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# taz.de -- Die Wahrheit: Ein Gold namens Holz
> Klimakrise und wachsende Nachfrage aus aller Welt: Baustoffe verteuern
> sich rasant. Mit verheerenden Folgen für die Branche.
Bild: Bauholz ist inzwischen knapp. Latten sind enorm teuer. Da bleibt kaum was…
„Und zum Dritten! Verkauft! Damit geht diese einzigartige Antiquität an den
Herrn mit dem gelben Helm!“, ruft der Auktionator eines traditionsreichen
Handelshauses in Frankfurt am Main. Empörtes Raunen und Hüsteln marodiert
durch die Reihen der unterlegenen Bieter, als Dietmar Schönstett und sein
Polier ein Bureau Plat, das ein Pariser Ebenist im späten 18. Jahrhundert
geschaffen hat, auf ihre Schultern wuchten und aus dem Fenster werfen. Das
ausladende Schreibmöbel ist nicht das erste Kleinod, das unsanft in
Schönstetts Pritschenwagen landet. Auf der Ladefläche steht
Zimmermannsgesellin Gesine Findeisen und hat bereits einen Wellenschrank,
einige Biedermeierstühle und eine venezianische Barockkommode mit gezielten
Axtschlägen in brauchbare Einzelteile zerlegt.
„Keine Angst! Ich brauche bloß noch drei Klafter Bauholz“, beruhigt
Bauleiter Schönstett eine aufgebrachte Kuratorin, die das französische
Möbel aus der Zeit Ludwigs XVI. für ihr Museum erwerben wollte. „Das sind
umgerechnet höchstens siebeneinhalb Kommoden.“
Seit Holz knapp und teuer geworden ist, müssen sich Bauleiter wie Dietmar
Schönstett, aber auch Architekten und Handwerker nach anderen Bezugsquellen
für den begehrten Rohstoff umsehen. „Die Feinunze Grobholz liegt derzeit
bei 56 Euro“, erklärt Schönstett. „Damit werden Antiquitäten zu einer
echten Alternative zu den Fichtenbrettern aus dem Sägewerk, die wir bisher
für Verschalungen verwendet haben.“
Außerdem findet Schönstett auf dem Markt kaum noch Stämme, die den
strengen Vorschriften genügen. Sein Bauholz liebt der Deutsche nämlich
makellos und frei von Verfärbungen, Insektenbiss und Trockenrissen. Doch
Jahre der Dürre, Sturmschäden und Borkenkäferbefall haben den Wald
ruiniert. Die Klimakrise hat der mutmaßlichen Wiege des zutiefst hölzernen
deutschen Nationalcharakters zwischen Darß- und Schwarzwald furchtbar
zugesetzt.
## Moribunde Gewächse
Bis zur Unkenntlichkeit ist der finstere Tann gelichtet, der Thüringer Wald
im Grunde eine Thüringer Tundra und im kühlen Grunde wird es sauheiß, weil
kaum eine Krone mehr Schatten spendet. Nur 21 Prozent aller Bäume stehen
noch aufrecht und mit intaktem Oberstübchen im Restwald herum. Die meisten
Laub- und Nadelriesen halten sich mehr schlecht als recht auf ihren Wurzeln
– ein lotrechtes Kantholz, eine schmucke Bohle oder auch nur eine halbwegs
gerade Latte ist den moribunden Gewächsen aber kaum mehr aus den krummen
Flanken zu schneiden.
Trotzdem türmen sich an den Waldrändern die entasteten Baumleichen, denn
abertausende todgeweihter Fichten, Buchen und Kiefern mussten
notgeschlachtet werden, bevor sie ihre Artgenossen mit Schädlingen
infizierten. Die angefressenen Karkassen wurden allesamt als minderwertiges
Kalamitätsholz nach Fernost oder in die USA verramscht – in entlegene
Weltgegenden also, in denen die Menschen weder an den deutschen Märchenwald
noch an die DIN-Norm 4074 für Bauteile aus Schnitthölzern glauben.
Das Nachsehen hat der hiesige Häuslebauer, dem bezahlbares Holz für die
Hütte fehlt. Plötzlich wachsen die Baukosten in den Himmel wie einstmals
die Wotanseichen nach einem zünftigen Blutopfer. Aber nicht nur der olle
Hippiewerkstoff Holz, auch knallharter Männerkram wie Stahl oder Beton ist
durch Corona- wie Klimakrise arschteuer geworden. Auf erigiert aufstrebende
Baukörper muss dennoch nicht verzichtet werden. Auch mit traditionellen
Materialien sind majestätische Protz-Effekte zu erzielen.
„Es muss nicht immer Beton sein. Mancher Bauherr entdeckt gerade alte
Bauformen und vergleichsweise kostengünstige Werkstoffe wie Marmor, Porphyr
oder Gold wieder“, erklärt Architektin Caroline Dörrner, die gerade eine
Baulücke in einem Wiesbadener Villenviertel vollkommen holzlos mit einer
Pyramide aus Kalksteinblöcken schließt. Zwar geht der massiv goldene
Innenausbau ins Geld, allerdings sind die Personalkosten im Pyramidenbau
traditionell niedrig.
„Im Grunde betreiben die Leute Nachbarschaftshilfe“, lacht Dörrners
Auftraggeber, ein ortsansässiger Dentist, und lässt die Peitsche knallen.
„Es wird wieder für die Ewigkeit gebaut“, freut sich die konvertierte
Brutalistin Dörrner und begutachtet die Grabkammer mit Kochinsel im dritten
Untergeschoss. „Nachhaltigkeit ist ein ganz großes Thema bei den Kunden.“
Seit der Pandemie wird die Flucht ins Private noch kompromissloser und
finaler angetreten. Auf einem Grundstück im Frankfurter Speckgürtel erlebt
gerade ein erschwinglicher Rückzugsort für junge Familien seine
Fertigstellung – ein unscheinbarer Reihenschrein aus poliertem Marmor in
der Friedhofsruhe eines Vororts. Die Immobilienbesitzer Böschelmann, beide
Sachbearbeiter im Homeoffice, und ihre drei Kinder im
onlineschulpflichtigen Alter winken glücklich aus ihrem Mausoleum, als die
schwere Marmorplatte über ihnen eingelassen wird.
## Ausgestorbene Suburbia
„Sicher ein beruhigendes Gefühl, nie wieder eine andere Behausung zu
brauchen“, kommentiert Dörrner und weist darauf hin, wie harmonisch sich
ihre Sepulkralarchitektur in das ausgestorbene Suburbia einfügt. Doch die
Architektin hat auch flexible und naturnahe Wohnideen im Portfolio. Uns
will sie ein schlüsselfertiges Itsybitsy-Tiny-House in einer Nussschale
andrehen. „0,0002 Quadratmeter Zuhause für die Hosentasche“, schwärmt sie.
Wir lehnen dankend ab und begeben uns auf die Suche nach Dietmar
Schönstett. Wir finden den Bauleiter in ein unübersichtliches
Unfallgeschehen am Rande des Botanischen Gartens verwickelt. Offenbar hat
ihm eine Rotte Hartholzgewächse die Vorfahrt genommen.
„Diese Eichen sind mir einfach vor den Kühler gelaufen“, bezeugt
Schönstett. Es ist nicht das erste Vorkommnis dieser Art. Erst in der
letzten Woche will er beim Joggen von einer tollwütigen Eberesche
angefallen worden sein. Zum Glück habe er eine zufällig Motorsäge
dabeigehabt. Auch die übermütigen Jungbäume haben den Kürzeren gegen den
wehrhaften Bauingenieur gezogen.
„Wo gehobelt wird, fallen Späne“, brummt er nicht unzufrieden. Dann lässt
Dietmar Schönstett die entwurzelten Unfallgegner von seinen Leuten auf den
Pritschenwagen laden und braust schleunigst davon. Straßenbegleitgrün wie
Antiquitätenliebhaber können erst einmal aufatmen, für heute ist der
Holzhunger seiner Großbaustelle gestillt.
9 Jul 2021
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Rohstoffe
Holz
Baubranche
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