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# taz.de -- Kleine Parteien bei der Berlin-Wahl: Ehrenwert, aber sinnlos
> Wer am 26. September für eine Kleinpartei votiert, verschenkt seine
> Stimme – und könnte einem konservativen Senat zur Mehrheit verhelfen.
Bild: Die Klimaliste will hoch hinaus: Plakataktion in Berlin
So viele Wähler*innen wie nie zuvor werden womöglich ihre Stimme bei der
Wahl zum Abgeordnetenhaus verschenken. Rote Schleife drum und ab an eine
der kleinen Parteien, [1][die die 5-Prozent-Hürde absehbar nicht
überspringen werden]. Diese Stimme ist vielleicht ein Ausdruck des guten
Gefühls, auf der richtigen Seite zu stehen; es ist eine Stimme des
kleinsten Übels, womöglich auch des Protests. All das ist so ehrenwert und
demokratisch, wie es sinnlos ist.
Wer am Ende diese Stadt regiert – darüber entscheiden die Wähler*innen
etwa von Volt oder Klimaliste nicht mit. Indirekt aber tun sie es doch. Und
wahrscheinlich für eine Konstellation, die ihren politischen Vorstellungen
fern liegt.
Die großen Umfrage-Institute weisen kleine Parteien erst aus, wenn sie –
bei aller Fehlertoleranz – Zustimmungswerte von 3 Prozentpunkten erzielen.
Nur ein einziges Institut, Insa, sieht bisher mit den Freien Wählern eine
der nicht im Parlament vertretenen Parteien bei dieser Schwelle. Aber auch
3 Prozent sind noch weit entfernt von einem Einzug ins Abgeordnetenhaus.
Alle anderen Kleinstparteien sind aktuell unter ferner liefen einzuordnen.
Gleichwohl ist der Run auf die Orchideenparteien ungebrochen,
Bedeutungslosigkeit scheint chic. Bei Infratest dimap liegt der graue
Balken für die „Sonstigen“ mit 10 Prozent höher als der gelbe der FDP; bei
der jüngsten Civey-Umfrage überholen die Kleinen mit zusammen 12 Prozent
sogar die AfD. Bleibt es dabei, wäre es fast ein Rekord: Nur 1954 stimmten
in Berlin prozentual mehr Menschen für Parteien, die nicht ins Parlament
einzogen. Womöglich wird dieser Spitzenwert von 12,2 Prozent doch noch
gebrochen: Laut Infratest gewinnen die kleinen Parteien „erst im Laufe des
Wahlkampfs an Sichtbarkeit“.
Sieht man von den bürgerlich-konservativen Freien Wählern ab und mit
Abstrichen von der Querdenkerpartei Die Basis, sind es vor allem Parteien,
die – zu Recht oder nicht – eher ein linkes bis linksliberales Spektrum
ansprechen wollen. Im bedeutungslosen Ameisenrennen können sich dabei fünf
Parteien Hoffnungen machen, die größte zu werden.
## Die Partei holte 2016 fast zwei Prozent
Erstens [2][„Die Partei“] um den kandidierenden Politpromi Martin
Sonneborn, die bei der Abgeordnetenhauswahl vor fünf Jahren mit knapp 2
Prozent das Ameisenrennen gewann und zumindest bei Wahlkreisprognose.de vor
einem Jahr einmal bei 4,5 Prozent lag. Zweitens die Tierschutzpartei,
beliebt in jeder Schulumfrage und bei der letzten Wahl mit 1,87 Prozent auf
Platz zwei. Drittens die [3][erstmals kandidierende paneuropäische
Volt-Partei], die zuletzt bei der hessischen Kommunalwahl Achtungserfolge
erzielte. Zudem die [4][Klimaliste, hervorgegangen aus der Volksinitiative
Klimanotstand Berlin], die als einzige konsequent das 1,5-Grad-Ziel bis
2030 programmatisch verfolgt.
Und schließlich, mit Außenseiterchancen, die Piraten, die vor zehn Jahren
mit knapp 9 Prozent ins Parlament einzogen, vor fünf Jahren aber bereits
auf 1,73 Prozent zusammengeschmolzen waren. Zusammengenommen dürften die
Parteien, die eher links, liberal und ökologisch tickende Wähler*innen
ansprechen, damit mindestens 7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.
Dieser Stimmenanteil könnte reichen, [5][um einem Wahlsieg der konservativ
tickenden SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey] und ihrer drohenden
Wunschkoalition mit CDU und FDP noch etwas entgegenzusetzen – doch dafür
müssten sich die Wähler*innen stattdessen für Grüne oder Linke
entscheiden. Wer nicht in erster Linie das Signal setzen möchte, mit den
etablierten Parteien unzufrieden zu sein, sondern will, dass Klima- und
Mieter*innenschutz zukünftig Priorität haben, kommt an beiden Parteien
nicht vorbei. Das mag man ernüchternd finden, aber ausblenden sollte man es
nicht.
Heißt das im Umkehrschluss, dass das festgefahrene Parteiengefüge niemals
durchgelüftet werden wird? Nicht unbedingt. Nur müsste es einer der kleinen
Parteien eben gelingen, bereits vor der Wahl so aufzufallen, dass ein
Einzug wahrscheinlich wird. Solange die 5-Prozent-Sperrklausel nicht
deutlich abgesenkt wird, gelingt das aber nur wenigen – und in diesem Jahr
offensichtlich niemandem.
Gerecht ist das nicht, denn es sagt nichts über das inhaltliche Angebot der
Kleinen aus. Sie können Leerstellen besetzen, radikaler sein als das
Bestehende, Themen von außen setzen. Ein Blick auf das Angebot lohnt also
durchaus. Doch spätestens in der Wahlkabine muss man sich entscheiden.
Und da gilt: Eine Stimme für die Klimaliste ist eine Stimme für Giffeys
autogerechte Stadt, eine Stimme für Die Partei eine für einen Senat, der
sich – auch [6][bei einem positiven Volksentscheid] – der Enteignung der
Wohnungskonzerne versuchen wird, entgegenzustellen. Es stimmt: Die
Wähler*innen haben es in der Hand.
18 Sep 2021
## LINKS
[1] /Neue-Umfrage-fuer-Berlin-Wahl/!5799503
[2] /Die-Partei-im-Berliner-Wahlkampf/!5801974
[3] /Wie-Volt-Berlins-Politik-veraendern-will/!5802071
[4] /Kleinstpartei-Klimaliste-in-Berlin/!5802075
[5] /Spitzenkandidatin-der-Berliner-SPD/!5797564
[6] /Vergesellschaftung-von-Wohnungen/!5799721
## AUTOREN
Erik Peter
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