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# taz.de -- Regierungskrise in Österreich: Eine Herrschaft in Türkis
> Autoritäre Politik zwischen Selbstdarstellung und Korruption. Peter Pilz
> analysiert äußerst kenntnisreich das Regime Sebastian Kurz.
Bild: System Kurz: erst Selbstdarstellung, dann Republik
[1][Peter Pilz, einst Parade-Aufdecker] der österreichischen Grünen, der
manchen Skandal an die Öffentlichkeit und vor parlamentarische
Untersuchungsausschüsse gebracht hat, ist seit zwei Jahren nicht mehr im
österreichischen Parlament. Aber Zugang zu brisanten Akten hat er immer
noch. Und die spitze Feder, um komplizierte Sachverhalte pointiert zu
formulieren.
In diesen Tagen nach dem Rückzug von Sebastian Kurz aus dem Kanzleramt ist
viel vom „System Kurz“ die Rede. Pilz schildert in seinem Buch detailliert,
was dieses System ausmacht. Das beginnt mit der erfolgreichen Intrige gegen
den eigenen Parteivorsitzenden Reinhold Mitterlehner, bei der auch
manipulierte Umfragen eingesetzt wurden, und endet mit der
Pandemiebekämpfung und dem islamistischen Terror.
Selbst bei den ernsthaftesten Bedrohungen stehe die Selbstdarstellung und
nicht das Interesse der Republik im Vordergrund. Mit professionellen
Inszenierungen und strikter Message Control gängelte der Kanzlerbeauftragte
für Medien, Gerald Fleischmann, mit einem Team aus 81 Mitarbeitern die
Medien. Spurt eines nicht, wird direkt interveniert.
Pilz spricht von „Regime“, weil die Institutionen des Rechtsstaats zum Teil
systematisch attackiert und unterhöhlt würden. Vor allem der Wirtschafts-
und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die hunderttausende SMS- und
Whatsapp-Nachrichten von Kurz und dessen engstem Umfeld auswertet, wirft er
Unterwanderung durch „linke Zellen“ vor.
## Realität im System Kurz
Peter Pilz nimmt für seine Darstellung des Systems Kurz [2][Bezug auf das
Ibiza-Video], in dem der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine
Schablone für illegale Parteienfinanzierung, Medienmanipulation und
Korruption entwirft. Was 2017 auf der Baleareninsel ein feuchtfröhlicher
Wunschtraum des gestürzten Rechtspopulisten war, ist für Peter Pilz in der
ÖVP und im Speziellen beim System Kurz längst Realität.
Mit viel Insiderwissen schildert Pilz, wie der zum Retter einer in den
Umfragen darniederliegenden ÖVP hochgeschriebene Sprengmeister der
rot-schwarzen Koalition von seinem Pressesprecher auf TV-Debatten und
kritische Interviews vorbereitet wird: „Fleischmann entwirft Kurz-Antworten
für die kommenden Konfrontationen mit dem SPÖ-Spitzenkandidaten und
lässt den Kanzlerkandidaten alle auswendig lernen.“
Noch heute kommen seine Antworten wie aus der Pistole geschossen, weichen
oft der Frage aus, attackieren den Interviewer. Ganz selten lässt er sich
unvorbereitet auf dem falschen Fuß erwischen. Er gewinnt die Wahlen
schließlich, weil er erfolgreich die Antiausländerkampagne der rechten FPÖ
kapert und in weniger aggressive Rhetorik bettet.
Das Netzwerk um Sebastian Kurz, das Pilz wie ein Spinnennetz zeichnet,
reicht von Saboteuren in anderen Ministerien über ukrainische Oligarchen,
österreichische Milliardäre, Beamte im Justizministerium, die auf Zuruf
eine Untersuchung einstellen lassen, bis zu willfährigen Journalisten, die
für Steuergeld Jubelberichterstattung betreiben.
## Wie daraus Korruption wird
Zweimal hat er dank großzügiger Spenden von Unternehmern die erlaubten
Wahlkampfausgaben erheblich überschritten. „Das Wesen einer Spende ist“, so
Pilz, „dass es keine Gegenleistung dafür gibt. Kann ein direkter
Zusammenhang zwischen einer Spende und einer Leistung in Regierung und
Verwaltung nachgewiesen werden, wird daraus Korruption.“
Die erste Gegenleistung sei die Senkung der Immobiliensteuer gewesen.
Angehörige von Großspendern werden verdächtig oft in Aufsichtsräte berufen.
Zu Sebastian Kurz’ begüterten Duzfreunden zählten auch die Wirecard-Chefs
Markus Braun und Jan Marsalek, die im Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz
aus- und eingingen.
Braun sitzt in Deutschland in U-Haft, Marsalek wird per internationalem
Haftbefehl gesucht. Ihre Aussage könnte noch Sprengstoff bergen. Wer über
den jähen Fall des türkisen Shootingstars überrascht ist, sollte dieses
Buch als Hintergrundinformation lesen.
Der Leiter des Bundeskriminalamts Andreas Holzer und
Novomatic-Aufsichtsratschef Bernd Oswald wollen das Buch, in dem beide
nicht gut wegkommen, gerichtlich beschlagnahmen lassen. Eine bessere
Werbung kann sich Pilz nicht wünschen.
26 Oct 2021
## LINKS
[1] /Untersuchungsbericht-zu-Attentat-in-Wien/!5746807
[2] /Verfilmung-der-Ibiza-Affaere/!5806119
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
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