| # taz.de -- Sicherheitsexperte über Atomdeal: „Iran will nur Zeit gewinnen“ | |
| > Sicherheitsexperte Yossi Melman glaubt, dass der Iran nicht an einer | |
| > Neuauflage des Atomabkommens interessiert ist. Dies könnte ein Wettrüsten | |
| > auslösen. | |
| Bild: IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi und Irans Außenminister Hossein Amir-… | |
| taz: Herr Melman, an diesem Montag sollen die Gespräche zur | |
| [1][Wiederaufnahme des Atomdeals] mit Iran starten. Vertreter*innen aus | |
| den USA, der EU, China, Russland und Großbritannien werden sich mit | |
| Delegierten des Irans treffen. Was erwarten Sie? | |
| Yossi Melman: Es ist eine unrealistische Hoffnung, dass Iran zu einem | |
| [2][Abkommen unter den Bedingungen von 2015] zurückkehrt. Die Chance dafür | |
| liegt bei null. Dass die Iraner sich etwa darauf einlassen, statt auf 20 | |
| Prozent nur auf 3,67 Prozent Uran anzureichern, wie es im Abkommen von 2015 | |
| vorgesehen war, ist fast ausgeschlossen. Im Moment sieht es so aus, dass | |
| Iran an überhaupt keinem Abkommen interessiert ist und nur Zeit gewinnen | |
| will. | |
| Sie vertreten eine harte Linie gegenüber Iran. Sie haben einmal gesagt, Sie | |
| würden dazu raten, Iran zu bombardieren, wenn Sie Sicherheitsberater des | |
| israelischen Regierungschefs wären. | |
| Ich habe das 2009 gesagt. Die Iraner hatten gerade einen | |
| Kompromissvorschlag abgelehnt. Ich hätte Netanjahu damals geraten, Iran zu | |
| bombardieren und einen palästinensischen Staat zu gründen. Es wäre eine | |
| Win-win-Situation gewesen. Die arabische Welt hätte ihm aus beiden Gründen | |
| applaudiert. Iran war noch schwach und Israel hätte es durchführen können, | |
| mit oder ohne Amerika. | |
| Für einen Linken keine sehr populäre Position … | |
| Meine Freunde dachten, ich sei über Nacht zu einem Rechten geworden. Ich | |
| bin immer wieder erstaunt, wie die Haltung gegenüber Iran für eine Frage | |
| von links und rechts gehalten wird. Das iranische Regime ist schrecklich, | |
| ein theokratisches und undemokratisches Regime, es verletzt die | |
| Menschenrechte, unterdrückt die Frauen. | |
| Würden Sie Israels jetzigem Regierungschef das Gleiche raten? | |
| Auf gar keinen Fall! Eine militärische Option ist für Israel jetzt | |
| ausgeschlossen. Wenn Naftali Bennett und Verteidigungsminister Benny Gantz | |
| sagen, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen und Israel erfolgreich die | |
| iranischen Nuklearanlagen angreifen könnte, ist das Blödsinn. Man kann die | |
| Anlagen bombardieren, aber nicht das Know-how, das sich die Iraner in den | |
| letzten Jahren angeeignet haben. | |
| Also verhandeln. | |
| Ja. Und mit den USA ein geheimes Abkommen abschließen, in dem rote Linien | |
| ausgehandelt werden: Was ist für Israel das Wichtigste, das die USA | |
| unterstützen würden? Iran muss mithilfe der USA zur Einsicht gebracht | |
| werden, dass nukleare Waffen außer Frage stehen. | |
| Wieso ist Israel gegen eine Wiederbelebung des Atomabkommens? | |
| Die israelische Position ist nicht eindeutig. Netanjahu war gegen das | |
| Abkommen, nicht aber die Expertinnen und Experten und die gesamte | |
| militärische Elite. Nicht weil es ein guter Deal war, aber durch den | |
| Atomdeal wurde der Iran um ein paar Jahre vom Erreichen der Schwelle | |
| zurückgeworfen. | |
| Und Bennett? | |
| Der will mehr Netanjahu sein als Netanjahu selber und macht es ihm nach. | |
| Aber da ist auch viel Lippenbekenntnis dabei. Das Argument gegen das | |
| Atomabkommen lautet, dass ein Aufheben der Wirtschaftssanktionen gegen Iran | |
| das Land und sein Atomprogramm stärken würde. Ex-US-Präsident Trump hat | |
| diese 2018 nach dem US-Ausstieg aus dem Deal wieder verhängt. Sanktionen | |
| können ein Druckmittel sein, um einen langfristigen Deal herauszuschlagen, | |
| etwa einen, der mindestens die Bedingungen von 2015 erfüllt. Allerdings | |
| wurden seit dem Ausstieg von Donald Trump aus dem Abkommen keine | |
| Sekundärsanktionen umgesetzt. | |
| Also US-Sanktionen gegen Staaten, die mit Iran Handel treiben … | |
| Vor dem Abkommen wurden fast alle Länder sanktioniert, die mit Iran etwa im | |
| Energie- oder Schifffahrtssektor handelten. Der vergangene Oktober ist ein | |
| wunderbares Beispiel für die Nichtumsetzung der Sanktionen: Der Iran | |
| verkaufte insgesamt 1,2 Milliarden Barrel Öl an China, Russland, Venezuela, | |
| sogar an die Vereinigten Arabischen Emirate. Wenn Sie mit Iran hart ins | |
| Gericht gehen wollen, müssen Sie die Sanktionen wirklich umsetzen. | |
| Gehen wir von dem Szenario aus, dass Iran die Atombombe hat. Wie groß wäre | |
| die Bedrohung für Israel? | |
| Groß. Wobei die eigentliche Frage ist: Kann Israel im Schatten eines Irans | |
| leben, der Atomwaffen besitzt? Ist es das Ende der Welt, wenn Iran | |
| Atomwaffen hat? Nein. Wird Israel kollabieren? Nein. Israel ist viel | |
| stärker. Iran liegt in Scherben. Für Israel sind andere Dinge gefährlicher. | |
| Die Spaltung der Gesellschaft oder die Frage, ob 3,7 Millionen | |
| Palästinenser*innen unter Apartheid leben sollen. Im Übrigen ist ja | |
| nicht nur Israel bedroht, sondern die ganze Region. | |
| Inwiefern? | |
| In dem Moment, in dem Iran Atomwaffen hat, wird auch sein regionaler Rivale | |
| Saudi-Arabien Atomwaffen haben wollen. Andere dürften folgen. Die Türkei, | |
| möglicherweise auch Ägypten. Die Schleusen für ein nukleares Wettrüsten im | |
| Nahen Osten wären geöffnet. Ich denke, die Iraner wissen das. Vielleicht | |
| zögern sie auch deshalb. | |
| Die Iraner wollen gar nicht wirklich Atomwaffen? | |
| Strategisch zögern sie, weil sie Russland noch mehr fürchten als Amerika. | |
| Und Russland will keinen Iran mit Atomwaffen. Religiöse Erwägungen könnten | |
| auch eine Rolle spielen. Es gibt Berichte, dass Chomeini damals eine Fatwa, | |
| ein religiöses Dekret, gegen Atomwaffen erlassen hat. Aber das ist unklar. | |
| Und dann muss man auch sehen: Jede Nation, die Atomwaffen haben wollte, sei | |
| das Pakistan, Indien, Israel, Südafrika oder Nordkorea, hat fünf, sechs, | |
| sieben Jahre gebraucht, um sie herzustellen. Die Iraner spielen seit dem | |
| Ende des Irak-Iran-Kriegs, seit 32 Jahren, mit diesem Gedanken. Wenn sie | |
| wirklich wollten, könnten sie die Atombombe schon haben. | |
| Wie weit ist der Iran denn? | |
| Sie sind weit fortgeschritten, was die Urananreicherung betrifft. Aber bei | |
| anderen Teilen des Programms hinken sie hinterher. Iran kann innerhalb von | |
| drei Wochen genug Uran für eine erste Bombe haben und in sechs Monaten für | |
| vier Bomben. Aber für die Atombombe braucht man nicht nur Uran, sondern | |
| auch die Technik drumherum und dann muss man sie ja noch auf eine Rakete | |
| setzen. Das Know-how, wie man das macht, haben die Iraner noch nicht. Also | |
| sind sie etwa eineinhalb oder zwei Jahren davon entfernt, wirklich eine | |
| Bombe einsetzen zu können. | |
| 29 Nov 2021 | |
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| Judith Poppe | |
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