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# taz.de -- Expertin über Dauerkrise in Thüringen: „Die Politik ist unberec…
> Thüringen steckt in einer Regierungskrise. Wichtig sei, dass CDU und FDP
> als Opposition konstruktiv mitarbeiten, sagt die Politikwissenschaftlerin
> Marion Reiser.
Bild: Wie weiter? Der Thüringer Landtag vor der Sondersitzung am 19. Juli
taz: Frau Reiser, der Landespolitik in Thüringen ist in der vergangenen
Zeit schwer zu folgen. Erst sollte es nach dem Kemmerich-Debakel von 2020
in diesem Jahr Neuwahlen im April geben. Die wurden wegen [1][der Pandemie]
auf September verschoben. Vor zwei Wochen zogen Linke und Grüne dann den
Antrag auf Auflösung des Landtags zurück und kippten die Neuwahlen. Kurz
darauf [2][verlor die AfD ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Bodo
Ramelow.] Was ist da los?
Marion Reiser: Ausgangspunkt für diese „Thüringer Verhältnisse“ war das
Wahlergebnis der Landtagswahl 2019. Die Regierungsbildung gestaltete sich
sehr kompliziert, da keine der in Deutschland etablierten
Regierungskoalitionen eine Mehrheit erlangt hatte.
Die Regierungskrise nach der Wahl Kemmerichs wurde zwar mit der Einigung
von Linken, SPD, Grünen und der CDU auf den sogenannten Stabilitätspakt
sowie den Beschluss, den Landtag im Jahr 2021 neu zu wählen, zunächst
überwunden. Aber die aktuellen Entwicklungen sind nur vor dem Hintergrund
dieser Ereignisse des letzten Jahres zu verstehen.
Inwiefern?
Als sich abzeichnete, dass entgegen der vorherigen Vereinbarung die
erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Auflösung des Landtags und damit für
Neuwahlen nicht durch die Abgeordneten der vier Fraktionen gesichert ist,
zogen Linke und Grüne den Antrag zurück. Sie wollten damit verhindern, dass
die AfD bei der Landtagsauflösung wieder ausschlaggebend sein könnte – wie
bei der Kemmerich-Wahl 2020.
Die CDU hat ja bereits angekündigt, keinen erneuten Stabilitätsmechanismus
zu unterzeichnen. Was glauben Sie, wie es weitergeht?
Das ist schwer zu prognostizieren. Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie
unberechenbar die Politik in Thüringen aktuell ist. Nach dem Ende des
Stabilitätsmechanismus muss sich die rot-rot-grüne Minderheitsregierung nun
jeweils neue Mehrheiten für ihre Vorhaben suchen. Entscheidend ist dafür
jedoch, dass die Oppositionsparteien, also CDU und FDP, bereit sind,
konstruktiv mitzuarbeiten, und die Regierung zumindest für einen Teil ihrer
Gesetzesprojekte Unterstützung bekommt. Dies gilt kurzfristig insbesondere
für den Haushalt für 2022.
Wie sehen das die Einwohner:innen Thüringens?
Die aktuelle Umfrage des Thüringen-Trends des mdr zeigt, dass sich die
deutliche Mehrheit der Thüringer:innen für Neuwahlen ausspricht. Für
eine Fortsetzung der aktuellen Minderheitsregierung sprach sich hingegen
nur ein Viertel aus. Wenn sich also abzeichnet, dass die
Minderheitsregierung für ihre Projekte beziehungsweise den Haushalt keine
Unterstützung bekommt, halte ich es für wahrscheinlich, dass es nach der
Bundestagswahl einen erneuten Versuch zur Landtagsauflösung geben wird.
Sie sind Mitherausgeberin des „Thüringen-Monitors“, einer jährlich
erscheinenden Studie zu den politischen Einstellungen der Bürger:innen
in Thüringen. Inwiefern hat sich die Regierungskrise 2020 auf die
Demokratie ausgewirkt?
Die Entwicklungen rund um das Coronavirus nur wenige Wochen nach der
umstrittenen Ministerpräsidentenwahl stellten alle anderen politischen
Fragen in den Schatten. In unserer Befragung äußerten die
Thüringer:innen eine hohe Zufriedenheit mit der Praxis der Demokratie
und auch ein sehr hohes Vertrauen in die Landesregierung. Die Werte
stellten sogar bisherige Rekordwerte seit Beginn der Erhebung im Jahr 2001
dar.
Wie das?
Das lässt sich unter anderem auf die zum damaligen Zeitpunkt sehr hohe
Zufriedenheit mit dem Corona-Krisenmanagement zurückführen. Insofern
konnten wir aufgrund der Überlagerung durch die Coronapandemie keine
direkten Auswirkungen der Regierungskrise auf die politischen Einstellungen
feststellen.
Die thüringische Gesellschaft scheint auch gespalten zu sein: Die Linke
bleibt bei aktuellen Umfragen stärkste Partei mit 27 Prozent. Die AfD
jedoch liegt noch vor der CDU bei 22 Prozent.
In der Tat deuten die aktuellen Umfragen darauf hin, dass sich wohl auch
durch Neuwahlen nicht viel an den unklaren Mehrheitsverhältnissen und der
schwierigen Regierungsbildung in Thüringen ändern würde.
Insgesamt zeigt sich in den Umfragewerten somit eine politische
Polarisierung, wie wir sie auch bei den Landtagswahlen in anderen
ostdeutschen Bundesländern gesehen haben: zwischen der AfD, die bei diesen
Landtagswahlen jeweils ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel der
Wähler:innen gewinnen konnte, und der jeweils größten Regierungspartei.
In Thüringen ist dies die Linke, die weiterhin von hohen Bekanntheits- und
Zustimmungswerten für Bodo Ramelow profitieren kann.
Im Herbst steht uns vermutlich [3][eine vierte Coronawelle bevor.] Glauben
Sie, dass Ministerpräsident Bodo Ramelow und die rot-rot-grüne
Minderheitsregierung das Bundesland gut durch die Krise führen könnten?
Diese Frage ist aktuell schwer zu beantworten. Ob das Regieren ohne
Stabilitätsmechanismus und mit wechselnden Mehrheiten funktionieren wird,
wird davon abhängen, wie konstruktiv die Minderheitsregierung mit CDU und
FDP zusammenarbeitet.
Was bräuchte das Bundesland, um den Einwohner:innen Sicherheit und
Stabilität zu vermitteln?
Wie die aktuelle Umfrage zum Thüringen-Trend des mdr zeigt, wünschen sich
mehr als zwei Drittel der Thüringer:innen Neuwahlen, drei Viertel
sind gegen die Fortführung der Minderheitsregierung. Das spricht dafür,
dass sich die Thüringer:innen weiterhin klare Mehrheitsverhältnisse
wünschen. Aber: Die Bürger:innen waren mit dem Corona-Krisenmanagement
der Regierung zufrieden. Insofern kann man von einem gewissen
Vertrauensbonus der Bürger:innen bei einer möglichen vierten Coronawelle
ausgehen.
6 Aug 2021
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## AUTOREN
Sarah Ulrich
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