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# taz.de -- Großbritannien lockert Einwanderungsbegrenzung: Tank leer, Schnauz…
> Die Debatte über Lkw-Fahrer*innen in Großbritannien geht weiter. Außerdem
> sorgt ein Gerücht für Hamsterkäufe an Tankstellen.
Bild: Großbritannien am Samstag: Schlangestehen an der Tanke
London taz | Die kilometerlange Schlange vor einer Esso-Tankstelle in
Nordlondon bewegt sich kaum. Immer wieder hupen ungeduldige Fahrer*innen,
manche überholen auf der engen Straße, um sich weiter vorne wieder
reinzudrängeln, und stehen dann dem Gegenverkehr im Weg. Weiteres Hupen und
Fluchen folgt. Ein älterer Mann auf seinem Sonntagsspaziergang schüttelt
fassungslos den Kopf.
Dieses Schauspiel wiederholt sich an diesem Wochenende vielerorts im
Vereinigten Königreich und führt zu Schlägereien und Wucherpreisen. Sogar
Krankenwagen konnten nicht volltanken, während Videos in sozialen
Netzwerken zeigen, wie manche Autofahrer gleich mehrere Reservekanister
füllen.
Ausgelöst hatte diesen Zustand, der an [1][die Hamsterkäufe von
Toilettenpapier zu Beginn der Coronapandemie] erinnert, eine sich wie ein
Lauffeuer verbreitende unbestätigte Meldung, die angeblich vom Ölkonzern
BP stammte: Ein Mangel an Lkw-Fahrer*innen könnte zu Lieferproblemen an den
Tankstellen führen. Die Regierung dementiert beständig, aber das nützt
offenbar nichts.
Am Samstagabend forcierte diese Entwicklung eine Notabänderung der seit dem
Brexit bestehenden neuen britischen Einwanderungsbestimmungen für
Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Die erlauben eigentlich nur die Einwanderung, wenn es sich um einen
Facharbeitsplatz mit einem Jahresgehalt von mindestens 25.600 Pfund (etwa
29.900 Euro) handelt; im Gesundheitsbereich beträgt diese Untergrenze
20.480 Pfund (etwa 24.000 Euro). Lastwagenfahren gilt nicht als Facharbeit,
sondern als einfache Tätigkeit, die gar nicht für ein Arbeitsvisum in Frage
kommt.
Bis Weihnachten können nun laut einer Sonderregel 5.000 ausländische
Lkw-Fahrer*innen und 5.500 Arbeiter*innen für die Geflügelindustrie
zusätzlich auch ohne Einhalten dieser Mindestverdienstgrenzen eine
Arbeitserlaubnis beantragen. So möchte die Regierung von Premierminister
Boris Johnson „[2][Weihnachten retten]“, wie es in manchen Berichten heißt.
## Lieferprobleme frei Haus
Laut dem Arbeitsvermittlungsbüro Reed liegen die Gehälter für
Lkw-Fahrer*innen in Großbritannien zwischen 26.000 und 35.000 Pfund im Jahr
– allerdings lässt die Not an Fahrer*innen in den vergangenen Monaten
das Gehalt mancherorts auf bis zu 50.000 Pfund ansteigen, heißt es. So
verdienen die meisten Lkw-Fahrer ohnehin mehr als die Mindestgrenze. Die
Sonderregelung stuft das Fahren auch zu einer Fachtätigkeit hoch, für die
ein Visum erteilt werden darf.
Schon seit vielen Monaten gibt es im Vereinigten Königreich Lieferprobleme
in zahlreichen Wirtschaftsbereichen. Schuld daran hat eine Mischung von
Faktoren: immer schlechtere Arbeitsbedingungen, fehlender Nachwuchs,
schlechte Bezahlung und der Weggang von Arbeitskräften aus EU-Ländern nach
dem Brexit.
Im Lkw-Bereich beklagen Arbeitnehmer als Teil der negativen Entwicklungen
der letzten Jahrzehnte überlange Arbeitszeiten, die beständige Überprüfung
des Aufenthaltsorts und Überwachung der Tätigkeit und die Notwendigkeit, in
der Fahrerkabine zu schlafen. Dazu kommen zumindest im
grenzüberschreitenden Verkehr [3][die neuen wegen des Brexits notwendigen
Formalitäten an den Grenzen zur EU.] Insgesamt herrscht ein Defizit von
etwa 100.000 Lkw-Fahrerinnen, wovon nur ein Bruchteil auf den Wegzug von
EU-Bürgern zurückgeführt wird.
Eigentlich wollte die Johnson-Regierung dieses Problem ohne ausländische
Zusatzkräfte lösen. Mehr Arbeitsplätze für britische
Arbeitnehmer*innen war schließlich eines ihrer zentralen
Wahlversprechen und ein Brexit-Gelübde. So wurde die Kapazität der
Führerscheinprüfungen erhöht, damit möglichst schnell 50.000 neue britische
Lkw-Fahrer*innen auf den Arbeitsmarkt kommen – während der Pandemie fanden
lange Zeit gar keine Prüfungen statt.
## Sofortige Lösung angeordnet
Mehr wollte die Regierung jedoch nicht tun, obwohl Wirtschaftsverbände
wiederholt kurzfristige Verstärkung durch ausländische Arbeitskräfte noch
vor Weihnachten verlangten. Noch am Donnerstag wurden diese Rufe von
Verkehrsminister Grant Shapps und Innenministerin Priti Patel abgelehnt.
Dann machte das Chaos an den Tankstellen diese Position unhaltbar und am
Freitag ordnete Premierminister Johnson eine sofortige Lösung des Problems
an.
Neben den neuen Visumsregeln schreibt das Verkehrsministerium nun außerdem
alle Brit*innen mit Lkw-Führerschein an, um sie ans Lenkrad zu bitten.
Sonderkurse mit Fahrlehrer*innen aus der Armee sollen ab sofort
Trucker*innen im Schnellverfahren ausbilden.
[4][Andrew Opie vom britischen Einzelhandelsverband] hieß die
Ausnahmeregelung zwar willkommen, fragte sich jedoch, ob 5.000 ausländische
Fahrer*innen genug seien. Allein die britischen Supermärkte benötigten
für das diesjährige Weihnachtsgeschäft 15.000 zusätzliche Lkw-Fahrerinnen,
sagte er. Marco Digioia vom Verband europäischer Logistikunternehmen
bezweifelt, dass sich viele aus der EU bewerben – denn dort bestehe
ebenfalls ein Mangel an Lkw-Fahrer*innen.
26 Sep 2021
## LINKS
[1] /Hamstern-in-Coronazeiten/!5721253
[2] https://www.reuters.com/world/uk/britain-resolve-trucker-shortage-swiftly-m…
[3] /Folge-des-Brexit/!5797390
[4] https://www.channel4.com/news/carbon-dioxide-shortage-couldnt-have-come-at-…
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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