# taz.de -- Die Wahrheit: Plattfuß in Pjöngjang | |
> Wenn Gastwissenschaftler aus Nordkorea zu Besuch in die Stammkneipe | |
> kommen, braucht es ein besonders ausgefuchstes Unterhaltungsprogramm. | |
Petris, Wirt des Café Gum, hatte sich irgendwann breitschlagen lassen. | |
„Kommt schon: Wir veranstalten einen lustigen Abend und gut is!“, sagte er | |
und spendierte sogar eine Runde Freibier. „Phh“, machte Theo, „lustiger | |
Abend mit nordkoreanischen Ethnologen – wie soll das gehen? Das sind doch | |
garantiert knochentrockene, linientreue Fuzzis.“ | |
Die Wissenschaftler aus Pjöngjang waren nach drei negativen Coronatests und | |
wochenlanger Quarantäne für ein Gastsemester an der Uni zugelassen worden, | |
und irgendein Assistent, der mit ihrer Freizeitorganisation betraut war und | |
das Café Gum wegen der vielen Salonkommunisten und Ex-Hausbesetzer, die | |
dort verkehrten, für eine noch immer sehr linksradikale Location hielt, | |
hatte Petris angerufen und ihn gebeten, den Koreanern eine gute Zeit unter | |
Gesinnungsgenossen zu machen. „Was stellt der sich vor“, brummte Theo, | |
„dass wir mit denen zweisprachig die ‚Internationale‘ singen, oder was?“ | |
„Du könntest ja eine Willkommensrede halten“, meinte Petris an Carlo | |
gewandt: „Die freuen sich bestimmt, wenn man was auf Koreanisch sagt.“ | |
Carlo stöhnte. „Mann, Petris, ich war in Vietnam, nicht in Korea – du | |
würdest ja eine finnische Reisegruppe auch nicht auf Griechisch begrüßen. | |
Außerdem ist das lange her, ich hab alles vergessen.“ | |
„Dann machen wir eine Nachtwanderung zum Rabenanger mit ihnen!“, rief | |
Raimund. Er war ganz begeistert von der Idee, denn die Koreaner waren | |
Experten für vergleichende Begräbniswissenschaft, und auf dem Rabenanger | |
hinter der alten Stadtmauer wurden jahrhundertelang Hexen, Selbstmörder und | |
Gehenkte verscharrt. „Quatsch“, sagte Theo, „da ist doch nix: Keine | |
Grabsteine, keine Gedenktafeln – nix. Oder meinst du, dass wir dort Alfons, | |
den kopflosen Nonnenmörder, treffen?“ | |
„Ich habs!“, sagte Petris: „Wir machen ‚Gumkino‘, wie früher.“ Er … | |
DVD-Regal und zog „Panzerkreuzer Potemkin“, „Novecento“ und ein paar an… | |
Politfilme heraus, die wir vor Jahren immer mittwochs vorgeführt hatten. | |
„Sozialistisches Kino für sozialistische Gäste“, sagte Petris: „Wir zei… | |
irgendwas auf Englisch – das werden sie ja verstehen.“ | |
Als die Koreaner ein paar Tage später eintrafen, stellte sich heraus, dass | |
sie sogar astrein Deutsch sprachen. Sie lächelten viel und verneigten sich | |
oft, und als Petris ihnen den sauteuren grünen Tee anbot, den er extra im | |
Asiashop gekauft hatte, sagten sie, dass sie lieber sein Fassbier probieren | |
würden, da sie ja zu Studienzwecken in Europa seien. | |
Auch nickten sie wohlwollend, als Raimund ihnen die DVDs vorlegte, die wir | |
ausgewählt hatten. Schließlich jedoch stöberten sie einen | |
Bud-Spencer-Streifen in dem Regal mit den künstlerisch wertvollen Filmen | |
auf, und so zogen sie es vor, noch mehr Bier zu trinken und sich neunzig | |
Minuten darüber zu beömmeln, wie Plattfuß reihenweise tumbe Schurken | |
vermöbelte. | |
6 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
## TAGS | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Nordkorea | |
Ethnologie | |
Kino | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Gefüllter Krautkopf „Bielefeld“ | |
Wie macht man dem woken Sohn Bennie bloß wieder Lust auf Salamipizza mit | |
doppelt Käse und Spaghetti mit Tomatensauce? Da hilft nur eine List … | |
Die Wahrheit: Abenteuer eines Fakirs | |
Wer sich in die Höhlen tanzwütiger Hippies begibt, muss mit dem | |
Allerschlimmsten rechnen, zum Beispiel mit glühenden Kohlen. | |
Die Wahrheit: Die nudelige Tristesse des Daseins | |
Von Nudelsalaten und falschen Freunden. Manche Feste kommen, wie sie gehen. | |
Also, die Freunde jetzt. Oder wie? | |
Die Wahrheit: Glotzen mit Tiger | |
Die Aufteilung von Besitztümern nach dem Beziehungsende ist schwierig | |
genug. Aber was, wenn auch noch ein fernsehabendtauglicher Kater im Spiel | |
ist? | |
Die Wahrheit: Japanisches Desaster | |
Manche haben im Pandemie-Lockdown außergewöhnliche Dinge erlernt – wie | |
fremde Sprachen. Nicht zu ihrem Besten und dem ihrer Mitmenschen. | |
Die Wahrheit: Ferien im Eiermobil | |
Wer sich als König der Ökohelden geriert, kriegt zuverlässig | |
Schwierigkeiten mit der Jugend, wenn er in einem Hanomag Marke Diesel gen | |
Urlaub tuckert. |