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# taz.de -- Ausstellung über das Erdölzeitalter: Unsichtbar und allgegenwärt…
> Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt „Oil: Schönheit und Schrecken des
> Erdölzeitalters“. Dem Sponsor VW ermöglicht die Ausstellung, sein Gesicht
> zu wahren.
Bild: Blick in die Ausstellung. Rechts: Entang Wiharsos „Expanded Dreams Tabl…
Ein heikles Thema „aussitzen“, bis es sich erledigt hat: Das kennt man von
der deutschen Politik und Wirtschaft. Es gibt jedoch auch kultur- oder
gesellschaftspolitische Fragestellungen, wie sie sich ein Museum vornehmen
kann, die so etwas wie einen Kairos, also den richtigen, beherzt zu
ergreifenden Zeitpunkt haben – aber auch ein schleichendes Verfallsdatum.
Letzteres scheint die Ausstellung „Oil: Schönheit und Schrecken des
Erdölzeitalters“ erreicht zu haben, die das Kunstmuseum Wolfsburg gerade
eröffnet hat. Sie war einmal in Kooperation mit dem Wiener Belvedere für
den Herbst 2019 geplant, sollte der programmatische Höhepunkt zum
25-jährigen Jubiläum des Hauses werden. Die Absicht: zu sondieren, was ein
Kunstmuseum heute bewirken kann und, nach dem Temperament des damaligen
Direktors, Ralf Beil, welche relevanten Fragen es wohl auch zu stellen hat.
Zur Erinnerung: Damals erreichte der Abgasskandal durch VW-Dieselmodelle,
der von technischen Manipulationen made in Wolfsburg seinen Ausgang
genommen hatte, immer neue Dimensionen, der Fetisch Auto und sein
Verbrennungsmotor waren also heikle Themen vor Ort. Dass Ralf Beil zu
Weihnachten 2018 vorzeitig seinen Posten räumen musste, kam für
Außenstehende zwar unerwartet. Aber, vermutete man eine konzerninterne
Logik, dann doch nicht überraschend, steuert der VW-Konzern doch 30 bis 40
Prozent des Jahresetats des Wolfsburger Privatmuseums bei.
Nun findet die Ausstellung also unter dem neuen Direktor Andreas Beitin
statt, dem ungewöhnlich rasch bereits zum 1. April 2019 installierten
Nachfolger Beils. Er betont, sich schon in seinen Vorstellungsgesprächen
für die Ausstellung eingesetzt zu haben. Das Kunstmuseum ließ zudem jetzt
schriftlich mitteilen, dass eine einvernehmliche Auflösung des Vertrages
mit Ralf Beil unabhängig von der Planung und Durchführung dieser
Ausstellung erfolgte und Andreas Beitin, gemeinsam mit den beiden externen
Kuratoren, vollkommen frei und ohne Einflussnahme Dritter an der
Realisierung der Ausstellung gearbeitet hat.
Die zwei externen Kuratoren, das sind die Kultur- und
Medienwissenschaftler, Wissenschaftshistoriker und Initiatoren der
Ausstellung, Alexander Klose und Benjamin Steininger aus Berlin und Wien.
Sie waren bereits 2016 an das Wolfsburger Haus herangetreten, durchaus in
dem Bewusstsein, „in der Höhle des Löwen neben dem Hauptsitz von VW und
indirekt von diesem weltweit führenden Automobilhersteller finanziert“
tätig zu werden – so liest man es auf der Website ihres spekulativen
Forschungskollektivs „Beauty of Oil“.
Ihr Anliegen ist umso respektabler. Eine umfassende Darstellung der zweiten
Phase einer fossilen Moderne, der sogenannten „Petromoderne“ im 20. und 21.
Jahrhundert, in einer thematisch bezogenen Kunst zu spiegeln, die sich in
der Ausstellung auf 220 Werke und illustrierende Objekte beschränken muss.
Kunst könne mit spezifischer Sensibilität und Radikalität auf Themen
zugreifen, sind sich Klose und Steininger einig, sie glauben an die
seismografische Fähigkeit der Künstler:innen, ihr subjektives wie auch
spekulatives Interpretationsvermögen.
Zudem sei die Kunst Spezialistin fürs Offene, so wie der Ausgang des
Erdölzeitalters ja geohistorisch noch nicht abschließend betrachtet werden
könne. Deshalb griff man zum inszenatorischen Trick der Retrospektive aus
einer fiktiven Zukunft: die Ausstellungsarchitektur will wie archäologische
Grabungsschnitte verschiedene Zeit- und Themenschichten freilegen. Sie
werden von dem expansiven Strahl der Mobilisierung durchkreuzt, der in der
erschlafften Rakete aus gestepptem Baumwollstoff der Französin Silvie
Fleury ein dystopisches Ende findet, allen eskapistischen
Milliardärsträumen vom Verlassen einer devastierten Erde zum Trotz.
Erdöl, diese Jahrmillionen alte, zum energiereichen Rohstoff komprimierte
Biomasse im Erdinneren, bleibt für die allermeisten unsichtbar, ist aber im
alltäglichen Leben omnipräsent. Sie wird nicht nur, zu Treibstoff oder
Heizöl raffiniert, erdklimatisch verheerend und ressourcenökonomisch
schlichtweg dumm, einfach nur verbrannt.
Öl ist auch vielfältiger Rohstoff für eine große Palette chemischer,
pharmazeutischer, kosmetischer und weiterer industrieller Konsumprodukte.
Städte und Landschaften, Architektur und Lebensweisen haben sich durch
erdölbasierte Technologien aber auch das akkumulierte Kapital aus der
Ressourcenausbeutung funktional, ästhetisch und kulturell grundlegend
geändert – ein Thema, das eine eigene Sichtung benötigen würde.
Öl befeuert aber auch wortwörtlich den weltweiten modernen Kolonialismus,
geopolitisches Machtstreben und die konstante internationale Kriegsführung.
So ist die aktuelle Situation in Afghanistan auch eine Folge der
sogenannten Carter-Doktrin des ehemaligen US-Präsidenten: Er begegnete 1980
dem sowjetischen Einmarsch mit der Unterstützung islamistischer Kräfte, um
die Vormachtstellung in der erdölreichen Golfregion zu erhalten – zum Wohle
eines „American Way of Life“.
In dem großzügigen Ausstellungsparcours trifft man nun auf Artefakte, die
von einem rund 180 Millionen Jahre alten Ichthyosaurier – geborgen nach
Probeerschließungen heimischer Erdölstätten im Niedersächsischen unter dem
NS-Regime –, über ideologische Propaganda, plakative Werbung und
affirmative Technikeuphorien – etwa eine präfaschistisch-italienische
„Aeropittura“ von 1916, die Kriegsflugzeuge über dicht gedrängten
Schützengräben verherrlicht – bis zur zeitgeschichtlich dokumentierenden
Fotografie reichen.
Gerade die dokumentierende Fotografie vermag in ihrer kühlen Distanz wie
wohl kein zweites Medium die Ambivalenz einer Petromoderne, ihre
Freiheitsverheißungen, wie auch Zerstörungsgewalten subtil zu kommentieren.
Da wären etwa die farbintensivierten Genrefotos von William Egglestone,
die das Lebensgefühl der amerikanischen Südstaaten in den 1960er-Jahren
einfangen, oder das ikonische schwarz-weiße Luftbild von Margret
Bourke-White: eine DC-4-Maschine, wie sie 1939 majestätisch über die
ultramoderne, urbane Topografie Manhattans fliegt. Nur wenige Jahre später
verfasste Bourke-White als Kriegsberichterstatterin aber auch Bilder der
Vernichtung nach US-amerikanischen Bombardements, etwa der
Mineralölindustrie im dritten Seehafen Hamburg-Harburg.
Trotz all ihrer Ambition verlässt man die materialreiche, in ihrer
kulturhistorischen Dimension nur über die Begleitpublikation zu
erschließende Ausstellung mit geteilten Gefühlen: Was sich vor zwei Jahren
noch zu einem systemkritisch erfrischenden und politischen Statement hätte
entwickeln können, erscheint jetzt wie eine kuratorische Pflichtübung, zur
Gesichtswahrung nicht nur des VW-Konzerns.
Denn selbst in der ehemaligen Hochburg des Verbrennungsmotors ist ja längst
eine postfossile Einsicht eingekehrt, wie man spätestens in der Tiefgarage
unter dem Museum bemerkt: sie ist auch an einem geschäftigen Werktag nur
zur Hälfte belegt, zudem mit 55 Elektro-Ladestationen nachgerüstet.
21 Sep 2021
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
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