| # taz.de -- Bahnvorstand Huber antwortet der taz: „Nach Glasgow per Bahn“ | |
| > Unser Redakteur beschwerte sich, dass es fast unmöglich sei, mit der Bahn | |
| > zur Klimakonferenz zu gelangen. Hier antwortet Bahnvorstand Huber. | |
| Bild: Sie hat es mit dem Zug nach Glasgow geschafft: Klimaaktivistin Greta Thun… | |
| Lieber Herr Pötter, | |
| mit großem Interesse habe ich Ihren Beitrag gelesen, wie die Bahn Sie zum | |
| „[1][Fliegen nach Glasgow gezwungen]“ hat. Ausgerechnet zum Klimagipfel, | |
| und süffisant stellen Sie dabei fest, dass das mit dem Internet ja „ganz | |
| neu“ sei, zumindest für die dusselige Bahn, die sich noch tief im 20. | |
| Jahrhundert befinde. | |
| Ganz so einfach ist die Sache nicht, auch wenn der Ursprung der von Ihnen | |
| bedauerten Misere tatsächlich in den 1990er Jahren zu finden ist. Damals | |
| nämlich hat die konservative britische Regierung die Entscheidung | |
| getroffen, die stolze [2][British Rail nicht nur in der Mitte zu | |
| durchtrennen und die Infrastruktur vom Eisenbahnbetrieb zu separieren], | |
| sondern den Zugang für sämtliche Eisenbahnnetze auch des Fernverkehrs in 25 | |
| Konzessionen an private Unternehmen zu vergeben, um über den entstehenden | |
| Wettbewerb Kosten- und Qualitätsvorteile zu erzielen. | |
| Dieses [3][Experiment ist gescheitert] und wird derzeit mit großem Aufwand | |
| rückgängig gemacht. Infrastruktur und Betrieb werden nun wieder mühsam | |
| zusammengeführt. Den angerichteten Schaden zu beheben, wird Jahre, wenn | |
| nicht Jahrzehnte kosten. | |
| ## Die Bahn ist kein Supermarkt | |
| Nun darf man sich den Wettbewerb auf der Schiene ja nicht so vorstellen wie | |
| im Supermarkt. Sie können ja den Zug, den Sie täglich wählen, wenn er Ihnen | |
| nicht „schmeckt“, am nächsten Tag nicht einfach durch einen Wettbewerbszug | |
| ersetzen. | |
| So funktioniert das nicht bei der Eisenbahn und den Konzessionen, da ist | |
| das – bedauerlicherweise – komplizierter. Konzessionen werden, vereinfacht | |
| gesagt, in aller Regel für bestimmte Strecken oder Teilnetze vergeben – und | |
| das zumeist über einen Zeitraum von vielen Jahren. Der Wettbewerb herrscht | |
| also, wieder vereinfacht gesagt, nur auf dem Papier und heißt deswegen | |
| folgerichtig „Konzessionswettbewerb“. Das vermeintlich beste Angebot | |
| entscheidet und dann hat der Konzessionsinhaber auf seiner Strecke oder dem | |
| Teilnetz, das er, sagen wir, für die nächsten 15 Jahre befährt, wieder ein | |
| Monopol. | |
| Parallel zur Trennung von Netz und Betrieb entstanden in Großbritannien | |
| sogenannte Franchises, die sich aufmachten, einzelne Strecken oder | |
| Teilnetze zu bedienen. Und da sie ja alle unternehmerischen Freiheiten | |
| besitzen sollten, um das Produkt erfolgreich zu verkaufen, haben die | |
| Unternehmen viele unterschiedliche Ideen entwickelt. | |
| ## Auch für die Briten ist Buchen schwierig | |
| Vor allem bei der Tarif- und Preisgestaltung war Phantasie gefragt. Denn | |
| die zum Teil teuren Konzessionen und die damit verbundenen Investitionen | |
| wollten schließlich mit einer angemessenen Rendite verzinst sein. Und so | |
| kam es auf den unterschiedlichen Strecken oder Teilnetzen zu vollkommen | |
| unterschiedlichen Preisstrukturen und Vertriebssystemen. Mit der Folge, | |
| dass nicht nur das durchgängige Buchen auch für die Briten selbst | |
| vergleichbar schwierig geworden ist, ganz ähnlich wie für Sie, Herr Pötter. | |
| Auch das Umsteigen ist kompliziert und das Disponieren der Anschlüsse, wenn | |
| einmal etwas schief geht, und noch so vieles mehr. Wer regelmäßig in | |
| England Eisenbahn fährt, wünscht sich die Probleme in Deutschland zurück, | |
| von denen es weiß Gott genügend zu lösen gibt, aber das ist eine andere | |
| Geschichte. | |
| Als es zu kompliziert wurde mit den vielen Tarifen, deren Kontrolle die | |
| Franchises nicht aufgeben wollten, sind die Briten im Jahre 2013 | |
| schließlich erschöpft aus dem europäischen Standard für Preisdatenbanken | |
| und Reservierungssysteme ausgestiegen und haben so die Verbindung zu den | |
| kontinentaleuropäischen Eisenbahnen kurzerhand gekappt. | |
| Die technischen, kommerziellen und vertraglichen Hürden einer Heilung | |
| dieses Problems sind so hoch, dass es keine kontinentaleuropäische | |
| Eisenbahn mehr gibt, die bis zum heutigen Tag Fahrten über London hinaus | |
| aus ihren elektronischen Systemen heraus verkauft. Nicht einmal der | |
| britische Vertriebs-Marktführer „Trainline“ selbst, mit 3,7 Milliarden | |
| Britischen Pfund Ticketumsatz ein wahrer Gigant, hat es nach jetzt | |
| mittlerweile zweijähriger Entwicklungszeit vermocht, die britischen und | |
| kontinentaleuropäischen Ticketsysteme vollständig zu integrieren. | |
| Ein kleiner Trost nur, aber immerhin: Die deutsche Bahn hat vor einigen | |
| Jahren beschlossen, ihr eigenes Vertriebssystem komplett neu zu bauen. Das | |
| ist eine gewaltige Aufgabe und will mit Bedacht getan werden. Der gesamte | |
| digitale Vertrieb wird mit dem neuen System „Vendo“ ab dem Jahr 2023 dann | |
| um ein Vielfaches leistungsfähiger sein und damit auch zersplitterte | |
| Systeme wie das in Großbritannien technisch integrieren können. Damit | |
| schaffen wir die Voraussetzung, Herr Pötter, auch Ihr Problem zu lösen, so | |
| viel sei versprochen; viele werden das im Übrigen nicht von sich sagen | |
| können. | |
| Und schließlich: Dass Ihnen der Fahrpreis von London nach Glasgow besonders | |
| teuer vorkam, folgt auch keiner einfachen Laune des Schicksals. Es ist in | |
| ganz Europa empirisch belegbar, dass vom Staat administrierter Wettbewerb | |
| im Fernverkehr nicht nur für überbordende Bürokratien sorgt, sondern auch | |
| zu besonders hohen Verbraucherpreisen führt. Großbritannien liegt auch hier | |
| einsam an der Spitze des Feldes. So kostete im Vor-Corona-Jahr 2019 dort | |
| das günstigste Standardticket 55 Pence pro gefahrenen Kilometer, in | |
| Deutschland hingegen umgerechnet lediglich 19 Pence. | |
| Da kann ich Ihre Überlegung schon ein wenig verstehen, vielleicht doch | |
| lieber das Flugzeug nach Glasgow zu benutzen. Gezwungen dazu aber hat Sie | |
| niemand, jedenfalls nicht die Deutsche Bahn. Und ich, an Ihrer Stelle, wäre | |
| dennoch mit der Eisenbahn gefahren. | |
| Herzliche Grüße, | |
| Ihr Berthold Huber | |
| Vorstand Personenverkehr der Deutschen Bahn | |
| 11 Nov 2021 | |
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