| # taz.de -- Ende der Afghanistan-Luftbrücke: Müdigkeit, Wut und Verzweiflung | |
| > Die Bundeswehr hat ihre Evakuierungsflüge eingestellt. Tausende ehemalige | |
| > Ortskräfte bleiben zurück. Neue Fluchtwege sind erst mal nicht in Sicht. | |
| Bild: Zugang geschlossen: Auf Ausreise hoffende Menschen in Kabul | |
| Berlin taz | Beat Wehrle hat in den letzten Tagen kaum geschlafen. Er ist | |
| Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation Terre des Hommes und hat die | |
| komplette Nacht auf Donnerstag telefoniert, um seine Leute aus Kabul zu | |
| retten. Da wäre zum Beispiel der Chef einer Partnerorganisation aus der | |
| Provinz Herat: Er hat jahrelang für Frauenrechte gearbeitet, erhielt | |
| bereits seit Monaten Drohungen und steht auf Wehrles Liste der gefährdeten | |
| Personen ganz oben. Schon vor acht Wochen habe man ihn nach Kabul geholt | |
| und wochenlang vergeblich um ein Visum gekämpft. | |
| Seit dem Fall der Hauptstadt hat Wehrle versucht, den Mann [1][in einem | |
| Evakuierungsflugzeug] unterzukriegen. Einen Platz hätte er am Ende sogar | |
| bekommen. Nur: Es gab keinen Weg in den Flughafen. | |
| „Wir haben alles versucht, aber für keinen Partner gab es einen Platz in | |
| einem Konvoi oder irgendeine Begleitung“, sagt Wehrle. Müdigkeit, | |
| Verzweiflung und Wut klingen in seiner Stimme mit – wie bei vielen, die in | |
| den letzten Tagen versucht haben, auf den letzten Drücker noch Menschen aus | |
| Afghanistan herauszuholen. | |
| Chancen auf eine Evakuierung durch westliche Militärflugzeuge haben jetzt | |
| nur noch die wenigsten. Der letzte Flug der Bundeswehr hob am | |
| Donnerstagnachmittag vom Flughafen Kabul ab. Auch die Partnerstaaten werden | |
| ihre Flüge in den nächsten Tagen wie erwartet einstellen: Am Dienstag läuft | |
| das Ultimatum der Taliban ab. Um die nächste militärische Konfrontation zu | |
| vermeiden, muss bis dahin auch das letzte Flugzeug verschwunden sein. | |
| Allein die USA müssen bis dahin noch knapp 6.000 Soldat*innen und | |
| militärisches Equipment ausfliegen. In den letzten Tagen wollen die | |
| Amerikaner den Flughafen dafür für sich allein haben, die Partner müssen | |
| also schon vorher abziehen. Daher verlässt die Bundeswehr Kabul schon | |
| jetzt. | |
| Das Taliban-Ultimatum ist aber natürlich längst nicht mehr das einzige | |
| Problem für die Evakuierungsbemühungen. Am frühen Donnerstagabend | |
| (Ortszeit) ist geschehen, wovor zuletzt viele Angst hatten: [2][Zwei | |
| Attentate in unmittelbarer Nähe des Flughafens], dutzende Tote, noch mehr | |
| Verletzte. Vor den Flughafentoren hatten etliche Menschen ausgeharrt, in | |
| der Hoffnung, vielleicht doch noch in einem der Flugzeuge unterzukommen – | |
| trotz Warnungen vor möglichen Anschlägen. | |
| ## Geheimdienstwarnung vor dem IS | |
| „Wir wissen, dass die Terrordrohungen sich massiv verschärft haben und | |
| deutlich konkreter geworden sind“, hatte Bundesverteidigungsministerin | |
| Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wenige Stunde vor den Explosionen in | |
| Berlin gesagt. Geheimdienste hatten vor Anschlägen des IS gewarnt, der in | |
| Afghanistan in Konkurrenz zu den Taliban aktiv ist. Sicherheitshalber | |
| wurden schon vor dem Attentat kaum noch Passagiere durch die Flughafentore | |
| gelassen. | |
| Militärisch gesicherte Konvois oder Hubschrauberflüge auf das Gelände | |
| wurden durch die Terrorgefahr ebenfalls erschwert. Während der | |
| Menschenrechtler Beat Wehrle in der Nacht auf Donnerstag noch versuchte, | |
| Hilfe für den Kollegen aus Herat zu organisieren, flog die Bundeswehr | |
| bereits ihre Helikopter nach Taschkent aus. Nicht die Plätze in den | |
| Evakuierungsflugzeugen waren das Nadelöhr, sondern der Zugang zum | |
| Flughafen. | |
| Wie viele Menschen, die eigentlich zur Ausreise nach Deutschland berechtigt | |
| wären, nun in Afghanistan zurückbleiben, ist unklar. Das Auswärtige Amt hat | |
| keine genauen Zahlen, geht aber davon aus, dass allein über 10.000 der | |
| sogenannten Ortskräfte zurückbleiben könnten. Was mit ihnen passiert? Die | |
| Bundesregierung spricht von anderen Wegen nach dem Abzug. Der deutsche | |
| Diplomat Markus Potzel, zu Verhandlungen mit den Taliban in Katar, | |
| berichtete auf Twitter, die neuen Machthaber ließen Afghanen mit | |
| „Dokumenten“ auch nach dem 31. August noch aus dem Land. Offen ist aber, | |
| welche Dokumente genau gemeint sind – und auf welchem Weg die Menschen | |
| ausreisen könnten. | |
| ## Keine Flüge ohne das Ausland | |
| Der Flughafen wird nach dem Abzug der USA und ihres Equipments nicht mehr | |
| benutzbar sein. Ohne Hilfe aus dem Ausland können ihn die Taliban kaum | |
| betreiben. Aktuell verhandeln sie mit der Türkei über Unterstützung, der | |
| Ausgang der Gespräche ist aber unklar. Ein Knackpunkt ist, dass die Türkei | |
| wohl kaum Spezialist*innen ohne militärischen Schutz nach Kabul | |
| schicken würde, aber die Taliban kein ausländisches Militär mehr im Land | |
| haben möchten. Bliebe noch die Ausreise über den Landweg in die | |
| Nachbarländer, was ohne Zustimmung der Taliban aber auch nicht | |
| funktionieren wird. | |
| „Die Bundesregierung schürt Hoffnungen, die sie nicht halten kann“, sagt | |
| der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour. „Nach dem Abzug vom | |
| Flughafen gibt es keinen Weg aus dem Land mehr. Wenn überhaupt, dann geht | |
| es nur mit viel Geld für die Taliban. Wir sind komplett erpressbar.“ | |
| Zumindest nahtlos, das steht fest, wird es nach dem Ende der Luftbrücke | |
| keine neuen Evakuierungswege geben. Bei Terre des Hommes bemüht man sich | |
| deshalb im Moment darum, den Partner aus Herat zunächst, so gut es geht, in | |
| Kabul zu verstecken. „Wir haben Angst, dass die Taliban jetzt ihr wahres | |
| Gesicht zeigen werden“, sagt Beat Wehrle. Ein paar Tage wolle man abwarten, | |
| die Situation sondieren, dann nach neuen Wegen aus dem Land suchen. Viel | |
| Vertrauen in die Bundesregierung ist bei ihm aber nicht geblieben. „Es | |
| heißt, man wolle die Leute nicht fallen lassen“, sagt er. „Sie liegen aber | |
| längst am Boden.“ | |
| 27 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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