# taz.de -- Nachruf auf Udo Zimmermann: Sinnlichkeit und Aufbruch | |
> In Dresden starb der Komponist und Dirigent Udo Zimmermann. Er setzte | |
> sich mit Leidenschaft für Neue Musik und junge Kollegen ein. | |
Bild: Udo Zimmermann in seinem Haus in Dresden, 2013 | |
An Ewigkeit und Endlichkeit gemahnten die letzten Jahre Udo Zimmermanns. | |
Auf die 70 zugehend und von einer heimtückischen seltenen Nervenkrankheit | |
befallen, war er immer weniger ansprechbar. Seine letzte Komposition | |
erschüttert zutiefst, ein Klagegesang für Violine, Stimme und Orchester. | |
Den lange gehegten und bis zuletzt motivierenden Traum von einer siebten | |
Oper „Gantenbein“ nach Max Frisch nahm er nun mit ins Grab. 78-jährig ist | |
Udo Zimmermann vergangenen Freitag in seiner Heimatstadt Dresden gestorben. | |
Wer den Komponisten als einen agilen, ja im besten Sinne virulenten | |
Menschen erlebt hat, musste seinen Verfall umso fassungsloser beobachten. | |
Zimmermann prägte als junger Mann maßgeblich eine Komponistengeneration | |
mit, die in beiden Teilen Deutschlands eine vergleichsweise hohe Reputation | |
genoss. | |
Der Aufbruch, den in der Bundesrepublik beispielsweise der 15 Jahre ältere | |
Karlheinz Stockhausen verkörperte, sollte in der DDR ein verordneter im | |
Sinne des Sozialismus sein. Aber die Künste, namentlich die Musik, ließen | |
sich nur wenig instrumentalisieren. Jedenfalls wurden auch im Osten die | |
höchst individuellen Werke der Zeitgenossen erwartet, registriert und | |
öffentlich debattiert. | |
In seiner stets sinnlich geprägten Musiksprache konnte man Zimmermann nicht | |
zu einer um jeden Preis rebellierenden Avantgarde zählen. Sein Stil | |
entwickelte sich aus traditionellen Dresdner Institutionen heraus. Der | |
Kreuzchor dient eben nicht nur der musikalischen Denkmalpflege, sondern | |
befördert auch authentische Kreativität. Früh drängte es den jungen Udo zu | |
eigenen Notationen. Das Handwerk, er lernte es an der Dresdner | |
Musikhochschule, auch das des Dirigierens, setzte seine Gesangsausbildung | |
fort. | |
## Liebe zum Musiktheater | |
Mit 25 Jahren avancierte er an der Berliner Akademie der Künste zum | |
Meisterschüler bei Günter Kochan und assistierte zwei Jahre der | |
Regielegende Walter Felsenstein. 1970 wechselte er als Dramaturg an die | |
Staatsoper Dresden, sechs Jahre später wurde er Dozent und bald darauf | |
Professor für Komposition an der Dresdner Hochschule. | |
In Erinnerung bleiben wird Udo Zimmermann als Komponist und ebenso als ein | |
Missionar zeitgenössischen Musikschaffens. Seine Vorliebe galt dem | |
Musiktheater, und unter seinen Opern wird wohl [1][die „Weiße Rose“ von | |
1986 über den Widerstand der Geschwister Scholl] stets zuerst genannt | |
werden. Mit seither etwa 200 Produktionen zählt sie zu den meistgespielten | |
der Gegenwart. Bekannter sind auch „Levins Mühle“ nach Johannes Bobrowski | |
oder „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ nach Peter Hacks. | |
Manchem war sein Stil zu agitatorisch, eine Einschätzung, die Zimmermanns | |
Sensibilität und Nachdenklichkeit nicht gerecht wird. Spätere | |
Instrumentalwerke wie „Dans la marche“ oder das Cellokonzert für Jan Vogler | |
zeigen das. Ausdruck einer aus christlicher Überzeugung geborenen | |
Friedenssehnsucht ist sein vielleicht bekanntestes chorsinfonisches Werk | |
„Pax Questuosa“. 1982 zum hundertjährigen Bestehen der Berliner | |
Philharmoniker entstanden, belegt es zugleich die damals schon über die DDR | |
hinausgehende Bedeutung des Komponisten. | |
## Zeitgenössisch akzentuierter Spielplan | |
Zwei Opernintendanzen unterbrachen für ein Dutzend Jahre Zimmermanns | |
kompositorisches Schaffen. Bis 2001 bewies er in Leipzig einigen Mut, als | |
er dem Publikum einen zeitgenössisch akzentuierten Spielplan zumutete. | |
Weniger glücklich endeten die beiden Jahre an der Deutschen Oper Berlin, in | |
denen ihn eine herzliche Abneigung mit dem damaligen Generalmusikdirektor | |
Christian Thielemann verband. | |
Udo Zimmermann geht aber auch als leidenschaftlicher Förderer in die | |
Musikgeschichte ein. Vorläufer des 1986 gegründeten „Dresdner Zentrums für | |
zeitgenössische Musik“ war 1974 das „Studio Neue Musik“. Lange kämpfte … | |
um dessen Anerkennung auch im vereinten Deutschland. Das Zentrum ging 2004 | |
im [2][Europäischen Zentrum der Künste am Festspielhaus Hellerau bei | |
Dresden] auf, dessen Gründungsintendant er war. In 14 Jahren förderte er in | |
der Reihe „Musica Viva“ des Bayerischen Rundfunks 175 Uraufführungen. | |
Michael Bartsch | |
24 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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