# taz.de -- Lichtenberg 47 gegen die Stasi: Der Kiez war stärker als der Staat | |
> Mehr als zwanzig Jahre lang hat der Verein Lichtenberg 47 in der DDR als | |
> Privatverein überlebt, direkt neben dem Ministerium für Staatssicherheit. | |
Bild: Kontrolle am Eingang des Ministeriums für Staatssicherheit, direkt gegen… | |
Der Fußballverein war schon da, bevor die Stasi kam. Konsequenterweise hat | |
er auch die Stasi überlebt, mit einer Mischung aus Anpassung, | |
Widerborstigkeit und Stillhalten, und so gibt es den SV Lichtenberg 47 | |
heute noch, während die Stasi irgendwo zwischen Museumsrelikt und | |
mittelmäßigem Kino-Accessoire verschwunden ist. 22 Jahre lang existierte | |
Lichtenberg 47 in der DDR. | |
Der Sportverein, einen Steinwurf vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) | |
entfernt, war der letzte noch existierende Privatverein Ostberlins; ein im | |
Kiez verwurzeltes Organ, das Selbstorganisation von unten gegen Macht von | |
oben setzte. Dem die Stasi lange nicht beikommen konnte. Der Koexistenz und | |
Machtprobe zwischen der Staatssicherheit und dem SV Lichtenberg 47 widmen | |
sich nun eine Ausstellung und ein Film bis zum 27. März im Stasi-Museum. | |
Zur Eröffnung am Mittwochabend drängte sich das Publikum in dem Raum auf | |
der sechsten Etage des Museums; fast samt und sonders Vereinsmitglieder von | |
Lichtenberg 47 – nebst Anhang natürlich. Viel weißes Haar, ältere Herren | |
vom Typ Kassenwart und ein paar rustikale Damen lauschten mal ein bisschen | |
stolz, mal ein bisschen kritisch den Worten von Kurator und Historiker | |
Christian Booß. | |
Booß, der seit Langem zu Stasi-Unterlagen forscht, ist es unter anderem zu | |
verdanken, dass die Lichtenberger Vergangenheit jetzt professionell | |
aufgearbeitet wurde. Im Rahmen der Führungen „Stasi contra Kiez“, bei denen | |
es um die Reibung zwischen dem expandierenden MfS und den Anwohnern geht, | |
wurde er auf den Lichtenberger Sportverein aufmerksam. | |
## Sie erzählten so toll | |
„Es klang anfangs, als ob sich der Verein gegen die Stasi durchgesetzt | |
hätte“, erzählt Booß im Anschluss an die Veranstaltung. „Ich fand das se… | |
spannend, und als ich die Altmitglieder kennengelernt habe, fand ich sie | |
urig. Sie erzählten so toll.“ Über den heutigen Lichtenberger | |
Geschäftsführer Henry Berthy, ebenfalls Zeitzeuge, bekam er Kontakte zu | |
älteren Vereinsmitgliedern. Eineinhalb Jahre haben Booß und seine | |
Mitstreiter recherchiert, Stimmen gesammelt und die Aussagen anhand von | |
Stasi-Akten überprüft. Nicht immer gelang das; viele der Unterlagen | |
verschwanden nach 1989. Heraus kam schließlich ein Bild, das die | |
vermeintlich große Widerstandsgeschichte diverser und gebrochener zeichnet. | |
Und realistischer. „Nach 1990 wurde Geschichte verzerrt in Helden und | |
Schufte“, so Booß. „Die Leute dazwischen wurden vergessen.“ Um diese Leu… | |
geht es ihm vor allem. | |
Im Frühjahr 1947 wurde der Sportverein als SC Lichtenberg 47 gegründet. | |
1950, entstand das MfS. Die Altmitglieder erinnern sich im Film an | |
Nachbarskinder mit sächsischem Dialekt, die plötzlich zugezogen seien, da | |
habe man schon Bescheid gewusst, wo die Väter arbeiteten. Systematisch | |
sollten die DDR-Sportvereine sich Trägerbetrieben anschließen, um | |
staatliche Kontrolle und Ideologisierung in der Betriebssportgemeinschaft | |
(BSG) zu ermöglichen. | |
Der SV Lichtenberg aber entzog sich diesen Mechanismen: Er wurde von Beginn | |
an aus dem Mittelstand gefördert, von Apothekern, Kleinunternehmern, | |
Bildungsbürgern. „Die haben auch das geistige Niveau geprägt“, erinnert | |
sich ein Mitglied. Der Privatverein war fußballerisch erfolgreich: Bis zu | |
seiner Strukturänderung 1969 spielte er zeitweise in der DDR-Liga, der | |
zweithöchsten Spielklasse, kurzzeitig sogar in der ranghöchsten | |
DDR-Oberliga. Die Staatsführung erzürnte das, aber die Popularität im Kiez | |
hielt den Verein am Leben; lieber rüstete die Führung die Konkurrenz auf, | |
statt sich frontal mit den beliebten Lichtenbergern anzulegen. | |
Wie viel Rebellion gab es im Verein? Was die Mitglieder im Film dazu sagen, | |
ist spannend. „Wir haben uns zurückgehalten, waren aber konträr“, sagt | |
einer. „Aber man konnte ja im Großen und Ganzen nichts machen.“ Ein | |
anderer: „Wenn Sie ehrliche Antworten wollen: Jeder hat seinen Kompromiss | |
gemacht.“ Diese Gratwanderung zwischen Anpassung und Austesten von Grenzen | |
leuchtet der Film wunderbar aus. Der direkte Widerstand beschränkte sich | |
vor allem darauf, über Gegner aus Teams der bewaffneten Organe Sprüche zu | |
machen, oder in meist betrunkenem Zustand die verhassten Stasi-Wachleute zu | |
provozieren. | |
## Die Stasi hat sich rausgeredet | |
Aber auch das konnte gefährlich werden. Einmal, erinnert sich Altmitglied | |
Günter Krause, sei ein Klassenkamerad dabei von einem Stasi-Wachmann | |
angeschossen worden. „Der hatte gesagt: Stehenbleiben! Mein Klassenkamerad | |
blieb nicht stehen. Da hat er von hinten durchgezogen.“ Die Stasi habe sich | |
rausgeredet, es sei ein Warnschuss gewesen. „Aber einen Warnschuss schießt | |
man ja wohl nach oben.“ Ihren trockenen Humor haben die Fußballer über die | |
Jahre nicht verloren. | |
„Der Fall ist schon interessant“, erzählt Christian Booß. „Man denkt | |
manchmal, das hier wäre eine reine Stasi-Gegend gewesen. Aber das | |
Urberliner Milieu ist hier erhalten geblieben. Natürlich haben sich die | |
Leute aus dem Verein gegen die Stasi nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, | |
aber sie haben ihren eigenen Charakter bewahrt. Dieses Selbstbewusstsein | |
strahlen sie heute noch aus.“ Erst Ende der 60er gab Lichtenberg den | |
Widerstand auf: Die Konkurrenz durch die staatlich geförderten Vereine | |
drängte den Verein immer weiter in die Defensive, 1969 schloss man sich | |
einem Trägerbetrieb an. Das Lichtenberger Stadion aber, dass die | |
expandierende Stasi sich gern einverleibt hätte, bekam sie nie. | |
Auch da jedoch verbietet sich die Einteilung in Helden und Schurken: Die | |
Vereinserzählung über eine mutige Witwe, die angeblich gegen die Stasi ein | |
Machtwort für das Lichtenberger Stadion sprach, entpuppte sich bei den | |
Recherchen als reine Legende. Sie war eher eine brave Witwe und stellte der | |
Stasi ihre Wohnung für IM-Treffen zur Verfügung. Der Abriss des Stadions | |
wurde wohl aus einem viel banaleren Grund verschleppt: weil Baukapazitäten | |
knapp waren. So oder so, es blieb. Und aktuell hat der zwischenzeitlich | |
tief gefalle SV Lichtenberg 47 im altehrwürdigen Stadion gute Aussichten | |
auf einen Aufstieg in die Vierte Liga. | |
25 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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