# taz.de -- Die Spaltung der Linken: Widerstand in Arbeitsteilung | |
> Die Linke spaltet sich gerne selbst, lautet ein Klischee. Doch gerade in | |
> der Vielfalt der Meinungen steckt Potenzial für einen besseren | |
> Widerstand. | |
Bild: Eine rechnet, eine boxt, einer schießt Spinnweben: Demo gegen Rassismus … | |
Gerade ist es wieder naheliegend zu behaupten, die gesellschaftliche Linke | |
zerlege sich selbst. Wir werfen einander vor, unsolidarisch zu sein, oder | |
wir zerbrechen angeblich an Genderstern-Konflikten. Sowieso hatten wir es | |
nie leicht, uns haben erst die Sozialdemokraten verraten, jetzt die Grünen | |
und [1][die Linke, oje], wer ist das noch mal? | |
Immer, wenn sich Linke öffentlich streiten, findet sich zuverlässig ein | |
Chor, der „ganz nüchtern“ die große Spaltung diagnostiziert. Wenn man | |
Schüler:innen oft genug sagt, dass sie den Abschluss nicht schaffen, ist | |
es wahrscheinlicher, dass sie den Abschluss nicht schaffen – nicht aus | |
Mangel an Können, sondern weil niemand an sie glaubt. Wenn man oft genug | |
hört, dass man gespalten ist, übersieht man dann leichter, dass nicht jeder | |
Dehnungsstreifen ein Graben sein muss? | |
Im Kampf gegen das Böse tun sich in vielen Geschichten Menschen mit | |
verschiedenen Stärken zusammen: Eine rechnet, eine boxt, einer schießt | |
Spinnweben, ein anderer hat absurd viel Hoffnung. Gewinnen können sie nur | |
gemeinsam. | |
Klingt kitschig, ist aber Arbeitsteilung. Vielfältiger Widerstand kann der | |
stabilste Widerstand sein, weil er mit vielen Mitteln an vielen Stellen | |
wirkt – multiple streams of resistance, sozusagen. | |
## Es geht auch ohne „Wir“ | |
Voraussetzung dafür ist keine harmonische Community. Es braucht kein „Wir“ | |
in allen Belangen, vermutlich braucht vielfältiger Widerstand zunächst nur | |
drei Dinge. Dass er sich selbst und die eigene Stärke erkennt. Dass er die | |
ihm eigenen Ungerechtigkeiten nicht ignoriert. Und dass er die gemeinsame | |
Aufgabe nicht vergisst. | |
Es ist nötig, [2][dass jemand schreit vor Wut]. Dass jemand schreibt vor | |
Sprachlosigkeit, Pause macht vor Erschöpfung, Respekt verliert vor | |
Entsetzen. Dass jemand einen Zweifel ausbreitet und jemand anderes direkt | |
daneben eine Gewissheit. Es ist nötig, diese Vielfalt nicht zu | |
delegitimieren, indem man behauptet, nur der eigene Weg sei richtig. | |
Wahr ist auch, dass sich nicht jede:r eine Aufgabe aussuchen kann. Jemand | |
will schreiben, aber es heißt, „da haben wir schon zwei“. Oder zweifeln, | |
aber dann nicht ernst genommen wird. Und vielleicht will jemand schreien, | |
aber wird schon fürs Flüstern bedroht. | |
## Vielfältiger Widerstand vereint | |
Diese Ungleichheiten sind nicht hinnehmbar, wenn man das gute Leben für | |
alle will. Ihretwegen muss gestritten und verhandelt werden, auch mit sich | |
selbst, immer. Das ist keine Schwäche, solange der vielfältige Widerstand | |
zusammensteht, wenn er muss: Wenn der Faschismus sich im Wohnzimmer | |
breitmacht [3][oder einen Messestand aufbaut.] | |
Wenn es wieder heißt, Menschenverachtung sei von Meinungsfreiheit gedeckt. | |
Dann müssen mit allen Mitteln Löcher gestopft und Einfallstore geschlossen | |
werden. Dann muss es ein Wir geben, das sich zumindest in dieser Sache | |
einig ist. Und das wachsam bleibt für den Dreck, der schon in den eigenen | |
Tapeten hängt. | |
27 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Linke-in-der-Krise/!5805758 | |
[2] /Psychologe-ueber-Emotionen/!5808452 | |
[3] /Rechter-Verlag-bedroht-taz-Journalist/!5807135 | |
## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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