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# taz.de -- Die Wahrheit: Schutt und Asche im Gepäck
> Der Katastrophentourismus wird zum rettenden Konzept einer von Klima- und
> Pandemiekrisen furchtbar gebeutelten Urlaubsbranche.
Urlauben, wo Roland Emmerich gern Regie führen würde“, brainstormt Gesine
Schwindeisen in ihrem Berliner Büro und schüttelt sogleich den Kopf. „Nee,
zu cineastisch. Das versteht Otto Pauschalurlauber nicht.“ Doch schon
zündet der nächste Geistesblitz im Hirn der Touristikerin, die jüngst als
Katastrophenbeauftragte der deutschen Fremdenverkehrsbranche gedungen
wurde.
Die findige Mittdreißigerin soll die hartnäckige Wegfahrsperre lockern, die
manch ängstlichen Kunden noch immer auf der eigenen Scholle hält. Mit
frechen Slogans soll Schwindeisen eruptive Klimawandelfolgen und
explodierende Seuchenzahlen in den Urlaubsgebieten schöntexten, denn die
Verbraucherfurcht droht dem deutschen Flieg- und Fahrgeschäft die Bilanz zu
verhageln.
„Wir müssen unsere Gäste sanft an die veränderten Urlaubsbedingungen
heranführen“, sagt Schwindeisen. „Wenn sie in einem spannenden Risikogebiet
einmal Blut geleckt haben – und das meine ich bloß metaphorisch, glaube ich
–, werden sie sicher wiederkommen.“
Der geneigte Urlaubsgast, so plant es die Branche, soll künftig am globalen
Krisenherd mitköcheln oder zumindest in die Töpfe schauen dürfen. „Der
Katastrophentourismus muss dringend von seinem schlechten Leumund befreit
werden“, erklärt Schwindeisen ihre Mission. „Bald wird er ohnehin die
dominante Form des Tourismus sein, schon die Klimakrise lässt uns da keine
Wahl. Wo soll man denn sonst hin?“
Und so versucht die promovierte Hospitality-Tante die Freuden einer
zunehmend ungemütlichen Welt in marktfähige Worte zu kleiden. „Ferien
machen, wo andere gaffen“, sprudelt es einigermaßen katastrophal aus der
staatlich geprüften Fremdenverkehrsleiterin heraus, doch auch dieser Slogan
wird verworfen. „Greece – Feel the disaster“, probiert Schwindeisen einen
fremdsprachlichen Claim, aber englische Slogans verfangen hierzulande
bekanntlich überhaupt nicht.
## Die beliebtesten Fernziele der Deutschen fackeln allesamt ab
Die sechsfache Herbergsmutter muss neben überzeugenden Werbeworten auch
neue Urlaubskonzepte erfinden, um ihre Branche aus der all-inclusiven
Klima- und Pandemiekrise zu stemmen. Der angeblich schönsten Zeit des
Jahres haftet der Brand- und Pestgeruch des nahenden Weltuntergangs an: Die
beliebtesten Fernziele der Deutschen fackeln allesamt ab, während heimische
Naherholungsgebiete in Starkregen und Schlamm versinken. Zuletzt traf es
das Ahrtal, wo bis zur todbringenden Flut die unkontrollierbaren Schwärme
weinvernichtender Kegelklubs als größte Umweltkatastrophe galten. Dort
steht inzwischen kein Fass mehr auf dem anderen, das Rotwein-Idyll der
alten Bundesrepublik ist mit Mann und Most den über die Ufer getretenen
Bach hinuntergegangen.
„Den Urlauber umfängt Endzeitstimmung, egal wo er hinfährt. Und genau da
müssen wir ihn abholen“, verkündet die Ferienvermarkterin und weist mit dem
Daumen an die Wand. Ein aktuelles Werbeposter zeigt – düster aufragend wie
ein Höllentor – die Silhouette der Athener Akropolis im Flammenschein der
Brände, die dort ganze Ortschaften in Schutt und Asche legen.
„Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“, steht unter dem Foto. Im
Kleingedruckten werden geführte Touren bis in den neunten Kreis der
Flammenhölle angepriesen. „Mit solchen Angeboten locken wir natürlich die
klassischen Bildungsreisenden. Ruinen sind eigentlich ein gesättigter
Markt. Es passiert nicht jeden Tag, dass wir in diesem Segment mit
brandneuen Attraktionen aufwarten können. Aber diese sind gewissermaßen
noch ofenwarm.“
Daneben hängt ein Plakat, das einen verwüsteten Weiler im Ahrtal zeigt.
„Apokalypse Der-now!“, verheißt ein martialischer Schriftzug. Das Angebot
richtet sich an Urlauber, die das Abenteuer suchen, aber wenig Wert auf
Komfort, Elektrizität oder Zivilisation legen.
„Mit dem Mudbike geht es über Staubpisten und Behelfsbrücken bis ins Herz
der Finsternis“, liest die examinierte Kinderlandverschickerin aus dem
zugehörigen Prospekt vor. „Nach einem Begrüßungsumtrunk (Schlammwein)
erkunden wir die höhlenartigen Behausungen der Ureinwohner im Ortszentrum
von Bad Neuenahr. Anschließend laden wir zur exklusiven Querdenker-Safari
durch leer stehende Schulgebäude. Nur ein Abschuss pro Teilnehmer
gestattet.“
## Kreuz- und Geißelfahrten zu Kipppunkten der Erde
Doch nicht nur Trophäenjagden, auch Foto-Safaris mit dem Rastermikroskop
stehen auf Schwindeisens Katastrophen-Programm. „Entdecken Sie unbekannte
Virusvarianten im brasilianischen Großstadtdschungel“, lesen wir in einem
Katalog für Survival-Trips, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen.
Versprochen wird ein Mitspracherecht bei der Namensgebung („die
Gamma-Ihr-Name-Variante“) und ein Mutations-Entdeckerzertifikat, das auch
posthum ausgestellt werden kann, wenn der Impfschutz doch nicht ausgereicht
hat.
Auch Kreuz- und Geißelfahrten zu den ökologischen Kipppunkten von Amazonas
bis Arktis werden angeboten, allerdings gilt das Angebot nur so lange, wie
die Atlantische Meridionale Umwälzanlage läuft und den Golfstrom befeuert.
Der letzte Stopp der Tour liegt in Japan: Im legendären Selbstmörderwald
Aokigahara am Fuße des Fuji kann die eigene Ökobilanz final geschlossen
werden.
Das geht uns doch ein wenig zu weit, aber auch für desaströse Naherholungen
wie die Trekkingtortur „Weltenbrand im Voralpenland“ oder einen
Leverkusen-Trip (mit „Rhein in Flammen“) zu Europas schlechtverstecktester
Giftmüllkippe können wir uns nicht recht erwärmen.
Auf einer Broschüre mit der Aufschrift „Club Med“ glauben wir endlich ein
vertrautes Urlaubskonzept zu entdecken – Cluburlaub unter Palmen mit allem
Drum und Dran an den Stränden des östlichen Mittelmeers.
„Diese Clubs dürfen Sie nicht mit denen des französischen
All-inclusive-Anbieters verwechseln“, klärt uns Schwindeisen umgehend auf.
„Unsere heißen so, weil dort minimale medizinische Versorgung angeboten
wird. Sie wohnen hinter Stacheldraht mit 300 anderen Flüchtlingen in
undichten Zelten. Nun, womöglich ist die Verwechslungsgefahr mit den
anderen Club Meds doch ein wenig zu groß.“
Die zertifizierte Fernwehtherapeutin beginnt gleich wieder zu brainstormen
und kritzelt Slogans auf ein Whiteboard. „Wie finden Sie ‚Welcome to Club
Cataclysm‘?“, fragt Schwindeisen, und wir zucken ahnungslos mit den
Schultern. Die Tourismusmarketenderin wertet unser sprachliches Unvermögen
als Zustimmung. Dabei verfangen englische Slogans hierzulande wirklich
nicht.
14 Aug 2021
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Katastrophe
Tourismus
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