Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Die nudelige Tristesse des Daseins
> Von Nudelsalaten und falschen Freunden. Manche Feste kommen, wie sie
> gehen. Also, die Freunde jetzt. Oder wie?
Bild: Ersten Kliniken droht wegen Corona bereits wieder eine Überlastung
„O Gott“, seufzte Raimund, „Nudelsalat! Mit zerkochten Farfalle,
Dosenerbsen und zäher, klebriger Mayo … Man kann diesen Pamp vielleicht
beim Hausbau verwenden, aber doch nicht essen!“ Er ließ seinen Blick über
den Tisch schweifen, betrachtete die gefüllten Datteltomaten, die
Blätterteigtaschen, die Hackbällchenpyramide und stöhnte. Nicht einmal
Ömers Fladenbrot konnte er anschauen, ohne dass Verzweiflung seinen Blick
verschleierte. „Dieses Partybuffet“, ächzte er, „spiegelt die ganze
Tristesse des Daseins – entsetzlich!“
Er verließ kopfschüttelnd die Küche und schlurfte durch den Flur, wo ein
paar Gäste an die Wand gelehnt auf dem Boden saßen und über den
Klimawandel, Corona und die Taktik des FC St. Pauli beim letzten Heimspiel
sprachen. Im großen Zimmer vorne schubsten sich Thorsten und Rob
abwechselnd von der Anlage weg, um apokryphe Aufnahmen von Zappa, Laurie
Anderson und irgendwelchen spanischen Elektropunkbands aufzulegen und lange
Monologe über die Perspektiven revolutionärer Musik zu halten. Das war zwar
lehrreich, führte aber dazu, dass niemand tanzte und die Leute genervt den
Raum verließen und viel zu schnell viel zu viel Bier tranken.
Raimund schloss die Augen und rieb sich erschüttert die Stirn. Obwohl es
noch nicht einmal elf war, saßen Daniel und Betty im kleinen Gästezimmer
schon eng umschlungen auf dem Sofa und knutschten sich verbissen. Wir
kannten das, sie hatten das schon auf tausend Partys gemacht und würden
später zu ihm oder ihr gehen und morgen früh nicht mehr wissen, was sie
miteinander reden sollten. „Entsetzlich“, schnaufte Raimund, „ein
Alptraum!“
Er trottete wie ein gebrochener Mann zurück in die Küche, wo sich
mittlerweile Madsen mit seinem Gefolge breitgemacht hatte. Wie üblich
begleiteten ihn drei oder vier junge Studentinnen, die verzückt an seinen
Lippen hingen, wenn er mit seinem schrecklichen Knödelbass pathetische
Arbeiterkampflieder schmetterte. Der Nudelsalat vibrierte, die Gläser
klirrten im Schrank, die jungen Damen wiegten sich selig hin und her, und
Raimund presste die Hände auf die Ohren und rannte mit schreckensgeweiteten
Augen davon.
## Wohin willst du?
„Wohin willst du?!“, rief ich, während er durch die Wohnungstür schoss.
„Weg!“, rief er und sprang die Treppe hinunter. „Aber das geht nicht!“ …
„Wieso nicht? Natürlich geht das!“
Wir verließen das Haus, gelangten auf die Straße, und er zögerte einen
Augenblick und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte. „Weil“,
keuchte ich außer Atem, „das deine Freunde sind! Du hast sie selber
eingeladen, du hast den Nudelsalat gemacht und die Tomaten gefüllt, denn es
ist, verdammt noch mal, deine eigene Party!“
Doch das war ihm egal, und er rannte wieder los, irgendwohin, wo, wenn er
Glück hatte, eine Reinkarnation von Harry Rowohlt an der Theke saß und
Witze erzählte.
2 Nov 2021
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Party
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Der Phil-Collins-Virus
Mit seinen fiesen Balladen hätte der ehemalige Genesis-Sänger nicht nur
beinahe die Musik, sondern auch langjährige Kneipenbekanntschaften
zerstört.
Die Wahrheit: Anna und Arthur halten’s Maul
Im Gum ist wieder der Teufel los. Oder im Stadtrat von Rüsselsheim. Und wer
waren noch mal Anna und Arthur? Finde es heraus.
Die Wahrheit: Abenteuer eines Fakirs
Wer sich in die Höhlen tanzwütiger Hippies begibt, muss mit dem
Allerschlimmsten rechnen, zum Beispiel mit glühenden Kohlen.
Nachrichten in der Coronakrise: Spahn will Auffrischung für alle
Der Gesundheitsminister plädiert dafür, eine Drittimpfung für alle zu
ermöglichen. Russland, Tschechien und Rumänien melden neue Höchstwerte.
Die Wahrheit: Deckpassage zum Ararat
Nach der Flut ist vor den nächsten Fluten – regelmäßige Thekenbesuche als
Stammgast können zu seltsamen Träumen führen. Achtung: Nebenwirkungen!
Die Wahrheit: Plattfuß in Pjöngjang
Wenn Gastwissenschaftler aus Nordkorea zu Besuch in die Stammkneipe kommen,
braucht es ein besonders ausgefuchstes Unterhaltungsprogramm.
Die Wahrheit: Glotzen mit Tiger
Die Aufteilung von Besitztümern nach dem Beziehungsende ist schwierig
genug. Aber was, wenn auch noch ein fernsehabendtauglicher Kater im Spiel
ist?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.