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# taz.de -- Nobelpreise in Medizin, Physik und Chemie: Klima, Turbo-Chemie und …
> In den naturwissenschaftlichen Sparten bleiben die Männer unter sich.
> Unter den 7 ausgewählten Preisträgern ist auch diesmal keine Frau.
Bild: Professor Giorgio Parisi (Mitte) hat Grund zum Feiern, hier in der Accade…
## Chemie: Frühe Warnung vorm Klimawandel
Der Kampf gegen den Klimawandel basiert auf soliden wissenschaftlichen
Erkenntnissen. Mit dieser Begründung wurde der Physik-Nobelpreis 2021
vergeben, wenige Wochen vor der wichtigen [1][Weltklimakonferenz in
Glasgow.] Die Auszeichnung ging an drei Forscher, die mit ihren
Rechenmethoden Ordnung in das vermeintliche Chaos der Klimadaten brachten
und damit auch den menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung belegen
konnten. Unter ihnen [2][der deutsche Klimaforscher Klaus Hasselmann.]
Der weltweit renommierteste Wissenschaftspreis wurde zur einen Hälfte
Hasselmann und dem US-amerikanischen Meteorologen Syukuro Manabe zuerkannt;
die andere Hälfte ging an den Italiener Giorgio Parisi. Alle drei
lieferten „bahnbrechende Beiträge zu unserem Verständnis komplexer
physikalischer Systeme“, so die Königlich-Schwedische Akademie der
Wissenschaften.
Der heute 89-jährige Hasselmann hatte in Hamburg und Göttingen Physik und
Mathematik studiert und lehrte nach seiner Promotion in Deutschland und den
USA. 1975 übernahm er die Leitung des Max-Planck-Instituts für Meteorologie
in Hamburg und später des Deutschen Klimarechenzentrums. Auch an der
Gründung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) war er
beteiligt, das ihn jetzt zu der „fantastischen Anerkennung“ seiner
Forschungsarbeiten beglückwünschte.
Hasselmann entwickelte einen Ansatz der Klimamodellierung im Rechner, der
Wetter und Klima verband und so erklären konnte, warum Klimamodelle trotz
der scheinbar chaotischen Natur des Wetters verlässlich sein können. Auf
Grundlage seiner Forschung warnte Hasselmann schon früh vor den
gefährlichen Folgen eines menschengemachten Klimawandels. „In 30 bis 100
Jahren, je nachdem, wie viel fossiles Brennmaterial wir verbrauchen, wird
auf uns eine ganz erhebliche Klimaänderung zukommen“, äußerte er sich 1988
in einem Zeitungsinterview.
Syukuro Manabe wurde 1931 in Japan geboren und ging 1958 in die USA, wo er
zuletzt an der Princeton Universität forschte. Seine Pionierarbeit bestand
für das Nobel-Komitee darin, dass er nachweisen konnte, wie ein erhöhter
Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre zu einem Anstieg der Temperaturen an
der Erdoberfläche führt. In den 1960er-Jahren legten Manabes Arbeiten den
Grundstein für die Entwicklung von Klimamodellen, die auch Hasselmann
benutzte. Unter anderem untersuchte der Meteorologe als Erster die
Wechselwirkung zwischen Strahlungsbilanz und dem vertikalem Transport von
Luftmassen.
Der dritte Preisträger, der Physiker Giorgio Parisi, wurde 1948 in Rom
geboren und forscht an der dortigen Universität La Sapienza. Sein
Schwerpunkt ist die Untersuchung versteckter Muster in scheinbar
ungeordneten Systemen und deren mathematischer Beschreibung. Dazu zählt
etwa wie sich Eisenatome in einem Netzwerk aus Kupferatomen verhalten.
Seine Entdeckungen, urteilte das Nobel-Komitee, „ermöglichen das
Verständnis und die Beschreibung vieler verschiedener und scheinbar völlig
zufälliger Materialien und Phänomene, nicht nur in der Physik, sondern auch
in anderen, sehr verschiedenen Bereichen, wie Mathematik, Biologie,
Neurowissenschaften und maschinelles Lernen“.
„Ich bin noch ganz überrascht. Ich will gar nicht aufwachen, für mich ist
das ein schöner Traum“, sagte Hasselmann in einer ersten Reaktion. Es sei
ihm wichtig, „dass meine Forschung zeigt, dass Menschen das Klima
tatsächlich beeinflusst haben“. Sein Hamburger Institut empfing den
früheren Direktor Dienstag mit Standing Ovations. Für die
Max-Planck-Gesellschaft, Deutschlands führender Einrichtung für
Grundlagenforschung, war es der zweite Physik-Nobelpreis in Serie. Letztes
Jahr war der Münchner Astrophysiker Reinhard Genzel ausgezeichnet worden.
(Manfred Ronzheimer)
## Medizin: Mit Chili und Minze zum Nobelpreis
Schon seit über hundert Jahren ist bekannt, dass Sinnesempfindungen wie
Kälte, Hitze, Schmerz oder Berührung von der Haut über diverse Rezeptoren
und Nervenleitungen erkannt und ans Gehirn geleitet werden. Unklar war
bislang allerdings, wie genau Temperatur und Druck oder leichte Berührungen
zu elektrischen Impulsen werden. Dieses Geheimnis haben die Forscher
[3][David Julius von der University of California in San Francisco sowie
Ardem Patapoutian vom Scripps Research Institute in La Jolla] gelüftet.
Darum hat das Nobelkomitee sie dieses Jahr mit dem renommierten
Medizin-Nobelpreis bedacht.
Die Beobachtung, dass der Chilischoten-Inhaltsstoff Capsaicin in den
Mundschleimhäuten aber auch auf der Haut durch Chemiker Benjamin Listseine
Schärfe einen ähnlichen Schmerz auslöst wie Hitze, brachte David Julius auf
eine Fährte. Um den zuständigen Rezeptor aufzuspüren, erstellte das
Forscherteam um Julius eine Liste der Gene, die bei Nagetieren aktiv
werden, wenn diese auf äußere Reize reagieren. Hatten die Wissenschaftler
ein solches Gen aufgespürt, testeten sie es im Erbgut von kultivierten
Zellen und unter Beigabe von Capsaicin. Es dauerte viele Forscherjahre bis
endlich eines der Gene auf den Chili-Stoff reagierte.
Julius hat das Gen entschlüsselt und gezeigt, dass es für einen zuvor
unbekannten Kanal in der Zellmembran codiert, den Ionenkanal nannte er
TRPV1. Dieser Kanal öffnet sich, wenn Capsaicin an das Rezeptormolekül
andockt. Das Gleichgewicht der Ionen innerhalb und außerhalb der Zelle
kommt dadurch aus der Balance – der elektrische Nervenreiz wird ausgelöst.
Die Forscher setzten den Rezeptor dann auch Hitze aus. Dabei zeigte sich,
dass sich der Rezeptorkanal ab Temperaturen von 40 Grad ebenfalls öffnet
und die gleiche Kaskade vonstatten geht. Hitze und Schmerz lösen also nicht
nur subjektiv ein ganz ähnliches Empfinden aus, auch der physiologische
Mechanismus beider Sinnesarten ist identisch. Die englische Bezeichnung
„hot“ für Scharfes wie auch Heißes kommChemiker Benjamin Listt also nicht
von ungefähr.
Später wurden weitere, verwandte Rezeptoren entdeckt. Eine große Rolle
spielte hier auch der zweite Preisträger, Ardem Patapoutian, der im Libanon
geboren wurde aber heute den US-Pass besitzt. Mithilfe von Menthol, einem
Aromastoff aus Minze fanden Julius und Patapoutian unabhängig voneinander
den Rezeptor TRPM8, der Kältereize vermittelt. Patapoutian wollte zudem
wissen, welche molekularen Grundlagen das Druckempfinden auf der Haut
ermöglichen. Dafür isolierte er Zellen aus der Haut und suchte solche
Varianten, die auf Pipetten-Stupse reagierten. Bei einer Zelllinie wurde er
fündig und begann nun, jeweils eines von 72 möglichen Genen auszuschalten
und prüfte so Gen für Gen, ob die Zelle dann immer noch auf die
Mini-Stupser reagierte.
Schließlich hatte das Forscherteam um Patapoutian ein Gen gefunden. Es
kodiert für den zuständigen Mechanorezeptor, Piezo1. Doch nicht nur das:
Beim Entschlüsseln der Proteinbausteine und der räumlichen Gestalt stellten
die Forscher fest, dass das Protein keinem bekannten Rezeptor-Bauplan
ähnelte. Patapoutian fand dann noch eine weitere genauso funktionierende
Rezeptorvariante, Piezo2. Dieser Sensor sorgt auch für die Wahrnehmung von
Bewegung und der Körperposition im Raum, also der Eigenwahrnehmung Beide
Rezeptoren sind obendrein an der Regulierung von weiteren Körperfunktionen
beteiligt, etwa dem Blutdruck, der Atmung, dem Gehör und wann wir Wasser
lassen müssen.
TRPV1 und ähnliche Kanäle sind nun Ziele, um neue Schmerzmittel zu
entwickeln. Die Entdeckung von Julius habe „eine riesige Welle in der
Schmerzmittelforschung gestartet, die noch läuft“, sagte Gary Lewin vom
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) gegenüber der dpa. Zudem
wird das Wissen genutzt, um neue Behandlungsmöglichkeiten für zahlreiche
andere Krankheiten zu entwickeln. „Die bahnbrechenden Entdeckungen von
TRPV1, TRPM8 und den Piezo-Kanälen durch die diesjährigen Nobelpreisträger
haben uns verstehen lassen, wie Hitze, Kälte und mechanische Kräfte die
Nervensignale auslösen, durch die wir die Welt um uns herum wahrnehmen“,
heißt es in der Laudatio des Nobelpreiskomitees. (Kathrin Burger)
## Chemie: Beschleunigte Reaktionen
Chemie wird schneller und umweltfreundlicher. Mit den Verfahren, die von
den beiden Chemie-Nobelpreisträgern 2021 entwickelt wurden, lassen sich
stoffliche Reaktionen deutlich beschleunigen, was besonders der
Pharmabranche nützt. Geehrt werden der deutsche [4][Chemiker Benjamin List]
und der in Schottland geborene US-Forscher David MacMillan für ihre Methode
der „asymmetrischen Organokatalyse“, einem neuen Weg zum Aufbau von
Molekülen. List ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung
in Mühlheim an der Ruhr, MacMillan forscht an der Princeton-Universität in
den USA.
List wurde 1968 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Chemiestudium in
Berlin, der Promotion in Frankfurt und einem Forschungsaufenthalt in den
USA kam er 2003 an das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim
an der Ruhr, das er seit 2005 als Direktor leitet.
Die diesjährigen Preisträger hätten einen völlig neuen Weg zum
Beschleunigen chemischer Reaktionen entdeckt, erklärte Johan Åqvist vom
zuständigen Nobelkomitee in Stockholm. „Wir haben damit nun einen dritten
Eckpfeiler neben Enzymen – biologische Katalysatoren, die wir in unserem
Körper haben – und metallbasierten Katalysatoren, die wir in unseren Autos
haben“, so Åqvist. Die komplett neue dritte Kategorie basiere auf kleinen
organischen Molekülen, die verglichen mit den anderen Katalysatoren „sehr
einfach sind“. Sie sind zudem umweltverträglicher, denn Katalysatoren aus
Metall verwenden sehr teure und giftige Elemente wie Platin und Palladium.
Das Jahr 2000, als die Forscher ihre Paper zur Organokatalyse
veröffentlichten, sei „ein eindeutiger Wendepunkt“ gewesen. Die beiden
Forscher zeigten, dass einfache Moleküle ähnlich effizient als
Katalysatoren wirken wie Metalle. Dabei haben diese organischen Moleküle
entscheidende Vorteile: Sie sind vergleichsweise billig, in der Regel
unbedenklich für Mensch und Natur und lassen sich gut recyceln.
Zunächst habe es noch einige Jahre gedauert, bis die praktische Bedeutung
erkannt wurde. Doch heute würden diese Katalysatoren in der gesamten
pharmazeutischen Forschung genutzt sowie für die Produktion von
Feinchemikalien. Als ein Beispiel nannte Åqvist, der Professor am Institut
für Zell- und Molekularbiologie an der Universität in Uppsala ist, das
Medikament Oseltamivir, „das zu den antiviralen Mitteln zählt, die gegen
die Grippe oder jetzt gegen Covid eingesetzt werden“.
Mittlerweile könne von einer Art „Goldrausch“ auf dem Gebiet der
Katalysatoren gesprochen werden, teilte die Königlich-Schwedische Akademie
der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Die Technik werde bei der
Produktion von Tausenden von Substanzen genutzt, darunter Energiespeicher,
Solarzellen, elastische und zugleich langlebige Materialien und
Medikamente. Mit den neuen Reaktionsbeschleunigern (Katalysatoren) ließen
sich nicht nur höhere Mengen einer Substanz herstellen, sondern auch
präzisere Ergebnisse erzielen. So könne die Substanz Strychnin nun
7.000-mal effizienter hergestellt werden
Die Nobel-Nachricht erreichte List am Mittwoch beim Familienurlaub in
Amsterdam, von wo er sofort nach Mülheim fuhr. Seinen Kollegen David W. C.
MacMillan konnte das Komitee dagegen nicht direkt informieren. Die Mailbox
musste aushelfen. „Ich hoffe, er ruft mich nach der Pressekonferenz
zurück“, sagte der Generalsekretär der Akademie, Göran Hansson. Dies sei
ihm nach mehr als 50 Glücksbotschaften zum ersten Mal passiert.
Als bislang letzter Deutscher hatte Joachim Frank 2017 den Nobelpreis für
Chemie erhalten. Im vergangenen Jahr waren die Genforscherinnen Emmanuelle
Charpentier aus Frankreich, die am Max-Plank-Institut in Berlin arbeitet,
und Jennifer A. Doudna aus den USA für die Entwicklung der Gen-Schere
ausgezeichnet worden. (Manfred Ronzheimer)
7 Oct 2021
## LINKS
[1] /UN-Klimaziele-vor-dem-Scheitern/!5797656
[2] /Nobelpreis-fuer-Klimaforscher/!5801575
[3] /Nobelpreistraeger-fuer-Medizin/!5801465
[4] /Nobelpreis-fuer-Chemie/!5801677
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
Kathrin Burger
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Schwerpunkt Klimawandel
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