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# taz.de -- Kleinstpartei Klimaliste in Berlin: Radikal ökologische Konkurrenz
> Die Klimaliste will die Grünen links überholen. Warum wagen die
> Mitglieder den Sprung aus der Bewegung in die parlamentarische Politik?
Bild: Das einzige Auto, das der Klimaliste gefällt – wäre es nur noch aus H…
Berlin taz | „Hey, gehst du wählen?“ Antonio Rohrßen, ein 28-Jähriger mit
gewinnendem Lächeln und türkisen Flyern der Klimaliste in der Hand, macht
ein, zwei Schritte auf einen etwa Gleichaltrigen zu, der gerade das
Tempelhofer Feld verlässt. Auf dessen schmallippiges „Ja“ legt Rohrßen
nach; fragt, ob jener die Klimaliste kenne. Die Plakate habe er
wahrgenommen, sagt der potenzielle Wähler, und fügt kritisch hinzu: „Klingt
aber so, als seid ihr im Programm sehr eingeschränkt.“
Doch das ist nicht nur ein Vorwurf, sondern auch ein Gesprächsangebot, das
Rohrßen sofort aufgreift. „Klimaneutralität berührt alle Bereiche des
Lebens.“ Er fragt: „Wo arbeitest du?“ – „In der IT“ – „Siehst d…
Rechenzentren verbrauchen viel Energie.“ Der Wahlkämpfer macht weiter,
fragt nach dem Arbeitsweg und freut sich über die klimaschonende Antwort
„Homeoffice“.
Nun ist das Eis endgültig gebrochen. Er wisse nicht, wen er wählen könne,
nicht die Alten, nicht die Etablierten, höchsten die Linke, sagt der
Passant. Und Rohrßen freut sich: „Wir bieten die linke Perspektive auf
Gerechtigkeit und die [1][ökologische auf den Klimawandel.]“ Er erzählt vom
Klimaplan seiner Partei, der zusammen mit 100 Expert*innen erarbeitet
wurde und Berlin bis 2030 klimaneutral machen soll; von der Idee, die
Arbeitszeit der Berliner*innen durch 52 Feiertage auf eine
Viertagewoche zu reduzieren.
Der Angesprochene nickt immer eifriger, nur zu einem Parteitreffen will er
sich nicht einladen lassen. Aber überlegen, die Klimaliste zu wählen – das
werde er.
Überhaupt läuft es an diesem Septembernachmittag gut für die Handvoll
Parteiwerber*innen, die am Feld-Eingang Herrfurthstraße mit einem ebenfalls
in den Parteifarben gehaltenen Fahrradanhänger, der als Unterlage für ihre
Materialien dient, Aufstellung genommen haben. Die Sonne strahlt, Menschen
schlendern mit Eis oder Bier vorbei, teilweise staut es sich regelrecht.
Viele greifen zu bei den Flyern, teilweise lassen sich gleichzeitig drei
Menschen in Gespräche verwickeln. Die Klimaliste, die erstmals für das
Abgeordnetenhaus und in acht Bezirken antritt, stößt auf Interesse.
Viel hat das auch mit dem Plakaten zu tun. An den Laternen fällt die junge
Partei auf, die sich vor einem Jahr aus den Resten der Volksinitiative
Klimanotstand Berlin gründete. Freche Sprüche, inhaltlich pointiert, chic
gestaltet. Die Botschaft dahinter: Hier sind junge Leute, die etwas anders
machen wollen. „Immer wieder kriegen wir Fragen, welche Agentur
dahintersteckt“, erzählt Alicia Sophia Hinon, Nummer eins der Landesliste;
doch alles käme von der Parteibasis. 120 Mitglieder gebe es derzeit in
Berlin, dazu viele Freiwillige aus der Klimagerechtigkeitsbewegung. Beim
gemeinsamen Plakatieren seien 350 Menschen beteiligt gewesen.
Die Hälfte der Parteimitglieder bewirbt sich derzeit um Mandate, auch
Rohrßen, der auf dem zweiten Listenplatz für das Abgeordnetenhaus
kandidiert. Im Gespräch wird klar, dass ihnen dabei auch eine
Rollenverteilung vorschwebt. „Ich wäre der aktivistische Part im
Parlament“, sagt Rohrßen, der [2][2019 mit Extinction Rebellion den Großen
Stern besetzte] und dort auch die Nacht über schlief. Alicia Sophia Hinon,
ausgestattet mit einer markant tiefen Stimme, sieht sich vor allem als
Macherin: Anderes Wirtschaften, Social Entrepreneurship ist ihr Bereich.
Bevor sich die beiden aber die Aufgaben im Parlament zuschieben können,
muss eine nicht unerhebliche Hürde genommen werden: Fünf Prozent, was
80.000 bis 100.000 Zweitstimmen entspricht. Kein Umfrageinstitut sieht die
Klimaliste bislang auch nur bei drei Prozent. Warum also dieser Sprung aus
der Bewegung auf die politische Bühne?
Rohrßen sagt, die Klimabewegung müsse „kreativ eskalieren“, der Antritt
passe in diese Strategie. Er gibt aber auch zu: Nicht alle in der Bewegung
sehen ihre Perspektive in parlamentarischer Politik.
Hinon glaubt fest an einen Einzug, 30 Prozent wüssten noch nicht, wen sie
wählen wollen: „Es ist alles offen.“ Die Piraten seien vor zehn Jahren auch
erstmals zwei Wochen vor der Wahl bei den Umfrageinstituten aufgetaucht.
Nach der jüngsten Civey-Umfrage zur Abgeordnetenhauswahl mit zwölf Prozent
für andere Parteien legte die Klimaliste mit einer eigenen Umfrage nach.
Ergebnis bei 1.250 repräsentativ ausgewählten Teilnehmer*innen: 10,8
Prozent könnten sich „in jedem Fall“ vorstellen, die Partei zu wählen;
weitere 11,6 Prozent beantworteten die Frage mit „eher ja“.
Trotz ihrer Überzeugung beklagt Hinon die „fehlerhafte, ungenügende
Sichtbarkeit von jungen Interessen“; eine „Konsolidierung der Partei findet
medial nicht statt“. Ihren Wahlwerbespot strahlte der RBB zwei Mal aus, die
Grünen hätten dagegen unzählige Sendeplätze bekommen. Überhaupt fallen die
Grünen in dem Gespräch oft. Man „schieße nicht gegen die Grünen“, sagt
Hinon; gleichzeitig aber gebe es eine große Kritik am grünen
Wachstumsmodell.
Die Klimaliste setzt dagegen auf Reduktion: weniger Arbeit, weniger Wege,
weniger Flächenbedarf an Wohnraum pro Person, weniger Konsum. All das
präsentieren sie gut gelaunt, vermeiden Begriffe wie Verbote, sprechen
dagegen davon, dass Fakten auf den Tisch müssen, von Transparenz und
wissenschaftsbasiertem Klimaschutz.
Rohrßen erzählt, wie er zuletzt Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert traf und ihm
vorhielt, dass die Klimaziele der SPD bei Weitem nicht ausreichend seien.
Klima sei eben noch nicht das primäre Thema, habe Kühnert darauf
geantwortet. Rohrßen entgegnete ihm: „Willst du ein politischer Anführer
sein oder nur hinterherlaufen?“
18 Sep 2021
## LINKS
[1] /Wahlpruefsteine-zur-Klimaresilienz/!5797325
[2] /Klimaproteste-in-Berlin/!5628562
## AUTOREN
Erik Peter
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