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# taz.de -- Streit um Bestattung eines Nazis: Unruhe in Grabstätte
> In Stahnsdorf bei Berlin sorgt ein Nazi noch im Tod für Krawall. Der
> Holocaustleugner wurde im Grab eines jüdischstämmigen
> Musikwissenschaftlers beigesetzt.
Bild: Keine Ruhe: Das Grab von Max Friedländer
Ein Geheimtipp ist der [1][Südwestkirchhof] in Stahnsdorf am Rand von
Berlin schon lange nicht mehr: Das riesige Gelände, das vor gut hundert
Jahren von evangelischen Kirchengemeinden in der Hauptstadt erworben und
bald zum Promifriedhof wurde (Siemens! Murnau! Langenscheidt!), wurde zu
Mauerzeiten wenig genutzt – große Teile des waldigen Geländes wucherten
sehr romantisch zu.
Überhaupt nicht romantisch ist, was in den vergangenen Tagen dort
passierte: Nazis „hackten“ die Friedhofsordnung, die aus
Denkmalschutzgründen den Erhalt historischer Grabsteine vorsieht, selbst
wenn das Grab neu belegt wird. Für ihren toten Gesinnungsgenossen, den
Holocaustleugner Henry Hafenmayer, erwarben die Rechtsextremen eine
Begräbnisstätte, in der vorher die Überreste des 1934 verstorbenen
Musikwissenschaftlers Max Friedländer lagen.
Ganz offensichtlich eine gezielte und ekelhafte Provokation der Rechten,
die unter anderem vom Informationsdienst „blick nach rechts“ [2][öffentlich
gemacht wurde]. Und die auch offenbart, dass die protestantische
Landeskirche EKBO (also Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische
Oberlausitz) die Situation nicht im Griff hatte.
Der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn erstattete Anzeige
wegen Störung der Totenruhe, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und
Volksverhetzung, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Josef Schuster, sprach von einer „Schändung des Andenkens an Max
Friedländer“. Landesbischof Christian Stäblein zog derweil alle Register
der Zerknirschung – „erschüttert und fassungslos“, „entsetzlicher Fehl…
„Versagen unserer Kirche“ – und betete mit Kippa an Friedländers ehemali…
Grab.
Stäblein will nach eigenem Bekunden „alle rechtlichen Schritte prüfen, die
den Vorgang rückgängig machen könnten“. Eine rasche Umbettung läge hier
natürlich auf der Hand, die sieht das kirchliche Friedhofsgesetz aber
eigentlich nur auf Antrag des Bevollmächtigten des Toten vor, in diesem
Fall eines früheren Berliner NPD-Landeschefs.
Entscheidend ist die Frage, wie es sowohl die Friedhofsleitung als auch das
Konsistorium der EKBO geschafft haben, den Nazi-Move nicht zu erkennen.
Zumal ein erster Versuch, den verblichenen Kameraden in einem zentralen
Bereich und in der Nähe von Gräbern jüdischer Toter zu bestatten, offenbar
als versuchte Unterwanderung erkannt und abgelehnt worden war.
Dass nach dieser Vorgeschichte die jüdische Herkunft Friedlaenders, der
konvertierte und deshalb als Protestant in den Friedhofsunterlagen
verzeichnet war, nicht aufgefallen sein soll – kaum zu glauben.
In einem der vielen Interviews, die der Bischof nach dem Vorfall geben
musste, betonte er, die religiöse Herkunft Friedländers bleibe trotz seiner
Konversion bestehen. Er muss sich dann aber auch fragen lassen, wieso das
Grab überhaupt aufgelöst werden konnte. Die jüdische Tradition schließt so
etwas aus.
„Wir müssen in Zukunft unsere Kontrollsysteme genau prüfen“, teilt die EK…
mit. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, höchstens noch ein „sehr“ vor
dem „genau“.
Denn die Nazis scheinen den Südwestkirchhof ohnehin zu mögen, vielleicht
auch wegen seiner „nordischen“ Stabkirche. Die vom Landesbischof unlängst
geäußerte Erkenntnis, es habe zwar jeder Mensch Anspruch auf eine
Bestattung, nicht jedoch auf die freie Wahl des Friedhofs, ist schon mal
ein Anfang.
15 Oct 2021
## LINKS
[1] /Bestattungskultur/!5159405
[2] https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/emp-rung-ber-neonazi-in-j-dis…
## AUTOREN
Claudius Prößer
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