# taz.de -- Entwicklungsökonom über Taliban: „Wir müssen uns nicht verstec… | |
> Den Taliban die Konten einzufrieren ist ein logischer Schritt, sagt | |
> Andreas Fuchs. Doch so könnte ein „Entwicklungshilfeschock“ drohen. | |
Bild: Hilfsgelder aus dem Ausland werden die Afghanen weiterhin brauchen | |
taz: Herr Fuchs, die USA und ihre westlichen Verbündeten sind raus aus | |
Afghanistan, haben dem Talibanregime zugleich aber auch alle Gelder | |
eingefroren. War das eine richtige Entscheidung? | |
Andreas Fuchs: Die Entscheidung ist in meinen Augen nachvollziehbar. Die | |
westlichen Regierungen haben als wichtigstes Ziel angegeben, die eigene | |
Bevölkerung und die gefährdeten ausreisewilligen Ortskräfte aus Afghanistan | |
herauszubekommen. Dass die westlichen Länder den Taliban nun die Konten | |
sperren, interpretiere ich als eine Maßnahme, um eine gute | |
Verhandlungsbasis herzustellen. | |
Natürlich ist es aber hoch problematisch, wenn viele zum Teil | |
lebensnotwendige Projekte unterbrochen werden. Solche | |
Entwicklungshilfeschocks können schlimme Auswirkungen auf Teile der | |
Bevölkerung haben. Deshalb muss auch rasch mit den Taliban gesprochen | |
werden, wie die Hilfsmaßnahmen wieder aufgenommen werden können. Vor allem | |
die humanitäre Hilfe muss weiterfließen. | |
Falls es aber dabei bleiben sollte, den Taliban den Geldhahn zuzudrehen – | |
treibt das nicht per se das Land [1][in die Arme von China] und Russland? | |
Ja, diese Möglichkeit besteht. Es hat ja auch schon ein hochrangiges | |
Treffen zwischen der chinesischen Regierung und den Taliban gegeben. Und | |
wir wissen, in China spielen bei Entscheidungen über Entwicklungshilfe die | |
Faktoren Demokratie und Menschenrechte keine Rolle. Einige behaupten gar, | |
dass China Autokratien gezielt fördert. Das ist nach unserer Studienlage | |
aber nicht der Fall. Ob das Land eine Demokratie oder eine Autokratie ist, | |
spielt für China schlicht keine Rolle. Peking folgt da einfach dem Prinzip | |
der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Ich halte es also für sehr | |
wahrscheinlich, dass sich Afghanistan China noch weiter öffnet, um an | |
Gelder zu kommen. Russland ist in der Entwicklungszusammenarbeit hingegen | |
ein unbedeutender Akteur. | |
China investiert vor allem in Bergbau und Infrastruktur, um seine | |
Handelswege auszubauen. Lässt sich da überhaupt von Entwicklungshilfe | |
sprechen? | |
Es ist keineswegs so, dass nur westliche Länder Entwicklungshilfe | |
betreiben. China fördert in Afghanistan Projekte, die die OECD-Kriterien | |
von Entwicklungszusammenarbeit erfüllen. Und auch Indien ist ein recht | |
großer Geldgeber in der Region. Wenn wir aber ins Verhältnis setzen, was | |
China in den letzten 15 Jahren im Nachbarland Pakistan an Hilfeleistungen | |
getätigt hat, fällt die tatsächliche Entwicklungshilfe an Afghanistan eher | |
gering aus. China war dort zum Beispiel im Bildungsbereich und der | |
humanitären Hilfe aktiv. Große Infrastrukturprojekte, wie China sie in | |
Pakistan finanziert hat, findet man in Afghanistan auch, aber deutlich | |
weniger. | |
Was hat China bislang gehindert, in Afghanistan aktiver zu sein? | |
Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte sind für China kein Faktor, | |
aber Stabilität. Daran mangelte es in Afghanistan aus Pekings Sicht auch | |
bisher. Inwieweit China sich nun künftig Afghanistan zuwendet, wird davon | |
abhängen, wie stabil das Land unter den Taliban wird. Sollte den | |
[2][Taliban Stabilität] gelingen, was derzeit nicht prognostizierbar ist, | |
dürfte Chinas Interesse an Afghanistan als Wirtschaftspartner steigen. | |
Pakistan ist auch nicht gerade ein stabiles Land. Im Gegenteil, dort ist es | |
letzthin erst wieder zu Anschlägen auf chinesische Einrichtungen gekommen. | |
China konnte Pakistan nicht zuletzt wegen seiner Seidenstraßeninitiative | |
als engen Partner an sich binden. Deswegen entstehen dort die großen | |
Infrastrukturprojekte. Diese Partnerschaft halten beide Seiten nicht | |
zuletzt auch in Konkurrenz zum großen Nachbarn Indien aufrecht. Unsere | |
empirischen Studien auf Basis unserer weltweiten Projektdatenbank zeigen: | |
Wenn China in einem Landesteil ein neues Entwicklungsprojekt startet, zieht | |
Indien rasch nach. Sie scheinen da im Wettbewerb zu stehen. Indien war | |
deswegen auch in Afghanistan so aktiv. Mit den Taliban an der Macht ist | |
nicht nur der Westen als Partner und Geldgeber in Afghanistan weggefallen, | |
sondern wohl auch Indien. | |
Die Regierungen in den zentralasiatischen Ländern nehmen Chinas Geld | |
dankbar an. Doch in der Bevölkerung herrscht gegenüber den Chinesen oft | |
Misstrauen. Chinas Menschenrechtsverletzungen gegenüber der muslimischen | |
Minderheit im eigenen Land, den Uiguren, tragen ebenfalls nicht zur | |
Beliebtheit der Chinesen bei. | |
Das mag sein. Bei der weltweiten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts | |
Gallup haben aber etwa 30 Prozent eine positive Einstellung gegenüber China | |
angegeben und unter 20 Prozent gegenüber den USA. Gegen beide Regierungen | |
scheint es eine große Skepsis zu geben. Aber das Image der USA ist noch mal | |
schlechter. | |
Was könnten die Gründe sein? | |
China spricht bei seinen Projekten nicht von Almosen, sondern betont | |
gegenseitigen Nutzen. Das kommt wohl besser an. Viele Empfängerländer | |
schätzen Hilfe von oben weniger, wie sie, kommt sie von westlichen Gebern, | |
oft empfunden wird. | |
Stellt das nicht die gesamte Entwicklungspolitik des Westens infrage? | |
Es gibt einige Aspekte, die viele dieser Empfängerländer an China schätzen: | |
der Fokus auf Infrastruktur wie Straßen, Schienen und Häfen etwa, wie | |
schnell die Chinesen die Projekte realisieren. Es gibt allerdings auch | |
Aspekte, bei denen die chinesische Art und Weise der Entwicklungshilfe der | |
westlichen unterlegen ist: Die Qualität der realisierten Projekte wird oft | |
bemängelt, viele Projekte der Chinesen sind nicht nachhaltig und werden | |
selten evaluiert. | |
China hat mit seiner Initiative der Neuen Seidenstraße zwar ein sehr gutes | |
Marketing. Wenn wir uns aber mal das Volumen und dem Umfang der | |
europäischen Geber anschauen, müssen wir uns nicht verstecken. Das Problem | |
in Afghanistan ist nicht in erster Linie eines der | |
Entwicklungszusammenarbeit, sondern ein militärisch-strategisches. | |
28 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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