| # taz.de -- Vergesellschaftung von Wohnungen: Enteignen – aber wie? | |
| > Rechtswissenschaftler und Ökonomen diskutieren über die angestrebte | |
| > Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne. Schwierig wird es in den | |
| > Details. | |
| Bild: Wer lacht am Ende? | |
| Berlin taz | Franziska Giffey hätte eigentlich gern eine [1][„Rote Linie“] | |
| gezogen gegenüber der Enteignung von Immobilienkonzernen. Doch womöglich | |
| ist der Spitzenkandidatin der SPD für die Berliner Abgeordnetenhauswahl | |
| aufgegangen, dass dies bei einem erfolgreichen Volksentscheid doch eine | |
| Anmaßung ist. Am Dienstag sagte sie also auf Nachfrage im | |
| ZDF-Morgenmagazin, ob sie einen demokratischen Entscheid einfach ignorieren | |
| wolle: „Darüber hinwegsetzen geht nicht. Wir würden, wenn wir einen | |
| entsprechenden Auftrag von der Bevölkerung bekommen, eine rechtliche, eine | |
| verfassungsgemäße Prüfung machen und das Ergebnis dieser Prüfung auch | |
| abwarten und dann damit umgehen.“ | |
| Sie fügte hinzu: „Aber ich sage ganz klar: Inhaltlich bin ich dagegen.“ | |
| Giffey hofft offensichtlich darauf, das Begehren rechtlich abwürgen zu | |
| können – und sich dem Auftrag eines erfolgreichen Plebiszits, ein | |
| Vergesellschaftsgesetz zu erlassen, zu entziehen. Ob sich ihr Wunsch | |
| erfüllen lässt? | |
| Enteignungen rein rechtlich zu unterbinden – das jedenfalls könnte | |
| schwierig werden. Eine erste große Fachkonferenz von Jurist*innen und | |
| Ökonom*innen zur möglichen Umsetzung der Enteignung privater | |
| Immobilienkonzerne am Dienstag, [2][ausgerichtet von der | |
| Rosa-Luxemburg-Stiftung] und dem Berliner Mieterverein, zeigte, wie es | |
| gehen könnte. Zwar warten, das wurde bei den verschiedenen Panels mit mehr | |
| als einem Dutzend Expert*innen klar, viele Fallstricke bei der | |
| Umsetzung, doch im Grundsatz gab es zumindest zwei große Übereinstimmungen: | |
| Eine Vergesellschaftung durch das Land Berlin ist zulässig, und die zu | |
| zahlende Entschädigung muss und kann deutlich unter Verkehrswert erfolgen. | |
| Zu sortieren wäre dafür zunächst das Verhältnis von Grundgesetz und | |
| Berliner Landesverfassung. Am Anfang stand dann auch eine Diskussion von | |
| Verfassungsrechtler*innen. Denn während mit dem Grundgesetzartikel 15 die | |
| Vergesellschaftung ganzer Wirtschaftsbereiche ermöglicht wird, fehlt eine | |
| entsprechende Ermächtigung in der Landesverfassung, erklärten Michael Rodi | |
| und Roman Weidinger von der Universität Greifwald. Die Landesverfassung | |
| kennt nämlich nur den Begriff der „Enteignung“, der sich eher punktuell | |
| deuten lässt. | |
| Der Vorstellung, dass Berlin damit das Eigentum stärker schütze, als es das | |
| Grundgesetz als Mindestmaß vorgebe, widersprach Weidinger. Dies ergebe sich | |
| schon aus der Historie, aus der nicht hervorginge, dass Berlin auf das | |
| Recht der Vergesellschaftung verzichten wollte. Stattdessen hatte Berlin | |
| 1947 ein eigenes Sozialisierungsgesetz beschlossen, das aber später am | |
| Widerstand der Alliierten scheiterte. Auch wiege der Eigentumsschutz der | |
| Landesverfassung nicht höher als Artikel 15 GG, der eine „Systemnorm“ sei; | |
| eine „wirtschaftspolitische Öffnungsklausel“, die „zum Ausdruck bringen | |
| soll, dass die Wirtschaftsordnung offen ist“, wie Weidinger sagte. | |
| ## Begrenzte Anforderungen | |
| Die Anforderungen aus dem Grundgesetz für eine Vergesellschaftung stellen | |
| laut Rödi „keine großen Hürden“ dar. Wohnungen würden dem | |
| vergesellschaftsfähigen Bereich „Grund und Boden“ zugeordnet. Ob privates | |
| Eigentum überhaupt vergesellschaftungsreif ist, das ergebe sich aus der | |
| wirtschaftlichen Bedeutung der Konzerne. Auch die Verhältnismäßigkeit ließe | |
| sich begründen: Die Juristin Clara Röhner wies darauf hin, dass die | |
| Voraussetzungen für den als radikal empfundenen Schritt gar nicht so hoch | |
| seien: es brauche lediglich ein Gesetz über die Sozialisierung und eine | |
| Entschädigung. „Die Vergesellschaftung ist eine politische Entscheidung der | |
| Parlamente.“ | |
| Knackpunkt dabei bleibt die Höhe der Entschädigung. Thorsten Beckers, | |
| Professor für Infrastrukturwirtschaft von der Universität Weimar, sagte: | |
| „Eine Entschädigung nach Verkehrswert wäre absurd.“ Laut Grundgesetz müs… | |
| eine Abwägung zwischen den Interessen der Enteigneten und der Allgemeinheit | |
| stattfinden. Eine Berechnung, wie sie Deutsche Wohnen & Co enteignen | |
| vorgenommen habe, also nur ausgehend von den zukünftig gewünschten | |
| Mietpreisen, würde dabei jedoch das Interesse der Immobilienkonzerne | |
| vernachlässigen. | |
| Auch Lukas Vorwerk von der TU Berlin sagte, eine Entschädigung dürfe auf | |
| keinen Fall den Marktwert erreichen – dies wäre eine „Auszahlung des | |
| Barwerts der Macht“. Stattdessen müsse mit dem Ertragswert operiert werden, | |
| also einer Abschätzung zukünftiger Erträge der etwa 240.000 Wohnungen. | |
| Beide waren sich einig: Es sei problemlos möglich, ein kreditfähiges | |
| Konstrukt zu etablieren, das die Entschädigung ohne Belastung für den | |
| Landeshaushalt regelt. | |
| Beckers kritisierte den Berliner Senat scharf: der nämlich liegt mit seiner | |
| Kostenschätzung von mehr als 30 Milliarden Euro nah an dem Marktwert der | |
| Immobilien. „Wenn die an so einer Kalkulation scheitern, können sie dann | |
| eine Vergesellschaftung durchführen?“, fragte er. Klar wurde: Eine Abwägung | |
| und monetäre Bestimmung aller Interessen wird extrem schwierig und | |
| politisch umkämpft. | |
| Joachim Wieland, ehemaliger Rektor der Universität für | |
| Verwaltungswissenschaften Speyer, empfahl dann auch einen | |
| „Diskussionsprozess im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, wo man alle | |
| Beteiligten zu Wort kommen lässt“. Dieser langwierige Prozess sei nötig, | |
| wolle man schließlich ein entsprechendes Gesetz „verfassungsfest machen“. | |
| Schon am Donnerstag wird die Debatte für ein breiteres, nicht ganz so | |
| fachspezifisches Publikum [3][weitergeführt – im Bildungsverein Helle | |
| Panke]. Zwei Vorträge widmen sich sowohl der Rechtsgeschichte der | |
| Enteignung als auch der Frage der Entschädigungshöhe. | |
| 8 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Abstimmung-ueber-Enteignung-in-Berlin/!5792754 | |
| [2] https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/7KH2N/enteignung---das-geht?… | |
| [3] https://www.helle-panke.de/de/topic/3.termine.html?id=3220 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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