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# taz.de -- Formen des Protests und Klimaschutz: Gewalt schadet dem Klima
> Wie weit dürfen Klimaaktivist:innen gehen? Klar ist: Wer zivilen
> Ungehorsam zur „friedlichen Sabotage“ erweitert, riskiert eine
> Eskalationsspirale.
Bild: Was, wenn symbolischer Protest nicht reicht? Greta-Thunberg-Streetart an …
Am 18. August 2021 erschien in der taz [1][ein langes Interview] von zwei
Klimaaktivist:innen, die teilweise konträre Auffassungen zu den
Mitteln politischen Widerstands vertraten. Im Unterschied zu Annemarie
Botzki von Extinction Rebellion plädierte der Klimaaktivist Tadzio Müller
für eine deutlich radikalere Position.
Die bisherigen Blockadeaktionen, so Müllers Argument, reichen nicht aus.
Sie gelten als business as usual und als nicht mehr nachrichtenrelevant.
Das verstärkte Druckmittel der „friedlichen Sabotage“ sei geboten.
„Irgendwo muss ein materieller Schaden verursacht werden … Es muss klar
sein: Wer jetzt neue fossile Investitionen plant, begeht ein
Investitionsrisiko.“
In einem Akt der „legitimen Notwehr“ solle man mit den eigenen Körpern
„bestimmte Dinge außer Betrieb setzen“, und dies, in eine rhetorische Frage
gekleidet, „möglichst langfristig“. Angesichts der strukturellen Gewalt,
die auf eine Zerstörung des Planeten hinausläuft, sei es „legitim, wenn
Menschen mit ihren bloßen Körpern Teile der fossilen Infrastruktur
kaputtmachen.
Friedlich ist die Sabotage deshalb, weil keine Menschen zu Schaden kommen.“
Taktische Erwägungen bei der „friedlichen Sabotage“ seien allerdings
geboten: Müller würde „nicht mit irgendwelchen großen Werkzeugen oder gar
Waffen“ operieren. Auch würde er Sabotageaktionen „nie vor der Wahl
machen!“
Diese Position erscheint mir in dreifacher Hinsicht fragwürdig: Sie
überdehnt und pervertiert die Idee zivilen Ungehorsams. Sie ist unter den
gegebenen Bedingungen taktisch unangemessen und kontraproduktiv. Vor allem
aber ist sie schwerlich legitimierbar.
Der zivile Ungehorsam basiert auf der Idee des strikt gewaltfreien
Regelbruchs. Eindeutig ausgeschlossen ist dabei Gewalt gegen Personen.
Uneindeutig ist, ob – und falls ja, welche – Sachbeschädigungen ebenfalls
als Gewalt gelten sollen. Die Bandbreite zwischen einem kleinen Graffito an
einer Hausmauer und der nächtlichen Sprengung eines Fabrikgebäudes ist
groß. Wo ist die Grenze zu ziehen?
## Die vertrackte Gewaltfrage
Diese vertrackte Frage lässt sich schwerlich losgelöst vom Kontext
beantworten, darunter der Art des Anliegens, der Höhe des Schadens und den
zur Verfügung stehenden Mitteln jenseits der Sachbeschädigung. Müller
meint: „Das Eigentum an Produktionsmitteln oder fossilen Brennstoffen
stellt eine Form struktureller Gewalt dar.“ Gegengewalt, zumindest Gewalt
gegen Sachen, sei damit allemal gerechtfertigt.
Allerdings sollte Müller präzisieren, durch welche „friedlichen“
Sabotageakte das Investitionsrisiko für die fossile Energieinfrastruktur so
erhöht werden kann, dass die beteiligten Unternehmen ihr Kerngeschäft
aufgeben. Soll der Motor einer Baumaschine dadurch unbrauchbar gemacht
werden, dass Zucker in den Tank gegeben wird? Geht es um mehr? Anhand der
Antworten ließe sich auch erörtern, was an solchen Aktionen friedlich und
angemessen sein soll und ob der erhoffte Effekt langfristiger Natur ist.
## Mehr als Taktik
Grundsätzlich hat [2][ziviler Ungehorsam] die doppelte Prüfung der
operativen Eignung und ethischen Legitimität zu bestehen. Unter taktischen
Gesichtspunkten geht es um Fragen der Effektivität, Erforderlichkeit und
Angemessenheit der eingesetzten Mittel. Das lässt sich hier nicht im
Einzelnen durchdeklinieren.
Abwegig ist jedoch die pauschale Behauptung, strukturelle Gewalt
rechtfertige Sabotage, welche ihrerseits per se zielführend sei. Ähnlich
haben bereits die Revolutionären Zellen und die daraus hervorgegangene
radikalfeministische Rote Zora argumentiert und Sprengstoffanschläge –
möglichst unter Meidung von Personenschäden – verübt. Keine dieser Aktionen
hat den beabsichtigten Zweck erfüllt. Die attackierten Einrichtungen haben
ihre Tätigkeit ungerührt fortgesetzt.
Auch verdankt sich die Abkehr von der Atomenergie nicht den um 1983/84
kulminierenden Sabotageakten an Strommasten und sonstigen Gerätschaften,
sondern dem zähen Ringen einer Bewegung, die andere Mittel – von
juristischen Klagen über Massenproteste bis hin zu diversen Formen zivilen
Ungehorsams – bevorzugte.
## Der Zweck heiligt die Mittel nicht
Das Konzept des zivilen Ungehorsams beinhaltet unter anderem das Bekenntnis
zur öffentlichen Aktion, den Willen zur Deeskalation – etwa vorbereitet
durch ein gewaltfreies Training – und den Versuch, die Öffentlichkeit
argumentativ vom Sinn und der Notwendigkeit der Widerstandshandlung zu
überzeugen.
In der Logik der Sabotage liegt dagegen die Heimlichkeit des Tuns, das
Herbeiführen und das potenzielle Steigern der Schadenswirkung und eine
pauschale Begründung für nicht näher spezifizierte und eingehegte Formen
des Widerstands. In diesem Fall wird Legitimität nicht diskursiv erzeugt,
sondern apodiktisch im Rekurs auf „strukturelle Gewalt“ und „Notwehr“
behauptet.
Mit Blick auf die Bürgerrechtsbewegung in den USA verklärt Müller das
Zusammenspiel von gewaltlosem und gewaltförmigem Protest. Ein
„strategisches Miteinander“ von Malcolm X und King kam nie zustande. Beide
sind sich nur einmal kurz begegnet. Für Malcolm X, der sich phasenweise als
Rassist gebärdete, blieb King „twentieth-century Uncle Tom“, während King
die „feurige demagogische Rhetorik“ (King) seines Widersachers
kritisierte.
Das Herbeiführen der Gleichheit „by any means necessary“ (Malcolm X), und
das heißt auch mit Mitteln der Gewalt, war für King unannehmbar. Die
radikalisierte Fortsetzung des Kurses von Malcolm X in Gestalt der
Weathermen hatte die Spaltung der Linke in den USA zur Folge.
Der traditionsreiche zivile Ungehorsam hat mit friedlicher, geschweige denn
unfriedlicher Sabotage nichts zu tun. Sabotage mag in autoritären und
totalitären Systemen notwendig und legitim sein. Wer aber in demokratischen
Systemen diese Grenze aufweicht, begibt sich auf eine abschüssige Bahn und
wird nicht einmal eine starke Minderheit der Bevölkerung gewinnen können.
28 Sep 2021
## LINKS
[1] /Radikalitaet-der-Klimabewegung/!5789719
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam
## AUTOREN
Dieter Rucht
## TAGS
Gewalt
Protest
Schwerpunkt Klimawandel
GNS
Ziviler Ungehorsam
Greta Thunberg
Greta Thunberg
IG
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