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# taz.de -- Erfahrungen beim Heterodating: Aus einem anderen Jahrhundert
> Liebeskummer lässt einen Dinge ausprobieren. Wer seine Tinder-App auf
> „alle Geschlechter“ umstellt, kann allerdings schnell genug haben.
Bild: „Männer, lol“
Bis vor wenigen Wochen hatte ich noch nie [1][einen cis Mann] über eine
Onlineplattform gedatet. Dabei habe ich nichts gegen Männer, gelegentlich
finde ich auch mal einen ganz attraktiv. Was Online-Dating angeht, habe ich
es in meinem Freund*innenkreis sogar zu einem gewissen Expertinnenstatus
gebracht. Meine Datingapps waren nur immer so eingestellt, dass mir keine
cis Männer angezeigt wurden. [2][Ich hatte einfach zu viel über Dickpicks
auf Tinder gehört,] gar keinen Bock.
Die Lust aufs Online-Daten kommt bei mir in Wellen. Meist korrespondieren
sie mit einer großen Unlust, am Schreibtisch zu sitzen mit dem damit
einhergehenden Verlangen, stattdessen Bilder von gut aussehenden Leuten hin
und her zu swipen. Mit der jüngsten Welle kam mir die Idee, einmal etwas
völlig Neues auszuprobieren: Männer daten.
Ich gebe zu, meine letzte Trennung ist noch nicht lange her und
wahrscheinlich habe ich einfach meinen Ex-Freund vermisst. So irrational
das auch sein mag, nach der vorherigen Trennung von meiner Ex-Freundin
hatte ich lange Zeit auch nur Frauen auf dem Radar.
Ich hätte mich natürlich auf OKCupid anmelden und sorgsam die Profilromane
linksradikaler lost boys sortieren können. Aber das war mir zu viel
Aufwand, dafür, dass ich mich doch nur ein bisschen vom Arbeiten und
Liebeskummer ablenken wollte. Good old Tinder also.
## Fast nur noch Männer
Kaum hatte ich meine Präferenzen in der App auf „alle Geschlechter“
umgestellt, wurden mir fast nur noch Männer angezeigt. Während ich mich
durch diesen Schwall an durchschnittlicher Männlichkeit swipte, fühlte ich
mich wie früher mit 18, wenn ich nach dem Feiern alleine über die Hamburger
Reeperbahn zur S-Bahn ging. Erinnerungen an grölende Männertrauben kamen in
mir hoch, an Wolken von Aftershave und Bierfahnen, hässliche Sprüche,
unkontrolliertes in mich Hineintorkeln, Hände an meinem Körper.
Datingapps sind zum Glück geruchs- und gefühlsneutraler als die Reeperbahn.
Dennoch fühlte ich mich völlig übermannt. Ein Auszug aus meiner nicht ganz
repräsentativen Studie zu Männlichkeitsklischees auf Tinder: Bilder mit
nacktem Oberkörper, Bilder im Fitnessstudio, Bilder in Anzug, Bilder in
oder vor Autos, Bilder beim Surfen, Klettern, Paragliden.
Die Aussage dahinter: „Ich bin stark, ich bin erfolgreich, ich bin mutig“.
Männer lol. In welchem Jahrhundert ist bitte dieses Heterodating hängen
geblieben? Eine zaghafte Weiterentwicklung des dominanten
Männlichkeitsbildes könnte die ebenfalls sehr beliebte Kategorie „Bilder
mit süßen Katzen und Hunden“ andeuten. Vielleicht sollen sie vermitteln:
„Ich bin stark und erfolgreich, aber auch liebevoll und einfühlsam“? Oder
aber sie bedeuten nichts weiter als: „Guck mal, immerhin mein Hund ist
cute.“
Mit ganzen drei cis-männlichen Matches habe ich mich sogar getroffen. Wie
das ablief, erzähle ich hier vielleicht ein anderes Mal. Spoiler: Das
Experiment hat keine sechs Wochen gedauert. Meine Dating-Apps sind wieder
auf FLINTA* eingestellt. Dinge, die man tut, weil man den Ex-Freund
vermisst, sind einfach selten eine gute Idee.
7 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Lou Zucker
## TAGS
Kolumne Hot und hysterisch
Dating
Gender
Kolumne Hot und hysterisch
Erwachsene
Didier Eribon
Reality-Show
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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