# taz.de -- US-Strafmaßnahmen gegen Iran: Sanktionierte Gesundheit | |
> Irans Wirtschaft liegt am Boden, auch weil Trumps Sanktionen weiter | |
> gelten. Obwohl offiziell ausgenommen, ist auch der Gesundheitssektor | |
> betroffen. | |
Bild: Covid-19 in einem Teheraner Krankenhaus: Ärzt*innen beklagen fehlende Au… | |
Teheran taz | Wie eine Uhr tickt die neue mechanische Herzklappe der | |
Patientin von Doktor Behrooz Tisnobeyk. Zufrieden stellt der Iraner die | |
Entlassungspapiere aus, doch die Frau ist noch besorgt. Sie brauche | |
dringend bessere Blutverdünner, sagt sie, damit das Blut nicht stockt. „Die | |
indischen Tabletten sind nicht so effektiv“, bestätigt der Kardiologe. | |
Obwohl medizinische Produkte aus Europa offiziell nicht auf der Liste | |
stehen, sind auch sie von den Sanktionen betroffen, die die USA unter | |
Expräsident Donald Trump erneut verhängt haben. Nachdem Washington [1][das | |
internationale Atomabkommen mit Iran] 2018 aufkündigte und Iran als | |
Antwort wieder vermehrt Uran anreicherte, sanktionieren die USA die | |
iranische Regierung sowie die Ölindustrie, Bauunternehmen und die Seefahrt. | |
Doch die Strafmaßnahmen treffen die gesamte iranische Wirtschaft – auch das | |
Gesundheitssystem. | |
Das Teheraner Gandhi-Hotel-Krankenhaus, in dem Doktor Tisnobeyk arbeitet, | |
ist bekannt für Medizintourismus. Einige Zimmer haben goldene | |
Stuckverziehrung, eine Minibar, goldfarbene Wasserhähne. Nur die | |
Infusionsständer neben den Betten sehen nach Krankenzimmer aus. Der | |
Kardiologe zeigt auf einen Whirlpool im Bad und erzählt, dass einige Gäste | |
die Zimmer extra dekorieren ließen, etwa um zu gebären. | |
„Es gibt keine kardiologische Untersuchung oder Operation, die wir nicht | |
durchführen könnten“, schwärmt er, „aber uns fehlt es zunehmend an | |
Equipment.“ So habe das Krankenhaus zum Beispiel ein Strahlentherapiegerät, | |
mit dem sich Hirntumore mit Gammastrahlen behandeln lassen. „Doch es fehlt | |
das Gas, um es zu betreiben. Das steht auf der Sanktionsliste, weil es auch | |
anders verwendet werden kann.“ | |
Bei anderen Produkten dauere es schlicht zu lange, sie zu importieren. | |
Viele Patient*innen warteten auf etwa Herzschrittmacher oder | |
Insulinstifte, erzählt Tisnobeyk. „Sie haben zwar das Geld, um | |
Insulinstifte zu bezahlen, aber es dauert zu lange, bis die Stifte | |
ankommen. Währenddessen verlieren wir die Patient*innen.“ | |
## Bargeld im Koffer | |
Die Importbeschränkungen entstehen durch die Bankensysteme. Banken müssten | |
eine Sorgfaltsprüfung, die Due-Diligance-Prüfung, vornehmen, erklärt eine | |
europäische Wirtschaftsexpertin in Teheran, die sich nicht namentlich | |
zitieren lassen möchte. „Da Iran sich nicht den internationalen | |
Bankenstandards (FATF) verpflichtet hat, muss bei jedem Geldtransfer | |
geprüft werden, um welches Geschäft es sich handelt, wer die Anteilseigner | |
sind, ob sämtliche Genehmigungen vorhanden sind, ob Geldwäsche | |
ausgeschlossen ist oder die iranischen Partner sanktioniert sind.“ Dies | |
rechne sich für die Institute nicht. Daher gebe es keine Banktransfers | |
zwischen Iran und Deutschland. Wer nach Iran fliegt, hat häufig Bargeld im | |
Koffer. | |
Von den Sanktionen betroffen sind auch deutsche Exporte. Das Handelsvolumen | |
zwischen Iran und Deutschland lag 2017 bei 3,7 Milliarden Euro; 2020 waren | |
es noch 1,8 Milliarden. Besonders Maschinen und Anlagen werden laut | |
Deutsch-Iranischer Handelskammer (DIHK) exportiert. Der Handel sei jedoch | |
eingebrochen, sagt deren Vizegeschäftsführer Hossein Sarafraz. „Die | |
Sanktionen sind so formuliert, dass nicht klar ist, wann sie greifen.“ | |
Vor allem deutsche Unternehmen, die auch in den USA aktiv sind, zögern, | |
Aufträge aus Iran anzunehmen – aus Angst vor dem Verlust des US-Markts. | |
„Offiziell gibt es keine Verbindung“, sagt Sarafraz, „aber sicher nutzen | |
amerikanische öffentliche Auftraggeber es inoffiziell als | |
Verhandlungsgrundlage: Wenn du mit uns arbeiten möchtest, solltest du nicht | |
mit Iran zusammenarbeiten.“ | |
Um das Problem zu lösen, haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien | |
2019 [2][das Finanzinstrument Instex ins Leben gerufen.] Es soll wie eine | |
Tauschbörse funktionieren: Exporte aus Europa sollen mit iranischen | |
Ausfuhren verrechnet werden. Doch praktisch hat es über Instex nur eine | |
Transaktion gegeben: eine Medikamentenlieferung im März 2020. Einen | |
weiteren Versand von Medizin hatte Iran nicht genehmigt. Man wolle dort | |
lieber Öl verkaufen, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas im Mai 2020. | |
Über Instex zu arbeiten, sei teuer, erklärt die europäische | |
Wirtschaftsexpertin. „Auch hier müssen die Partner eine | |
Due-Diligance-Prüfung über sich ergehen lassen. Die ist gerade für | |
mittelständische Unternehmen viel zu komplex und schwierig.“ Viele | |
Unternehmen haben individuelle Lösungen gefunden und schließen ihre | |
Geschäfte über Tochter- und Schwesterfirmen ab oder beauftragen | |
Wechselstuben. Letztere seien allerdings private Institute und es gebe | |
keine Garantie, dass das Geld auch ankomme. Geschäftsleute setzten sich | |
also oft in den Flieger und trügen Bargeld ins Ausland. | |
So ein Handel geht zulasten der Käufer*innen, weiß Doktor Tisnobeyk: | |
„Gefälschte Produkte, höhere Preise und keine Umtauschmöglichkeiten oder | |
Garantien.“ Seiner Patientin bleibt nur, die Blutverdünner über Kontakte | |
einfliegen zu lassen. „Ich werde meinen Sohn fragen, hoffentlich kann er | |
die Tabletten aus Frankreich organisieren.“ | |
5 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /US-Regierung-und-der-Iran-Deal/!5744768 | |
[2] /Medizinisches-Geraet-aus-der-EU/!5675866 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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