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# taz.de -- Die Wahrheit: Achterbahnfahrt um die halbe Welt
> Die wundersame Rückkehr des verschwundenen und offenbar verwunschenen
> Grimme-Preises für den Schauspieler Jochen Horst.
Bild: 1996 zeigt sich Jochen Horst (l.) begeistert über den Grimme-Preis
Plötzlich war der Grimme-Preis da. Viele Menschen standen in der Garage, in
der er unvermutet und wie aus dem Nichts aufgetaucht war, um die Trophäe
mit ihren typischen, mehrere Bildschirme symbolisierenden, spiegelnden
Flächen herum und wunderten sich. Wie er hierhergekommen war, wusste
niemand. Beziehungsweise fast niemand.
Lilli erinnerte sich allerdings schemenhaft daran, dass sie vor vielen
Jahren auf einem arabischen Basar in Usbekistan von einem zwielichtigen
Händler hinter einen Vorhang gebeten wurde. Dort verkaufte er ihr die
superseltene Grimme-Trophäe für 125.000 usbekische Deutschmark mit der
Auflage, über die Herkunft des Preises nicht das kleinste Sterbenswörtchen
in der Öffentlichkeit verlauten zu lassen, denn ansonsten sei sie für immer
verflucht. Lilli fürchtete sich vor dem Fluch und erzählte niemandem davon.
Das hielt sie genau drei Stunden durch, dann gestand sie ihrem Mann, dass
sie einen Grimme-Preis erworben hätte. Ihr Gatte Martin war begeistert:
„Ein Grimme-Preis! Wow! So was hab ich mir schon immer gewünscht!“
Die goldene Plakette, auf der der Grimme-Gewinner hochtrabend gewürdigt
wurde, war leider ein bisschen verrostet. Das war merkwürdig, denn Gold
rostet eigentlich nicht. Es waren nur noch einige wenige Buchstaben auf der
Inschrift erkennbar: „… ch … rst“.
Eilig machten sich Lilli und Martin auf den Weg zurück zum zwielichtigen
Händler in dem auf einer alten Handelsroute zwischen China und dem
Mittelmeer gelegenen usbekischen Städtchen Samarkand, um herauszufinden,
wem die Auszeichnung ursprünglich gehörte. Doch der ominöse Kaufmann war
mittlerweile von einem kleinen Wanderzirkus in den Mittleren Westen
entführt worden, wo er sich als Packesel für zwei Haderlumpen namens Rex
Kramer und Ted Sarg verdingen musste. Nachdem die finsteren Halunken den
dubiosen Händler zu ihrem Spaß mit einer Kehrschaufel traktiert hatten,
wurde der wütend, entrang ihnen die Dreckschüppe und zeigte damit
eindrucksvoll, wo der Teufel seine Hörner hängen hat.
## Hafenspelunke in Shanghai
Gedemütigt und entmutigt machten sich Rex Kramer und Ted Sarg auf den Weg
nach Marrakesch, um dort bei einem bigotten Heiler Hilfe zu suchen. Doch
sie hatten nicht mit dem Zorn des obskuren Händlers gerechnet, der
inzwischen durch die übertriebene Einnahme von Steroiden auf die Größe
eines mittelschweren Blauwals angeschwollen war und in einer finsteren
Hafenspelunke in Shanghai ein paar Spießgesellen angeheuert hatte.
Mutterseelenallein suchten Rex Kramer und Ted Sarg Zuflucht auf einer
kleinen einsamen Insel, die von freundlichen Kannibalen bewohnt wurde. Die
großherzigen Eingeborenen führten aber Übles im Schilde: Als Rex Kramer und
Ted Sarg erschöpft in einen tiefen und traumlosen Schlaf gefallen waren,
schickten die Kannibalen mit der Transsibirischen Eisenbahn ein Telegramm
nach Wladiwostock, in dem sie Kramer und Sarg als billige Mülleinsammler
anboten.
In der Zwischenzeit waren Lilli und Martin schick und für die stolze Summe
von 257,90 Euro essen gegangen und hatten herausgefunden, wem der schöne
Grimme-Preis ursprünglich zugedacht war. Denn sie polierten die kleine
Skulptur auf Hochglanz. Dabei trat der volle Name des stolzen Gewinners
zutage – und er hieß Jochen Horst.
Der Charaktermime hatte schon zu „Derricks“ Zeiten dem deutschen Fernsehen
ein neues Gesicht geschenkt und machte Blockbuster wie „Mutter, ich will
nicht sterben!“ (1994) oder „Im Tal der wilden Rosen – Triumph der Liebe�…
(2007) zu dem, was sie waren. Als Höhepunkt seines Schaffens aber gilt die
Kriminalserie „Balko“, für deren Mitbemimung er im Jahr 1996 im schönen
Ruhrgebietsstädtchen Marl den Adolf-Grimme-Preis verliehen bekam. Vor exakt
25 Jahren!
Flugs begaben sich Lilli und Martin auf den Weg nach Hamburg, um den
stolzen Preisträger pünktlich zu seinem 60. Geburtstag am 7. September 2021
mit dem Wiederauftauchen der offensichtlich zuvor verloren gegangenen
Trophäe zu überraschen. Denn dort in der abgeschiedenen Metropole lebte
Jochen Horst inzwischen, um seine Wahlheimat nur zu verlassen, wenn er für
„Matula“ den „Tod auf Mallorca“ (2019) geben durfte.
## Vulkan in Norddeutschland
Doch die Reise ins Glück des Horsts erwies sich für Lilli und Martin
schwieriger als gedacht, denn ihre kleine Fahrradkolonne wurde unterwegs
von einer Horde johlender Mongolenreiter überfallen, die mit pechgetränkten
Pfeilen auf die rechtschaffenden Grimme-Preis-Überbringer schossen. Lilli
und Martin versteckten sich geistesgegenwärtig hinter einem norddeutschen
Vulkan, der in Kürze auszubrechen drohte. Doch alles ging glatt, der Vulkan
schlief wieder ein, die mongolischen Reiter zogen verwirrt ihrer Wege und
die Reise nach Hamburg konnte per Anhalter weitergehen.
Als der rote Morgen graute und die weißen Schwäne im ockerfarbenen
Hafenbecken langsam erwachten, erreichten Lilli und Martin Berlin. Das war
seltsam, denn hier waren sie aufgebrochen und sie hatten eigentlich nach
Hamburg gewollt. Nach dreimaligem Schütteln mussten sie jedoch kräftig
lachen, denn sie waren doch tatsächlich in Hamburg angelangt. Was für eine
seltsame Achterbahnfahrt.
Und so mussten sich Lilli und Martin erst einmal zur Ruhe begeben und
schliefen ein – und das taten sie so gründlich, dass Jochen Horst noch bis
zu seinem Geburtstag am 7. September 2021 auf die zweite
Grimme-Preisverleihung warten muss.
Inzwischen war es Rex Kramer und Ted Sarg gelungen, den Kannibalen zu
entkommen, und der zwielichtige Händler, mit dem alles angefangen hatte,
führte ein geruhsames Leben als Playboy auf den Malediven. Es bleiben
Fragen, die nicht nur Lilli und Martin umtreiben: Wird sich Jochen Horst
über die Rückkehr seines Preises freuen? Oder hat er ihn womöglich
seinerzeit absichtlich entsorgt? Wurde ihm der Grimme-Preis gar gestohlen?
Oder hat er ihn versetzt? Wir fiebern den Antworten gespannt entgegen.
23 Aug 2021
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Grimme-Preis
Schauspieler
Fernsehen
Journalismus
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