnet 30 | |
Millionen Euro) an zwielichtige Firmen gegangen sein. Borissow müsse | |
erklären, welche Rolle er dabei gespielt habe, sagte Raschkow. | |
Bulgarien, das 2007 der Europäischen Union beitrat, ist mit einem | |
Bruttoinlandsprodukt von 8.750 Euro pro Kopf der Bevölkerung (2020), was 48 | |
Prozent des EU-Durchschnitts entspricht, nach wie vor das Armenhaus | |
Europas. Gleichzeitig behauptet der Balkanstaat mit knapp sieben Millionen | |
Einwohnern auf dem Korruptionsindex von Transparency International EU-weit | |
unangefochten den Spitzenplatz. | |
## 23 Kandidat*innen | |
Bei der Präsidentenwahl – insgesamt gibt es 23 Kandidat*innen – scheint | |
die Lage eindeutig zu sein. Umfragen sagen Amtsinhaber Rumen Radew ein | |
Ergebnis von 48 Prozent voraus. Der Ex-Militär tritt als Unabhängiger an, | |
wird jedoch von den Sozialisten unterstützt. In der Stichwahl könnte er auf | |
Anastas Gerdschikow treffen, der als Kandidat der GERB gilt. Der Rektor der | |
Sofioter Universität war von 2001 bis 2003 Bildungsminister. | |
Radew, der sich 2017 für die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland | |
ausgesprochen hatte, liefert sich bereits seit Jahren eine Dauerfehde mit | |
Bojko Borissow. Während der Proteste 2020 hatte er die Bewegung unterstützt | |
und Borissows Regierung als Mafia-Herrschaft bezeichnet. Am vergangenen | |
Freitag rief Radew die Bulga*innen dazu auf, ihre Stimme abzugeben. | |
Apathie spiele der Mafia in die Hände. Darauf setze sie. | |
Für Unmut sorgte Radews unentschiedene Politik während der Coronapandemie. | |
Mit einer Quote von 22,7 Prozent doppelt Geimpfter ist Bulgarien | |
Schlusslicht in der EU. Die Sieben-Tagesinzidenz liegt bei 355,7 mit leicht | |
rückläufiger Tendenz. Bislang sind 26.175 Todesfälle zu verzeichnen (Stand: | |
12. November). | |
Nicht zuletzt im Sinne einer effektiven Pandemiebekämpfung wäre ein stabile | |
Regierung notwendiger denn je. Doch danach sieht es nicht aus. Allenfalls | |
die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) wäre bereit, mit Borissow | |
eine Koalition einzugehen. | |
## Einnahmen nicht angegeben | |
Für die DPS tritt übrigens auch der Oligarch Deljan Peewski wieder an. | |
Peewskis Name taucht in den [4][Pandora Papers] im Zusammenhang mit drei | |
Offshore-Firmen im Jahr 2013 auf. Zu dieser Zeit war Peewski Abgeordneter | |
im bulgarischen Parlament. Einnahmen im sechsstelligen Bereich hatte er | |
nicht angegeben. Auf der Grundlage des sogenannten [5][Global Magnitzky | |
Acts] verhängten die USA in Juni dieses Jahres gegen drei Bulgaren sowie | |
deren Netzwerk aus 64 Firmen empfindliche Sanktionen. Mit dabei: Deljan | |
Peewski. | |
Expert*innen glauben, dass die Bulgar*innen auch nach dem 14. | |
November bald wieder an die Urnen müssen. Sollte es dieses Mal eine | |
Regierung geben, werde sie allenfalls ein kurzes Mandat haben. Das sei der | |
Fall, wenn der gesellschaftliche Druck die Parteien dazu zwingen würde, | |
sich zu verständigen, zitiert das bulgarische Nachrichtenportal | |
Mediapool.bg den Politikwissenschaftler Pyrvan Simeonow. Der Wahlmarathon | |
geht also weiter – aber zumindest nicht mehr in diesem Jahr. | |
14 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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