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# taz.de -- Milliarden für den Strukturwandel: Die Wüste lebt
> Die Lausitz verkörpert alles, was wir eigentlich nicht mögen. Arbeit von
> gestern, Kohle, geschundene Landschaft. Zeit für eine Liebeserklärung.
Bild: Rekultivierungsfläche im Tagebau Welzow, in der südlichen Niederlausitz…
Cottbus taz | Nein, mit der Gifte speienden Kohle hat es nichts zu tun,
dass die Lausitz bis heute diese Abwehrreflexe auslöst. Das hat sie schon
vor 250 Jahren getan. 1789 setzte Christian Gottlieb Schmidt, ein Pastor
aus der Nähe von Dresden, in seinen „Briefen über die Niederlausitz“ die
Lausitz gleich mit „tiefen Sandmeeren“, „unfruchtbaren Steppen“ und
unkultiviertem Sorbenland.
Über Lieberose etwa schrieb der erste Lausitzhasser: „Jetzt führe ich Sie,
mein Freund, in den unkultivirtesten, sandigsten und unangenehmsten Kreiß
der Niederlausitz, und ich rathe Ihnen, sich ja nicht weit von der Stadt zu
entfernen und Excursionen aufs Land zu machen, wenn Sie es nicht bei jedem
Schritt fühlen wollen, daß Sie in der Gegend sind, die Ihnen so oft als die
Wendische Tartarei vorgestellet wurdet.“
Wendische Tartarei, das blieb hängen. Feindliches Slawenland also. Da
passte es ganz gut ins Bild, dass sich das erste Brandenburger Wolfsrudel
2009 in Welzow ansiedelte, auf dem Gelände eines bis heute existierenden
Tagebaus. Nicht nur unzugänglich und fremd war die Lausitz, sondern auch
gefährlich. Und jetzt sollen in diese Wüste Milliarden gepumpt werden, um
den Menschen den Ausstieg aus der Braunkohle schmackhaft zu machen? Sind
das nicht Perlen vor die Wölfe?
Dass eine Wüste auch leben kann, war schon zu Schmidts Zeiten kein
Geheimnis. Ganz gleich, ob das Markgraftum Niederlausitz zu Böhmen gehörte,
zu Habsburg oder zu Sachsen: Die Adligen in Lübben oder Lieberose ließen
sich von den Herrschern in Prag, Wien und Dresden nicht in die Karten
schauen. So kam es, dass die Lausitz nicht nur als abgehängte, sondern auch
als autonome Region in die Geschichtsbücher einging. Eine Region am
Weltenrand, an der sich die Zentralgewalten ihre Zähne ausbissen.
## Die Lausitz war ein gallisches Dorf
Eine „Adelsrepublik“ nannte das der Historiker des Klosters Neuzelle,
Winfried Töpler, in Anlehnung an die polnische Adelsrepublik. Die war zwar
unregierbar, aber auch demokratisch. Bis zur Übernahme durch Preußen 1815
ging das so. Heute würde man sagen: Die Lausitz war ein gallisches Dorf,
lange bevor Kreuzberg diesen Titel für sich in Anspruch nehmen durfte.
Und warm ist es in der Wüste. Sonst würden all die Trüffel, Weinreben und
Hanfpflanzen auf dem Sandboden nicht gedeihen. Selbst der Pfeffer wächst in
der Lausitz. Allerdings erst seit Neuestem, sonst hätte der Pfarrer Schmidt
sicher ein weiteres Bonmot parat gehabt.
Aber warum soll man nicht dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst? Wenn im
März in Berlin gerade mal 12 Grad vorhergesagt sind, können es in der
Lausitz gut und gerne 16 Grad sein. Im Sommer freilich ist das nicht immer
angenehm. Deshalb fürchten viele, dass sich zur alten Wüste bald eine neue
gesellen könnte.
Vielleicht will das Land Brandenburg auch deshalb aus der größten
Bergbaulandschaft der Republik die größte zusammenhängende Seenlandschaft
der Welt machen. Vorausgesetzt, die Spree speist all die neuen
Seengespinste. Am Einlassbauwerk zum Cottbuser Ostsee, dem ehemaligen
Tagebau Cottbus-Nord, rinnsalt es derzeit nur, obwohl der Sommer 2021 bei
Weitem nicht so trocken ist wie seine beiden Vorgänger.
Der Lausitz kann es egal sein. Wer es mit Wien und Dresden aufnehmen
konnte, hält sich auch Potsdam und Berlin vom Leibe. Zur Not dreht die
Lausitz der Hauptstadtregion einfach das Wasser ab. Denn die Spree muss,
bevor sie Berlin erreicht, halbwegs unbeschadet durch die ehemaligen
Tagebaulandschaften, bevor sie sich im Spreewald zu einem Binnendelta mit
unzähligen Fließen auffächert.
## Berlin braucht also die Lausitz …
Dort drohen zwar nicht, wie an Ahr oder Oder, Hochwasser. Aber auch das
Gegenteil von viel Wasser, nämlich fast keines, ist nicht schön. Es kann
dazu führen, dass das Wasser in der Berliner Spree rückwärts fließt. Und
auch ein Flussbad funktioniert am Kupfergraben nur, wenn eine
Mindestmenge Wasser durchfließt. Berlin braucht also die Lausitz, und die
Lausitz braucht die Berlinerinnen und Berliner. Als Investoren, als
Zuzügler, als Touris.
Die Wüste lebt? Oft ist das noch Zukunftsmusik. Aber selbst das ist im
Labor Lausitz ein Ereignis. In der Lieberoser Heide soll man dem Werden
dessen, was nach der Wüste kommt, sogar zuschauen können, vorausgesetzt,
man bringt ein wenig Zeit mit. Denn die dortige Wüste, entstanden auf einem
der größten Truppenübungsplätze der DDR, soll sich selbst überlassen
werden. „Internationale Naturausstellung“ heißt das Projekt, das mit den
„Urwäldern von morgen“ für sich wirbt.
Vielleicht werden die Reisenden von morgen aus der Lausitz ganz andere
Bilder nach Dresden oder Berlin bringen. Nicht von „unfruchtbaren Steppen“
wird dann die Rede sein, sondern von einem Labor der Zukunft, in dem die
Braunkohle zunächst den Klimawandel befeuerte, dann aber, nach dem
Kohleausstieg, nach neuen, nach positiven Energien gesucht wurde.
Und wenn der Pastor Christian Gottlieb Schmidt demnächst nach Cottbus käme,
würde er vielleicht sogar fantasieren, dass es in der Wüste eine
prosperierende Wüstenstadt gäbe, die Lausitzer Ausgabe von Dubai. Nur, dass
dort nicht mehr nach fossilen Brennstoffen gesucht wird, sondern nach denen
der Zukunft.
Dieser Text ist Bestandteil eines dreiteiligen Schwerpunktes aus der
Printausgabe der taz am wochenende vom 7./8. August 2021.
31 Jul 2021
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Kohleausstieg
Brandenburg
Infrastruktur
Braunkohletagebau
Schwerpunkt Ostdeutschland
Lausitz
Klischee
Schwerpunkt Stadtland
Cottbus
Lausitz
Berlin Brandenburg
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