| # taz.de -- Debatte um CO2-Steuer: Wider das tägliche Vollbad | |
| > Wärmedämmung ist gut und schön. Einsparungen sind aber gering, wenn | |
| > manche Bewohner ihr Heizverhalten nicht ändern. | |
| Bild: Heizung an und gleichzeitig das Fenster offen? Keine Seltenheit | |
| Wiedervorlage nach der Bundestagswahl: Sollen Vermieter zumindest für einen | |
| Teil der [1][CO2-Steuer] aufkommen, die seit Jahresbeginn auf Heizöl und | |
| Erdgas erhoben wird? Schließlich haben sie es in der Hand, die Wohnungen zu | |
| sanieren. Oder sollen – wie aktuell Stand der Dinge – die Mieter den | |
| Aufpreis weiterhin alleine bezahlen? | |
| Die Parteien positionieren sich gemäß allen Erwartungen. Das linke Lager | |
| will die Vermieter in die Pflicht nehmen, das bürgerliche Lager hingegen | |
| die Kosten bei den Mietern belassen. So bedient jeder die Interessen seiner | |
| potenziellen Wählerschaft – typische Klientelpolitik eben. | |
| Nähert man sich dem Thema jedoch analytisch, stößt man zwangsläufig auf | |
| eine Zahl, die für die Diskussion enorm wichtig ist, die gleichwohl bisher | |
| kaum thematisier wird. Sie stammt von den Ablesefirmen der | |
| Wohnungswirtschaft und ist dort hinlänglich bekannt: In baulich identischen | |
| Wohnungen schwankt der Heizenergiebedarf je nach Verhalten der Mieter um | |
| bis zum Faktor vier. Ja, genau: Faktor vier. Das ist üppig und für die | |
| politische Bewertung der CO2-Steuer höchst brisant. | |
| ## Kaltmiete getrennt von Nebenkosten | |
| Denn der Vermieter müsste – würde ihm die Steuer ganz oder teilweise | |
| angelastet – plötzlich für die Heizgewohnheiten seiner Mieter finanziell | |
| geradestehen und nach einem Mieterwechsel im Extremfall das Vierfache an | |
| CO2-Steuer bezahlen, ohne es zuvor absehen, geschweige denn beeinflussen zu | |
| können. Schließlich kann er nicht vor Abschluss des Mietvertrags das | |
| Heizverhalten seiner Bewerber durchleuchten. | |
| Das heißt: Lastet man die CO2-Steuer dem Vermieter auf, wirft man die | |
| eingespielte Systematik der Trennung zwischen feststehender Kaltmiete und | |
| variablen Nebenkosten über den Haufen. Denn die CO2-Steuer ist nun einmal | |
| verbrauchsabhängig und damit von der Logik her dem Mieter anzulasten. Er | |
| beeinflusst den Anfall der Steuer durch sein Verhalten. | |
| Gemäß dieser Systemlogik darf und muss sich dann die energetische Qualität | |
| des Gebäudes wiederum in der Kaltmiete niederschlagen. Und zwar | |
| ausschließlich dort. Das heißt: In den Mietspiegeln muss schlechte | |
| [2][Wärmedämmung] stärker als bisher den kalkulatorischen Mietwert mindern. | |
| Ein massiver Abschlag bei der ortsüblichen Vergleichsmiete wäre dann ein | |
| Anreiz für die Sanierung. | |
| Längst steht das Gezerre um die CO2-Steuer exemplarisch für eine etwas | |
| entrückte Effizienzdebatte im Gebäudesektor, in der das Nutzerverhalten | |
| kaum noch eine Rolle spielt. Alle Welt spricht nur noch von der Sanierung | |
| und ignoriert dabei, dass die Fortschritte durch Dämmung gering sein | |
| können, wenn diejenigen nicht mitspielen, die über die Macht zur Bedienung | |
| des Heizkörperventils verfügen. Das offenbart auch die Heizenergiestatistik | |
| in Deutschland. Der Verbrauch stagniert nämlich inzwischen – aller | |
| zusätzlichen Wärmedämmung zum Trotz. | |
| ## Energieverbrauch sinkt nicht mehr | |
| Unmittelbar nach der Jahrtausendwende war das noch anders, da ging es von | |
| Jahr zu Jahr merklich nach unten: Von rund 240 Kilowattstunden pro | |
| Quadratmeter Wohnfläche sank der durchschnittliche Endenergieverbrauch | |
| binnen zehn Jahren auf rund 190 Kilowattstunden, wie Daten des | |
| Bundeswirtschaftsministeriums zeigen. Danach passierte ausweislich der | |
| Statistik nichts mehr; der Verbrauch schwankt seither zwischen 180 und 190 | |
| Kilowattstunden. | |
| Das ist auch deswegen bitter, weil alleine die Wohnungsunternehmen nach | |
| eigenen Angaben seit 2010 für weitere 340 Milliarden Euro energetisch | |
| modernisiert haben. Fragt man Energieexperten und die Wohnungswirtschaft | |
| nach möglichen Gründen für ausbleibende Fortschritte, ist von „offenen | |
| Fragen“ die Rede. Sofort fällt der Begriff [3][„Rebound-Effekt“]. Gemeint | |
| sind damit Änderungen im Nutzerverhalten, die gebäudetechnische | |
| Verbesserungen konterkarieren. Es werden dann Fragen gestellt wie: Leisten | |
| sich Hausbewohner, sobald das Objekt besser gedämmt ist, im Gegenzug höhere | |
| Raumtemperaturen? Heizen sie mehr als zuvor zusätzliche Räume, etwa das | |
| Schlafzimmer? | |
| Wer mit Ablesefirmen spricht, die regelmäßig vermeintlichen Fehlmessungen | |
| nachspüren, bekommt nebenbei anekdotische Einblicke ins reale Leben. Da | |
| erfährt man dann von Fällen, in denen ein Fenster den ganzen Winterurlaub | |
| lang auf Kipp steht. Man hört von jungen Menschen, die – ein Klassiker – in | |
| ihrer ersten eigenen Wohnung exorbitante Nebenkosten produzieren. Oder man | |
| erfährt von Gewohnheiten wie dem täglichen Vollbad, die sich in massiven | |
| Energiekosten widerspiegeln. Mangel an Energiebewusstsein ist erkennbar | |
| kein Nischenphänomen. | |
| Der entscheidende Grund für die heute eher mäßig vorhandene Sensibilität | |
| fürs Energiesparen dürfte die moderate Entwicklung der Energiepreise sein. | |
| Der merkliche Rückgang des Verbrauchs in den Jahren 2000 bis 2010 fiel in | |
| eine Zeit, in der Heizenergie aufgrund von Weltmarktpreisen deutlich teurer | |
| wurde. Im folgenden Jahrzehnt war der Preisanstieg hingegen gering, | |
| zeitweise sanken die Energiepreise sogar. Damit rückte das Thema wieder in | |
| den Hintergrund, und weitere Einsparungen blieben aus. | |
| Will man aus Gründen des Klimaschutzes nun den Heizenergieverbrauch senken, | |
| darf man daher nicht nur Häuser sanieren, sondern muss explizit auch die | |
| Bewohner stärker sensibilisieren. Das schafft einerseits der Energiepreis, | |
| andererseits eine enger getaktete Heizkostenabrechnung. Schon vor einigen | |
| Jahren zeigte eine Studie der Deutschen Energie-Agentur und weiterer | |
| Akteure, dass Haushalte alleine dadurch im Schnitt schon 10 Prozent | |
| Heizenergie sparen, dass sie regelmäßig über ihren Verbrauch informiert | |
| werden. | |
| Das alles festzustellen soll nicht von der Dringlichkeit der | |
| Gebäudesanierung ablenken. Aber die Rolle der Bewohner und ihrer | |
| Heizgewohnheiten verdient es, in der politischen Debatte stärker | |
| thematisiert zu werden – gerade auch im Kontext der CO2-Steuer und der | |
| Frage, wer sie bezahlt. Der Faktor vier spricht eine deutliche Sprache. | |
| 21 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/CO2-Steuer | |
| [2] /Energetische-Kriterien-beim-Bauen/!5754122 | |
| [3] https://www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/oekonomische-rechtl… | |
| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
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