| # taz.de -- Schule in Uganda: Unterricht nur mit Glück und Geld | |
| > Ugandas Schulen dürfen erst öffnen, wenn die Lehrer geimpft sind. Doch | |
| > das Vakzin reicht nicht. Patrick Kabuye unterrichtet heimlich zu Hause. | |
| Bild: Jugendliche in Kampala bei einer Radio-Schulstunde, die es für höhere J… | |
| Kampala taz | Die 6-jährige Veronica hüpft in pinkfarbenem Kleid und mit | |
| rosa Rucksack auf dem Rücken eine matschige Straße entlang. Es ist kurz vor | |
| acht Uhr an diesem Montagmorgen in Ugandas Hauptstadt Kampala. Doch wo | |
| sonst Hunderte Schulkinder um diese Uhrzeit in Richtung Schule im | |
| Stadtviertel Makindye laufen, ist Veronica dieser Tage fast die Einzige, | |
| die sich auf den Weg macht. | |
| Aufgrund der [1][Coronakrise] sind Schulen, Kindergärten und Universitäten | |
| in Uganda offiziell noch immer geschlossen. Mitte Juni hatte Ugandas | |
| Präsident Yoweri Museveni einen weiteren, strikten Lockdown verhängt. Seit | |
| Anfang August sind zwar die Geschäfte wieder geöffnet, doch | |
| Bildungseinrichtungen bleiben geschlossen. Es ist bereits das zweite Mal | |
| seit Beginn der Pandemie in Afrika im März 2020, dass Ugandas Kinder über | |
| Monate hinweg keinen Unterricht besuchen dürfen. Viele haben seit | |
| eineinhalb Jahren kein Klassenzimmer von innen gesehen. | |
| Veronica hat Glück. Ihr Lehrer Patrick Kabuye wartet bereits am Tor seines | |
| kleinen Ziegelhauses in einer Seitenstraße im Stadtviertel Makindye auf | |
| sie. Der Grundschullehrer trägt ein weißes Poloshirt mit dem Aufdruck der | |
| „Happy Years“-Grundschule, an welcher er sonst Veronicas erste Klasse | |
| unterrichtet. „Guten Morgen“, begrüßt er das Mädchen und gibt ihr mit ei… | |
| Wink zu verstehen, dass sie an der Türschwelle ihre matschigen Schuhe | |
| ausziehen soll. Sie stellt ihre Sandalen neben die der anderen Kinder. | |
| ## Seit Monaten keine Schule | |
| Seitdem die Schulen dicht sind, bringt Kabuye den Kindern Lesen und | |
| Schreiben in seinem Wohnzimmer bei. „Einige haben seit Monaten keinen Stift | |
| in der Hand gehabt“, sagt der Lehrer und runzelt die Stirn: „Viele Kinder | |
| werden depressiv, wenn sie zu lange zu Hause sind und nichts tun.“ Dann | |
| zeigt er auf ein 4-jähriges Mädchen in gelbem Rock und mit glitzernden | |
| Ohrringen, das im Garten spielt: Seine Tochter. „Ich sehe das Problem an | |
| meinen eigenen Kindern“, sagt er. | |
| Patrick Kabuye ist einer der zahlreichen Lehrer*innen des Landes, die | |
| derzeit Privatunterricht zu Hause anbieten. „Wir Lehrer müssen ja auch von | |
| etwas leben“, so der 45-Jährige. Mit den Privatkursen verdient er sich | |
| etwas Geld. Denn bislang war er an einer Privatschule angestellt – und | |
| seitdem diese dicht sind, bekommen die Lehrkräfte keine Gehälter | |
| ausbezahlt. | |
| Nur die Lehrer*innen an staatlichen Schulen erhalten weiter ihren Lohn. | |
| „Ich glaube nicht, dass die Schulen in diesem Jahr wieder öffnen“, seufzt | |
| er und blickt die Straße entlang, ob noch weitere Schüler eintreffen. Doch | |
| nur wenige Eltern können sich den Privatunterricht derzeit leisten. Der | |
| Lockdown hat die Wirtschaft des Landes stark getroffen – viele Eltern haben | |
| ihre Jobs verloren. | |
| Ugandas ohnehin marodes Bildungssystem liegt am Boden. Die jüngste | |
| Coronawelle, die im Juni erneut zum vollen Lockdown führte, hatte sich im | |
| Frühjahr vor allem in den zahlreichen Schulen und Internaten des Landes | |
| ausgebreitet. In den völlig überfüllten Klassenzimmern und Schlafsälen der | |
| Internate hatte die aus Indien eingeschleppte Delta-Variante des Virus, die | |
| auch die jüngere Bevölkerung vermehrt traf, ein leichtes Spiel. | |
| Im April und Mai stiegen die Infektionszahlen vor allem unter | |
| Schüler*innen und Lehrkräften enorm. Die Intensivstationen der | |
| Krankenhäuser füllten sich mit jungen Menschen. Vor allem die Internate, in | |
| denen Tausende Kinder auf engem Raum leben, wurden zum Seuchenherd. | |
| ## Schulen von heute auf morgen dicht | |
| In einer Ansprache an die Nation im Juni befahl Präsident Museveni den | |
| Eltern landesweit, ihre Kinder aus den Internaten zu holen. Auf den Straßen | |
| vor den Schulgebäuden kam es zu kilometerlangen Staus. Von heute auf morgen | |
| wurden alle Schulen dicht gemacht. Seitdem sitzen 15 Millionen | |
| schulpflichtige Kinder und Jugendliche zu Hause. In den Zeitungen reihen | |
| sich täglich die Horrorgeschichten über die Jugendlichen: Die Zahl der | |
| Teenager-Schwangerschaften habe drastisch zu genommen, Kinderarbeit sei zur | |
| Normalität geworden, wer in der Innenstadt im Stau steht, müsse damit | |
| rechnen, dass Kinderhände durch die Fenster greifen, um zu betteln oder zu | |
| stehlen. | |
| Am Online-Unterricht teilnehmen können nur die wenigsten. Aus Patrick | |
| Kabuyes Klasse mit 56 Erstklässlern haben nur eine Handvoll Zugang zu einem | |
| Computer zu Hause, berichtet er: „Die meisten Eltern können sich die | |
| Internetverbindung nicht leisten.“ Jüngst führte die Regierung hohe Steuern | |
| auf Internetdienste ein – für viele schlicht zu teuer. Statt | |
| Online-Unterricht für wenige via Zoom bietet Lehrer Kabuye deswegen Mathe | |
| und Englisch in seinem Wohnzimmer an. | |
| Er hofft, dass dies bald ein Ende hat. Denn mittlerweile sinken die | |
| Infektionszahlen wieder. Geschäfte, Einkaufszentren und Bürogebäude sind | |
| wieder geöffnet und voll besetzt. Doch für die Öffnung der Schulen wurden | |
| strikte Bedingungen eingeführt. Die Lehrkräfte müssen zuerst gegen das | |
| Coronavirus geimpft werden – so lautet der Beschluss von Ugandas | |
| Bildungsministerium. | |
| „Wenn ihr nicht geimpft seid, werdet ihr nicht für euren Job zugelassen“, | |
| warnte Bildungsministerin [2][Janet Museveni], Gattin des Präsidenten, die | |
| rund eine halbe Million Lehrer*innen des Landes. Den | |
| Schuldirektor*innen erklärte sie, nur diejenigen Schulen würden wieder | |
| geöffnet, deren Lehrpersonal vollständig geimpft sei. Die Polizei werde das | |
| kontrollieren. | |
| ## Einschulungen aufgeschoben | |
| Die Regierung hat in Schulen und Krankenstationen landesweit Impfzentren | |
| nur für Lehrer*innen eingerichtet. Auch Lehrer Kabuye hat sich bereits | |
| impfen lassen. „Wer seinen Lehrerausweis vorzeigt, wird bevorzugt | |
| behandelt“, sagt er. Immerhin: 300.000 Dosen des Impfstoffs Sinovac, die | |
| Uganda im August aus China gesponsert bekommen hatte, waren für Lehrkräfte | |
| reserviert worden. Doch die Spritzen reichten nicht für alle. | |
| Bereits nach wenigen Tagen waren die Dosen aufgebraucht. Belgien hat | |
| weitere 100.000 Dosen des Impfstoffs AstraZeneca geliefert. Doch auch | |
| dieser reiche nicht, klagt Bildungsministerin Museveni bei einem Treffen | |
| mit den europäischen Botschaftern Anfang September. Sie hofft auf mehr | |
| Impfdosen aus Europa: „Unsere Schüler sitzen weiter zu Hause.“ | |
| Unterdessen werden in Talkshows im Radio und Fernsehen sowie in den | |
| Zeitungen geleakte Pläne aus dem Bildungsministerium für die Schulöffnung | |
| diskutiert. Über ein genaues Datum, wann der Unterricht wieder losgehe, | |
| schweigt sich das Ministerium aber aus. Man warte auf mehr Impfdosen, heißt | |
| es dort. | |
| Doch die Zeit drängt. Uganda hat eine der höchsten Geburtenraten weltweit. | |
| Von Herbst 2020 bis Frühjahr dieses Jahres waren nur die Abschlussklassen | |
| der Grund- und weiterführenden Schulen mit Abstandsregeln wieder im | |
| Klassenzimmer zugelassen. Da im vergangenen Jahr jedoch keine Erstklässler | |
| aufgenommen worden waren, hat sich mittlerweile die Zahl derjenigen Kinder, | |
| die nun eingeschult werden müssten, verdoppelt. | |
| ## Abstandsregeln einhalten wird unmöglich | |
| Dabei sind die Klassenzimmer ohnehin schon überfüllt. Lehrer Kabuye weiß, | |
| was das bedeutet: „Es kann sein, dass sich bald 100 Kinder in ein | |
| Klassenzimmer quetschen müssen“, seufzt er – schier unmöglich, die | |
| Abstandsregeln einzuhalten. | |
| Der Plan des Bildungsministeriums sieht deswegen vor, die Grundschulklassen | |
| zu teilen: Eine Hälfte der Schüler wird vormittags, die andere Hälfte wird | |
| nachmittags unterrichtet. Schüler*innen, die Internate besuchen, müssen zu | |
| Schulanfang einen negativen Covid-Test vorzeigen. „Die Eltern sind | |
| wahrscheinlich finanziell nicht in der Lage, die Tests zu bezahlen“, merkt | |
| Joseph Kiggundu, Vorsitzender des Verbandes der Privatschulen in Uganda, | |
| an. | |
| Er kritisiert die Bedingungen des Bildungsministeriums: „Wir sollten uns | |
| besser angucken, wie andere Länder in Afrika das Problem lösen“, sagt er | |
| und nennt als Beispiel die Nachbarländer Kenia und Ruanda. Dort hat das | |
| neue Schuljahr längst begonnen – obwohl die Infektionszahlen vergleichbar | |
| sind. | |
| 22 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
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