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# taz.de -- Tagebuch des taz-Wahlcamps: Das braune Schaf in der Familie
> Familienfest. Du bist jung, links und anti. Dein Onkel ist alt, weiß,
> patriotisch und … ein Nazi? Über den Umgang mit dem politischen Feind am
> Esstisch.
Bild: Die Sehnsucht des Onkels: Als das Leben noch weiß, männlich und schwarz…
Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahl-Camps der
taz Panter-Stiftung.
Ein Hauch von Deutschland liegt in der Luft. Von einem Deutschland, wie
mein Onkel es mag, bei dem dieses Wochenende Familientreffen angesagt ist.
Die Rollläden halb heruntergelassen, damit die Nachbarn nicht sehen, dass
wir zu Abend essen. Es gibt Hackbraten. Mit Kartoffeln. Mit brauner Soße.
Und natürlich Bitburger aus braunen Glasflaschen. Der Schäferhund liegt
friedlich in der Ecke, nur mich knurrt er im Vorbeigehen kurz an. (Ja, kein
Witz, ein deutscher Schäferhund!)
Alles ist friedlich, beim Essen wird nicht gesprochen. Doch irgendetwas
sträubt sich in mir gegen dieses einstimmige Schweigen und Besteckklappern.
Zum Kaffee gibt es Marlboro Gold und Politik. Dass diese den kleinen Mann
im Stich lasse, knurrt mein Onkel in die Stille. Trotz Schnauzer und
Koteletten hat er mehr was vom HB-Männchen als vom Marlboro Cowboy.
Alles Geld gehe an die Flüchtlinge, sagt er. Doch er benutzt ein anderes
Wort für Flüchtlinge. Sowas komme davon, dass man die Merkel gewählt habe –
Ossi und Frau, mit sowas könne kein Land regiert werden. Merz, der hätte es
sein müssen. Es folgen weitere sexistische und rassistische Äußerungen,
dann noch etwas zum Zusammenhang zwischen sexueller Orientierung und
politischer Unfähigkeit des Gesundheitsministers. Autofahren dürfe man ja
bald auch nicht mehr. Dann noch was mit „Stolz“ und „Vaterland“.
Ich schrecke auf. „Alerta, alerta antifascista“ würde ich auf der Demo aus
dem schwarzen Block heraus jetzt rufen. Oder einfach nur „Scheiß Nazi.“
Aber beim Familientreffen? Vor meiner Großmutter, die kurz einwirft, früher
hätte es „sowas“ nie gegeben. „Rassist“ will ich ihm an den Kopf werfe…
„Faschist“. Doch ich komme nicht dazu. Denn nun fällt endlich der
Parteiname, der unausgesprochen im Raum stand – Alternative für
Deutschland.
## Rechtsruck in der eigenen Familie
Über 12 Prozent der Wählenden wählten bei den letzten Bundestagswahlen die
AfD. Genug, als dass sich in den meisten Familien mindestens ein:e
Sympathisant:in findet. Nur ein ostdeutsches Problem ist der Rechtsruck
ganz sicher nicht. Wir sitzen hier in West-Deutschland, und auch von den
Leuten am Esstisch ging bei den letzten Bundestagswahlen mindestens eine
Stimme an die neue braune Partei. An eine Partei, die das Dritte Reich
verharmlost und gegen Ausländer:innen hetzt. Sie scheint die einzige
politische Alternative für meinen Onkel.
Der Rest der Familie nimmt das einfach hin, schweigt. Irgendwann muss auch
er kurz Luft holen. Er zündet sich eine weitere Zigarette an. Dass Rauchen
krebserregend sei, sei ja auch kompletter Unsinn, alles nur, um den
Rauchern über Steuern das Geld abzuzocken. Ich stehe auf und gehe. Der
Schäferhund knurrt wieder.
Am Nachmittag gehe ich spazieren und höre „Bella Ciao“, wie eine Partisanin
im Kampf gegen den Faschismus, das gibt mir Kraft. Sehe einen „Nazis
Boxen“- Sticker an der Ampel kleben. Ist mein Onkel ein Nazi? Und wäre er
nicht mein Onkel, würde ich mich dann prügeln? Beim Abendessen trage ich
mein Che-T-Shirt. Demonstrativ. Herausfordernd. Mein Onkel schaut mich nur
an, sagt nichts, zündet sich eine Zigarette an und schaltet den Fernseher
an. Die Helene-Fischer-Show.
Ist gar kein Dialog besser als sein Wutausbruch am Mittag?
Zum Schweigen habe ich meinem zuvor noch laut bellenden Verwandten
gebracht. Auf ein kurzes Gefühl der Überlegenheit, des Sieges gegen den
Rechtsradikalismus und für das Gute, den Antifaschismus, kommen mir
Zweifel. Mein Onkel, wie er da schweigend und mit hohem Blutdruck im Sessel
sitzt und dem Schäferhund den Kopf krault, denkt doch weiter, wie er denkt.
Und wählt, wie er wählt.
## Mit Che und Marx gegen den rechtsgesinnten Onkel?
Ich habe nichts gewonnen. Ich bin wie er geworden. Habe ihn abgegrenzt,
habe die Möglichkeit verringert, „mit einer durchschlagenden Kraft der
Vernunft“ zu überzeugen, wie Adorno fordert. Habe vielmehr der AfD recht
gegeben, wenn diese sagt, sie werde im Diskurs ignoriert, ausgegrenzt. Ich
habe zu Spaltung beigetragen, im Zeichen von Demokratie und Toleranz. Ich
werfe ihm eine Verklärung der deutschen Vergangenheit vor und trage dabei
Che Guevara auf der Brust. Auch nicht ganz unproblematisch. Die
Internationale zu hören und Marx zu lesen, fühlt sich gut an.
Antifaschismus richtig. Nationalismus falsch.
Ich versuche Rassismus zu bekämpfen, indem ich mich von allem Deutschen
abwende. Ist Nationalismus etwa schon Faschismus? Ist auch Patriotismus
wirklich verwerflich? Ich kann meine deutsche Herkunft schließlich nicht
leugnen. Sollte ich sie verachten?
Mein Onkel hat einen Job, als Friseur. Gegenüber von seinem Laden halte
oftmals ein asiatisch aussehender Mann im Anzug in seinem Mercedes. Mein
Onkel ist sich sicher, dieser sei in den Menschen- oder Organhandel
verwickelt. Mein Onkel fühlt sich nicht vertreten von der Politik,
orientierungslos, überfordert in einer globalisierten Welt.
Er sehnt sich nach einem Deutschland der 70er und 80er zurück. Einem
Deutschland, mit dem er sich identifizieren konnte. Einem Deutschland, das
es nie gab, in dem er aber jung, gut aussehend und gesund seiner Zukunft
entgegen geschaut hat. Er erzählt von der Fußball-WM `90, die Deutschland
gewonnen hatte, wo schwarz-rot-gold wehend die Flaggen aus den Autofenstern
hingen. Niemand habe das damals faschistisch genannt.
## Hunde, die bellen, …
Ist sein ganzer Hass womöglich doch nur ein stummer Schrei nach Liebe? Das
wäre zu einfach. Andererseits sind es womöglich doch einfach nur Aussagen
eines vom Leben und Politik frustrierten Menschen. Kann man die nicht
einfach stehen lassen? Sind ja nur gesprochene Worte eines immer älter
werdenden Mannes, die im Raum verhallen. Birgen sie überhaupt eine Gefahr?
Ist es nicht bekanntlich so, dass Hunde, die bellen, nicht beißen?
Zum Einschlafen lese ich die Aufschriebe von Adornos Vortrag zu „Aspekte
des neuen Rechtsradikalismus“ von 1967. „Wie diese Dinge weitergehen und
die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an
uns,“ lese ich. Damals hatte die neu gegründete NPD einen plötzlichen
Aufstieg geschafft und wurde später innerhalb weniger Jahre in sieben
Landtage gewählt.
Am nächsten Tag telefoniere ich im Freundeskreis rum. Der eine findet es
„eigentlich ganz spannend“, mit seiner etwas esoterisch angehauchten
AfD-wählenden Tante zu sprechen. Sei zumindest noch das Spannendste beim
Familientreffen. Aha. Eine Freundin erzählt, sie habe es geschafft ihre
Großmutter zu überzeugen, ihr Kreuz bei den Republikanern zu setzen, die
seien zwar auch super rechts, aber immerhin gehe dann eine Stimme weniger
an die AfD. Okay.
Der dritte klingt selbst resigniert von der Politik, sind halt
Protestwähler, „kann ich denen nicht verübeln“. Und Rassismus sitze sowie…
viel tiefer, selbst bei denen, die nicht rechts wählen. Wenigstens stehen
diese ehrlich zu dem, was sie denken. „Bei uns gibt’s keine
Familientreffen, wir sind alle zerstritten“, schreibt eine Freundin.
## Adorno und die Kraft der Vernunft
„Mit einer durchschlagenden Kraft der Vernunft“ sollen wir dem Problem des
neuen Rechtsextremismus etwas entgegensetzen, meint also Adorno. Das
unterstreiche ich. Und dass dieser aus einer Angst vor dem „Gespenst der
technologischen Arbeitslosigkeit“ im „Zeitalter der Automatisierung“
herrührt, heißt es bei ihm.
Wähler:innen rechtextremer Parteien würden einfache Lösungen für ihre
Misere suchen und Schuldige, an denen sie ihre Wut auslassen können.
Glauben dafür an die populistischen Parolen und Phrasen der rechtsextremen
Politiker:innen, die eigentlich keine Theorie und kein Konzept haben, und
schieben „die Schuld an ihrer eigenen Deklassierung nicht etwa auf die
Apparatur, die das bewirkt habe“, sondern auf diejenigen, die dem System
kritisch gegenüberstanden, wie zum Beispiel das linke Parteienspektrum.
So ist es auch heute bei der AfD. Analysiert man ihre Wahlprogramme bei den
letzten Bundestagswahlen, so ist das neoliberale Wirtschafts- und
Sozialprogramm aber alles andere als zum Vorteil für den kleinen Mann, wie
mein Onkel einer ist.
## Konfrontation am Küchentisch
Am nächsten Tag treffe ich ihn alleine am Küchentisch sitzend. Im weißen
Feinripp-Unterhemd schaut er den Kartoffeln beim Kochen zu, der Gulasch
braucht auch noch. Ich setze mich dazu. Er schaut mich schweigend-rauchend
an, frisch rasiert, ordentlich gekämmt, rote Augen. Heute nicht mehr in die
Luft gehendes HB-Männchen, nur noch desillusionierter Cowboy. Oder
lediglich mein Onkel und politisch mein größter Feind.
„Ich finde die deutsche Politik genauso frustrierend wie du, die Gelder
kommen definitiv nicht bei denen an, die sie eigentlich bräuchten“, sage
ich etwas zusammenhanglos in die Stille hinein. Ich nehme mir eine Marlboro
Gold aus der Schachtel auf dem Tisch, zünde sie mir an, öffne eine der
braunen Bitburgerflaschen und kraule dem vorbeilaufenden Schäferhund den
Kopf. Er lässt es zu.
Ich bin bereit zu reden.
12 Aug 2021
## AUTOREN
Ruth Fuentes
## TAGS
Adorno
Schwerpunkt Antifa
Rechtsruck
Patriotismus
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Friedrich Merz
AfD Hamburg
Tabak
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