| # taz.de -- Neue Serie zu britischem Polit-Skandal: Von ihr selbst erzählt | |
| > Hochverrat? Die TVNow-Serie „Die skandalöse Affäre der Christine Keeler“ | |
| > interessiert sich endlich für die Protagonistin des „Profumo“-Skandals. | |
| Bild: Sophie Cookson ist umwerfend in der Titelrolle der Christine Keeler | |
| Liegt’s an der Monarchie? Oder an [1][der besonders ausgeprägten | |
| Klassengesellschaft]? Nirgends scheint es jedenfalls einen derart | |
| fruchtbaren Boden für Skandale aller Art zu geben wie in Großbritannien. | |
| Und nirgends widmet man sich auch deren Aufdeckung und der medialen | |
| Aufarbeitung leidenschaftlicher. Selbst in Film und Fernsehen hat sich | |
| inzwischen irgendwo entlang der Grenze zwischen Historiendramen und | |
| True-Crime-Geschichten ein neues Subgenre etabliert, das sich den | |
| pikantesten dieser Fälle widmet, wie nach Stephen Frears „A Very English | |
| Scandal“ nun auch der Sechsteiler „Die skandalöse Affäre der Christine | |
| Keeler“ unter Beweis stellt. | |
| Die Ereignisse, um die es in der von der Autorin Amanda Coe verantworteten | |
| Serie (zu sehen seit dem 27. September bei TVNow) geht, kennt man gemeinhin | |
| [2][als die Profumo-Affäre.] John Profumo, Anfang der 1960er Jahre | |
| Kriegsminister der konservativen britischen Regierung und aussichtsreicher | |
| Anwärter auf den Posten des Premiers, musste nach Monaten der Täuschungen, | |
| MI5-Untersuchungen und endlosen Presseberichten eine Affäre mit der | |
| 19-jährigen Christine Keeler eingestehen. Ein Skandal war das nicht nur | |
| deswegen, weil der Politiker verheiratet war, sondern weil er erstens im | |
| Parlament gelogen hatte und zweitens die junge Frau auch Umgang mit einem | |
| hochrangigen Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft pflegte und der | |
| Verdacht von Spionage und Hochverrat aufkam. | |
| Die Geschichte des Vorfalls, in dem die treibende Kraft der Londoner | |
| Osteopath und Lebemann Stephen Ward war, der gerne junge Frauen mit | |
| einflussreichen Männern zusammenbrachte, wurde schon häufiger aufgegriffen | |
| und erzählt, sei es in dem Film „Scandal“ mit John Hurt und Ian McKellen, | |
| im Musical „Stephen Ward“ von Andrew Lloyd Webber oder auch in einer Folge | |
| der zweiten Staffel von „The Crown“. Was nun „Die skandalöse Affäre der | |
| Christine Keeler“ (von der BBC übrigens schon Ende 2019 ausgestrahlt) | |
| auszeichnet, ist die Perspektive: Denn während der Fokus sonst meist auf | |
| Profumo oder Ward lag, interessiert sich die Serie nun maßgeblich für | |
| Keeler selbst. | |
| Amanda Coe, die schon den sehenswerten Vierteiler „Nachdem ich ihm begegnet | |
| bin“ schrieb, rüttelt nicht an hinlänglich bekannten Fakten (Keeler selbst | |
| wurde wegen Meineid zu neun Monaten Haft verurteilt), setzt aber neue | |
| Schlaglichter. Sie zeigt auf, dass nicht nur Sex und Macht, sondern auch | |
| Faktoren wie soziale Herkunft und Rassismus in dem Fall eine Rolle spielten | |
| – und sie begnügt sich nicht damit, ihre fraglos naive Protagonistin auf | |
| Stereotype wie schmückendes Beiwerk oder durchtriebenes Luder zu | |
| reduzieren, wie es die Männer in ihrem Umfeld genauso wie die Presse taten. | |
| ## Sehenswert wie immer | |
| Visuell ist all das so aufwändig-gediegen umgesetzt, wie man es von einer | |
| Produktion dieser Art inzwischen erwartet; und auch schauspielerisch ist | |
| britische Qualitätsarbeit angesagt. Sophie Cookson – die in dem Film | |
| „Geheimnis eines Lebens“ schon in einen anderen, weniger glamourösen | |
| Spionageskandal verwickelt war – ist umwerfend in der Titelrolle, James | |
| Norton (ab kommender Woche auch in „Nowhere Special“ im Kino zu sehen) als | |
| Ward sehenswert wie immer und der zu Unrecht viel zu unbekannte Ben Miles | |
| als Profumo erfreulich subtil. | |
| Auch dass die der Serie zugrunde liegende Affäre aus heutiger Sicht fast | |
| ein wenig harmlos wirkt, tut dem Vergnügen keinen Abbruch, zumal Coe sowie | |
| die Regisseurinnen Andrea Harkin und Leanne Welham die Geschichte | |
| hinreichend schwungvoll erzählen. Einzig das Aufbrechen der Chronologie | |
| durch permanente Zeitsprünge wirkt arg bemüht und überflüssig. Viel zu | |
| viele Serien dieser Tage erliegen der Annahme, mindestens drei verschiedene | |
| Handlungsebenen pro Folge müssten sein, um irgendwie als komplex und clever | |
| zu gelten. Doch in Wirklichkeit sorgt eine solche Erzählstruktur in den | |
| seltensten Fällen für Mehrwert, sondern verwirrt im Gegenteil eher unnötig, | |
| wie aktuell – apropos Skandalaufarbeitung – auch „American Crime Story – | |
| Impeachment“ auf ganz besonders enervierende Weise zeigt. | |
| Ein Glück, wenn die Geschichte, die es dabei zu erzählen gilt, wie im Fall | |
| von „Die skandalöse Affäre der Christine Keeler“ stark genug ist, das | |
| aufzufangen. | |
| 28 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Patrick Heidmann | |
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