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# taz.de -- Pflegereform in Großbritannien: Johnson bricht Wahlversprechen
> Das britische Unterhaus sagt ja zur Pflegereform. Dafür werden die
> Sozialversicherungsbeiträge erhöht.
Bild: Demonstration in London: Die Sozialpflege ist im Königreich seit Jahrzeh…
London taz | Großbritanniens Premier bricht eines seiner zentralen
[1][Wahl]versprechen: Boris Johnson hat eine Erhöhung der
Sozialversicherungsbeiträge angekündigt, der das britische Unterhaus am
Mittwoch mit einer Mehrheit von 319 zu 248 zugestimmt hat. Ab April 2022
sollen die Beiträge zur „National Insurance“ um 1,25 Prozent steigen, wie
Johnson am Dienstag im Parlament bekannt gab – von 12 auf 13,25 Prozent.
Boris Johnson will mit seinem Vorhaben umgerechnet 14 Milliarden Euro extra
für das krisengeplagte nationale Gesundheitssystem (NHS) und den
Sozialpflegesektor einnehmen.
Die kontroverse Erhöhung, welche Brit*innen eine der höchsten
Steuerlasten seit dem Zweiten Weltkrieg bescheren würde, rechtfertigte
Premier Johnson mit der nicht vorhersehbaren Corona-Pandemie. Diese
verschlimmerte viele bereits bestehende Probleme im NHS. So verdoppelte
sich die bisherige 25-wöchige durchschnittliche Wartezeit für Operationen
und manche aufwendigere Behandlungen auf fast 44 Wochen.
Die Überlebenschancen im Vereinigten Königreich sind für viele Leiden wie
Krebs und Herzkrankheiten seit langem unter den niedrigsten in Europa. Die
Sozialpflege ist seit Jahrzehnten unzureichend bezahlt. Viele Menschen
erhalten entweder zu wenig oder zu mangelhafte Pflege – oder müssen dafür
finanziellen Ruin in Kauf nehmen.
Doch viele fragen sich, ob die Steuererhöhung tatsächlich die Jahrzehnte
alten Probleme insbesondere im Pflegesektor zu lösen vermag. In den
nächsten drei Jahren sollen von den umgerechnet 42 Milliarden Euro neuen
Einnahmen erst einmal nur umgerechnet sechs Milliarden Euro in den
Pflegebereich fließen. Der Rest werde benötigt, um den
NHS-Behandlungsrückstand aufzuholen.
Nach Studien der Wohltätigkeitsorganisation Health Foundation würde der
Pflegebereich umgerechnet 10,8 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich zur
derzeitigen Finanzausstattung benötigen. Johnson will dem Sektor erst nach
drei Jahren mehr Gelder zuschieben. Viele halten das aufgrund des sich
stets verteuernden NHS-Systems für unwahrscheinlich.
Hauptschlagzeile in vielen britischen Medien war am Donnerstagmorgen der
Hinweis, dass die NHS 42 neue Exekutivposten mit Löhnen von bis zu
umgerechnet 314.000 Euro pro Jahr neu besetzten möchte.
## Labour kritisiert Ungerechtigkeit für Jüngere
Der konservative parlamentarische Hinterbänkler Jake Berry, der auch
Vorsitzender einer lauten Gruppe von konservativen Abgeordneten aus dem
Norden des Landes ist, fasste seine Sorgen über die Steuererhöhung in der
Debatte zur Erhöhung aus solchen Gründen so zusammen: „Ein Fass ohne Boden
wird nicht besser, weil es die Aufschrift des NHS trägt.“ Er forderte
Johnson auf, Einzelheiten seines Planes zu veröffentlichen, um
Verschwendung zu verhindern.
[2][Labours Parteiführer Keir Starmer] bezeichnete die Maßnahmen deswegen
wiederholt als Heftpflaster über einer klaffenden Wunde. Seine Partei und
viele Gewerkschaftsprecher*innen kritisieren, dass die Steuer
ungerecht vor allem jüngere Generationen belasten würde, etwa das Einkommen
von Supermarktangestellten und Krankenpfleger*innen im Gegensatz zu
Wohlhabenden, die mehrere Häuser besäßen, und für die keine weitere
Besteuerung auf ihr Vermögen anfalle.
„Wir fordern, dass jene mit kräftigen Schultern die Kosten tragen müssen“,
sagte Starmer im Unterhaus. Johnson konterte, dass die Hälfte der neuen
Einnahmen von den 14 Prozent der am meisten Verdienenden gedeckt werden
würde.
Mit wenig Ausnahmen musste sich Johnson jedoch auch die Kritik nahezu aller
Verbände des britischen Pflegesektors gefallen lassen. Sie fordern nicht
nur Geld, sondern eine vollkommene Überarbeitung des Sozialpflegesystems.
Der Druck auf die Johnson-Regierung, vorzeigbare Ergebnisse zu liefern, ist
immens. Die Erhöhung muss noch durch verschiedene parlamentarische
Prüfstadien. Bleibt es dabei, könnten die Entscheidungen dieser Woche
Johnsons politische Zukunft besiegeln – mehr als sein Handeln zum
[3][Brexit] oder in der Pandemie.
9 Sep 2021
## LINKS
[1] /Grossbritannien-im-Brexit-Streit/!5637513
[2] /Neuer-Chef-der-britischen-Labour-Party/!5676495
[3] /Artikel-mit-Boris-Johnson-Brexit-done/!s=Boris+Johnson+Brexit+done
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
## TAGS
Großbritannien
Tories
Boris Johnson
Sozialversicherung
Keir Starmer
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Schwerpunkt Brexit
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Schwerpunkt Brexit
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