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# taz.de -- Coronakrise im Fußball: Wie die vierte Liga überlebte
> Treue Fans und gute Ideen – so lavieren sich in der Regionalliga Nordost
> viele Klubs durch die Pandemie. Einem hilft sogar die Schalke-Krise.
Bild: Berühmt, weil ihr Klub einmal in der Bundesliga ganz schlecht war: Fans …
Auf die Fanartikel eines Fünftligisten gab es in der vergangenen Saison
einen regelrechten Ansturm. „Wir haben Trikots in die ganze Welt
verschickt, nach Skandinavien, Australien und Amerika, und damit mehr als
5.000 Euro Umsatz im Monat erzielt“, sagt Amir Numic. Er ist Vorstand von
Tasmania Berlin. Dass nun auch jüngere Fans seinen Verein kennen, hat aber
weniger mit der Aufstiegssaison – von der Oberliga in die Regionalliga
Nordost – zu tun als vielmehr mit der Abstiegssaison des FC Schalke 04.
Die Königsblauen schrammten nur knapp am ewigen Negativrekord der Berliner
vorbei, den diese bei ihrem Gastspiel 1965/66 in der Bundesliga aufgestellt
hatten. Durch Schalkes Talfahrt bekam [1][Tasmania] in der schwierigen
Coronazwangspause eine besondere mediale Aufmerksamkeit. „Das hat uns in
der spielfreien Zeit gerettet“, sagt Numic. Und in die Regionalliga
geführt.
Auch dort hatte ab November 2020 der Ball geruht. Die unterschiedlichen
Verordnungslagen der sechs beteiligten Bundesländer der Nordoststaffel
machten es unmöglich, den Spielbetrieb fortzuführen.
Den Vereinen stand eine schwierige Zeit bevor. Wichtige Einnahmen aus
Ticketverkäufen und Fernsehgeldern gingen verloren. Viele mittelständische
Sponsoren zogen sich von den Vereinen zurück, da auch sie mit den
finanziellen Auswirkungen der Coronapandemie zu kämpfen hatten.
Allerdings sanken durch den Saisonabbruch auch die Ausgaben der Vereine.
Die Auswärtsfahrten fielen ebenso weg wie die Kosten für Schiedsgericht und
Sicherheitspersonal zur Ausrichtung der Heimspiele. Alle Vereine, die ihre
Verträge sozialversicherungsmäßig korrekt abgeschlossen hatten, konnten
zudem Kurzarbeit anmelden und bekamen staatliche Unterstützung. Tobias
Schulze, Vorstandsmitglied des Regionalligisten [2][Tennis Borussia Berlin]
(und auch Politikredakteur der taz), glaubt jedoch nicht, dass davon alle
Klubs der Regionalliga profitierten: „Ohne jetzt öffentlich andere Vereine
beschuldigen zu wollen, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass da auch
viel schwarz gezahlt wird.“
## Dauerkarte als Tattoo
Auf eines konnte sich die Liga aber stets verlassen: die Unterstützung der
Fans. Geld, das sonst für Tickets ausgegeben wurde, investierten viele
Anhänger in Fanartikel. Darüber hinaus beteiligten sie sich an sehr
unterschiedlichen Spendenaktionen. Tennis Borussia beispielsweise startete
die Soli-Ticket-Kampagne „10.000 TeBe Fans“. Angelehnt an selbstironische
Fangesänge, rief der Verein ein Post-Corona-Spiel vor vollen Rängen aus.
Die Tickets, von denen bereits über 2.000 verkauft wurden, gibt es für
19,02 Euro; sie können auch für jedes andere Heimspiel bis 2023 genutzt
werden. Als Zusatzaktion verlost „TeBe“ unter allen Teilnehmer:innen
eine Dauerkarte, die sich der oder die Gewinner:in zusätzlich auf die
Haut tätowieren lassen und lebenslang an der Kasse vorzeigen kann.
Beim FC Energie Cottbus, auch ein Regionalligist mit
Bundesligavergangenheit, beschenkten Fans und ehemalige Spieler ihren
Verein zum 55-jährigen Jubiläum mit einer sechsstelligen Summe. Für 19,66
Euro konnten „Antikörper“ zur Stärkung des Immunsystems gegen die
wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus als fiktiver Fanartikel
erstanden werden.
Greifbare Weihnachtsgeschenke fuhren die Spieler von [3][Lichtenberg 47]
auf. Der Berliner Regionalligist war zu DDR-Zeiten eine Saison lang
erstklassig. Seine Aktion „47 unter’m Weihnachtsbaum“ wurde gern
angenommen.
Während die wirtschaftliche Not im Nordosten die Klubs auf diese Ideen
brachte, war man in der Regionalliga West auf solche Aktionen nicht
angewiesen. Hier stellte das Land Nordrhein-Westfalen eine Millionensumme
bereit, um den Spielbetrieb vor leeren Rängen weiterzuführen.
## Spieler müssen gehalten werden
Neidisch war man bei Tennis Borussia Berlin deshalb aber nicht. „Wofür
machen wir das Ganze eigentlich?“, fragte man sich beim Berliner
Traditionsverein. „Sicher nicht dafür, dass jede Woche 22 Spieler auf dem
Feld rumlaufen, aber niemand im Stadion zuschauen kann.“
In Chemnitz hätte man die Saison hingegen gerne zu Ende gespielt, auch wenn
man sich damit finanziell in eine Schieflage begeben hätte. Marc Arnold,
der Geschäftsführer Sport des FC Chemnitz, als FC Karl-Marx-Stadt 1967
sogar DDR-Meister, begründet das mit der Perspektive der Spieler: „Die
haben eine Karriere, die vielleicht 10 bis 14 Jahre geht. Ihnen wurde also
einfach ein Jahr geklaut – im Vergleich zu den Jungs aus den Regionalligen,
die weiterspielten.“ An die Profis zu denken sei auch für den Verein
wichtig, sagt Arnold. Man müsse sich die Frage stellen: „Kommt ein Spieler
überhaupt noch zu dir in die Regionalliga Nordost? Oder schaut er lieber,
ob er in West oder Südwest unterkommt, um seine Karriere gesichert
fortzusetzen?“
Das besondere Glück von Tasmania Berlin, dass sich alle wegen des Absturzes
eines anderen Vereins an den heutigen Viertligisten erinnern, hat nicht
jeder. Obwohl: Nach acht Spieltagen hat in der Bundesliga die SpVgg
Greuther Fürth nur einen Punkt. Das ist schlechter als Tasmania zum
gleichen Zeitpunkt in der Saison 1965/66.
22 Oct 2021
## LINKS
[1] /Tasmania-Fan-ueber-Schalkes-Talfahrt/!5738642
[2] /Legendaerer-Berliner-Fussballklub/!5648911
[3] /Lichtenberg-47-gegen-die-Stasi/!5575197
## AUTOREN
Simon Jacob
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Fußball
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bei Tennis Borussia streitet man über Trikots mit politischer Botschaft.
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