| # taz.de -- Großbritanniens Labour-Opposition: Endlich Parteitag, endlich Stre… | |
| > Für Keir Starmer ist der Präsenzparteitag die Gelegenheit, öffentlich mit | |
| > der Corbyn-Linken zu brechen. Doch es läuft nicht ganz wie geplant. | |
| Bild: Keir Starmer bei seiner Grundsatzrede zum Abschluss des Labour-Parteitags… | |
| London taz | Am Gewerkschaftsstand im Konferenzzentrum wird Natalie Fleet | |
| willkommen geheißen. Die 37-jährige Ex-Abgeordnete hatte bei den britischen | |
| Wahlen im Dezember 2019 den Wahlkreis Ashfield, eine Kleinstadt im | |
| englischen Nottinghamshire, nach 40 Jahren Labour-Kontrolle an die | |
| Konservativen verloren – wie so viele Direktmandate, als [1][Jeremy Corbyn] | |
| [2][Labour] zum schlechtesten Wahlergebnis seit 1935 führte. | |
| Heute lächelt Fleet wieder. Nicht nur trifft sich Labour diese Woche zum | |
| ersten Mal seit der Wahlniederlage wieder physisch zum Jahresparteitag – | |
| 2020 fand das Ereignis lediglich virtuell statt, wegen Corona. Es ist auch | |
| der erste Großauftritt des 2020 gewählten [3][neuen Parteichefs Keir | |
| Starmer]. Wird mit Starmer Ashfield zurück an Labour fallen? „Ja, das | |
| glaube ich“, antwortet Fleet der taz zuversichtlich. „Sie werden sehen, die | |
| Ansprache wird es beweisen.“ | |
| Die Erwartung an Keir Starmers Grundsatzrede zum Abschluss des Parteitages | |
| am Mittwoch ist groß. Angekündigt wird sie als endgültiger Schlussstrich | |
| unter die Ära Corbyn. Sie ist auch ein Startschuss zum nächsten Wahlkampf, | |
| der Labour zurück an die Macht führen soll – nach dem Sieg der SPD in | |
| Deutschland, über den die taz von vielen Labour-Delegierten neugierig | |
| befragt wird, klingt das nicht mehr ganz so verrückt. | |
| Starmer enttäuscht nicht. In einer 90-minütigen Rede erzählt er viel von | |
| seinen Eltern, ein Werkzeugmacher und eine Krankenschwester, und betont die | |
| Werte von Gleichheit und Sicherheit. Johnson, ätzt Starmer, sei ein | |
| „Trickster“, dem nach seinem einzigen Trick – dem Brexit – nichts mehr | |
| einfalle. | |
| ## Starmer bekennt sich zum Erbe Tony Blairs | |
| „Wir können die nächsten Wahlen gewinnen“, ruft Starmer und wirft der | |
| konservativen Regierung Inkompetenz auf allen Ebenen vor. Er bekennt sich | |
| zum Erbe von Tony Blair und bekennt sich zu Bildung, zu Patriotismus und | |
| zur Verbrechenbekämpfung. Auch Schottlands Nationalisten werden nicht | |
| ausgespart: Die liefen „Hand in Hand“ mit den Tories, um Großbritannien zu | |
| schwächen. Gleich zu Beginn seiner Rede heißt Keir Starmer die jüdische | |
| ehemalige Abgeordnete Louise Ellman „willkommen zu Hause“. Sie war aus | |
| Protest gegen antisemitische Vorfälle unter Corbyn aus Labour ausgetreten | |
| und trat jetzt wieder ein. | |
| Die ständigen Zwischenrufe linker Aktivisten versucht Starmer erst zu | |
| ignorieren – vergeblich. Als die Stimmung zu kippen droht, schießt der | |
| Parteichef zurück: „Wollt ihr Slogans oder Leben ändern?“ Dafür bekommt … | |
| stehende Ovationen. Am Ende hat er den Saal im Griff. | |
| Das ist nicht selbstverständlich. Tagelang dominieren zunächst | |
| innerparteiliche Rangeleien die Schlagzeilen. Starmer kann sich nicht damit | |
| durchsetzen, die Urwahl der Parteiführung durch die Basis zugunsten eines | |
| Wahlkollegiums abzuschaffen. Er setzt lediglich mehr Macht für die | |
| Parlamentsfraktion durch. Immerhin ergattert Starmer die Zustimmung zu | |
| einer unabhängigen Beschwerdestelle für Diskriminierung – eine Konsequenz | |
| aus den Antisemitismusvorwürfen gegen Labour unter Corbyn. | |
| Für viele junge Delegierte bleiben die Entscheidungswege bei Labour | |
| mysteriös. Die 24-jährige Hannah Tey aus dem schottischen Edinburgh wundert | |
| sich über das Mitspracherecht der Gewerkschaften, was die Forderung zu Fall | |
| brachte, eine Änderung des Mehrheitsrechts für das britische Parlament | |
| anzustreben. Ob Labour mit der Betonung von globaler Gerechtigkeit in der | |
| Klimapolitik in Schottland gegen die SNP punkten kann? „Ich weiß es nicht“, | |
| antwortet Tey. „Ich frage mich, ob solche wichtigen Punkte wegen der | |
| polarisierten politischen Landschaft in Schottland überhaupt wahrgenommen | |
| werden.“ | |
| ## Starmer distanziert sich von Sanktionsforderung | |
| Im Vergleich zu 2019 fehlen die unter Corbyn überall sichtbaren | |
| Palästina-Fahnen. Das bedeutet jedoch keineswegs eine sanftere Haltung | |
| gegenüber Israel, gegen das der Parteitag Sanktionen wegen „Apartheid“ | |
| fordert. Starmer distanziert sich von diesem Beschluss. Am Konferenzstand | |
| der „Labour Friends of Israel“ (LFI) berichtet Mitglied Angie McVoy dennoch | |
| von ungewöhnlich hohem Interesse. „2019 waren wir gar nicht hier, weil das | |
| Klima zu feindselig war“, sagt sie. | |
| Spektakulär wird der Parteitag am Montagnachmittag, als Starmers | |
| Schattenminister für Arbeitsrecht Andy McDonald plötzlich zurücktritt. Er | |
| fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 15 Pfund (€ 17,50) – die | |
| Parteiführung will nur 10 Pfund. Den Rücktritt deswegen hält Kevin | |
| Anderson, 64, Labour-Stadtrat aus Leigh bei Manchester, für einen | |
| Sabotageversuch. „Um die nächste Wahl zu gewinnen, muss Labour den Menschen | |
| in meinem Wahlkreis – sie gehören größtenteils zur weißen Arbeiterklasse … | |
| wieder das Gefühl geben, dass Labour auf ihrer Seite steht. | |
| Innerparteiliche Kämpfe können das nicht schaffen“, erklärt er. Am Ende | |
| billigen die Delegierten die 15 Pfund. Auch hier distanziert sich Starmer. | |
| Nach der Rede des Parteichefs ist Anderson zufrieden. Starmers Betonung, | |
| dass er von seinen Eltern den Wert der Arbeit gelernt habe, könne alte | |
| Labour-Wähler zurückgewinnen. | |
| Aber linke Delegierte sind während des Parteitags unzufrieden. Die | |
| 40-jährige Schwarze Judy Richards sagt: „Corbyn war der Grund, dass ich der | |
| Partei beitrat, ich frage mich, wieso ich noch hier bin.“ Corbyn selbst | |
| lässt sich in Brighton auf Randveranstaltungen feiern, wie früher. Auf | |
| direkte Nachfrage der taz will er Starmers Führungsstil nicht kritisieren. | |
| Sein ehemaliger Schattenfinanzminister John McDonnell hat da weniger | |
| Bedenken. Er beschreibt den Parteitag als „Shitshow“. | |
| 29 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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