| # taz.de -- Frank Bsirske über seine Bundestagskandidatur: „Die Schnittmenge… | |
| > Fast zwei Jahrzehnte war Frank Bsirske Chef der Gewerkschaft Ver.di. An | |
| > Ruhestand denkt der 69-Jährige nicht. Er will für die Grünen in den | |
| > Bundestag. | |
| Bild: „Ich sehe mich als Abgeordneter nicht im Elfenbeinturm“: Grünen-Kand… | |
| taz: Herr Bsirske, Sie waren [1][rund 19 Jahre lang Ver.di-Vorsitzender] | |
| und könnten sich jetzt mit 69 Jahren ein ruhiges Rentnerleben gönnen. Warum | |
| kandidieren Sie stattdessen für den Bundestag? | |
| Frank Bsirske: Ich will mich mit meinen Erfahrungen, mit meinem Engagement | |
| weiter für eine Gesellschaft einsetzen, die den Menschen ein Leben in | |
| intakter Umwelt und sozialer Sicherheit gewährleistet. Alles andere würde | |
| der Verantwortung, vor der wir stehen, nicht gerecht. Der Klimawandel ist | |
| eine Bedrohung für die ganze Menschheit. Er rückt näher, Veränderungen | |
| werden unumkehrbar. Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel am | |
| eigenen Leib zu spüren bekommt, und gleichzeitig die letzte Generation, die | |
| ihn noch aufhalten kann. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen. Das | |
| tue ich. | |
| Sie hatten als Ver.di-Vorsitzender Einfluss und Macht. Fehlt Ihnen das? | |
| Nein, es geht mir um das Engagement. Die nächsten Jahre werden entscheidend | |
| sein. Gelingt es, das enger werdende Zeitfenster zu nutzen und die | |
| klimapolitischen Weichen richtig zu stellen? Gelingt es, den ökologischen | |
| Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich zustande zu bringen und | |
| mit einem sozialen Ausgleich zu verbinden? Ausgemacht ist das nicht. Umso | |
| wichtiger ist es, politischen Einfluss zu nehmen – jetzt. Dazu will ich mit | |
| meinen Erfahrungen als Gewerkschafter und als Grüner beitragen. | |
| Sie stellen den Klimawandel stark in den Vordergrund. Als | |
| Ver.di-Vorsitzender haben Sie das nicht so deutlich formuliert. | |
| Ich habe als Ver.di-Vorsitzender [2][zur Teilnahme an den Demos von | |
| „Fridays for Future“ aufgerufen] und selbst daran teilgenommen. Und ich | |
| habe den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung | |
| sozial-ökologischer Transformation stark betont. Denn die Zukunft des | |
| Wirtschaftsstandortes und seine Wettbewerbsfähigkeit hängen auch davon ab, | |
| ob es gelingt, die Arbeitsplätze nachhaltig zu gestalten. Andernfalls wird | |
| es extrem schwierig, die Arbeitsplätze zu sichern. Das ist ein | |
| grundgewerkschaftliches Anliegen. | |
| In den Gewerkschaften waren Sie als Grüner ein Exot, bei den Grünen sind | |
| Sie als Gewerkschafter auch nicht gerade im Zentrum der Partei. Ist die | |
| Partei offen für gewerkschaftliche Positionen? | |
| Klimaschutz muss sozial gerecht gestaltet werden, wenn er gelingen soll. | |
| Wenn das Soziale auf der Strecke bleibt, werden wir keine Mehrheit für den | |
| ökologischen Umbau gewinnen. Deshalb bedarf es einer Erneuerung des | |
| sozialen Sicherungsversprechens und einer Stärkung der organisierten | |
| Lohnarbeit. Das bedeutet: Bindung öffentlicher Aufträge an die Einhaltung | |
| von Tarifverträgen, Zurückdrängen prekärer Arbeitsplätze, ausreichender | |
| gesetzlicher Mindestlohn, Bekämpfung von Kinder- und Altersarmut. | |
| Das alles sind grüne Programmpunkte. Die Schnittmenge zwischen grünen und | |
| gewerkschaftlichen Programmpunkten ist mittlerweile sehr hoch. Und es haben | |
| sich in den letzten Jahren feste Dialogformate etabliert. Die | |
| Gewerkschaften sind grüner geworden und die Grünen gewerkschaftsaffiner. | |
| Welchen politischen Anliegen fühlen Sie sich außerdem verpflichtet? | |
| Ich trete für einen massiven Zubau von günstigen Mietwohnungen und einen | |
| besseren Schutz von Mieterinnen und Mietern ein. Wir brauchen überall, wo | |
| es nötig ist, regionale Mietendeckel. Die Tarifbindung bei öffentlichen | |
| Aufträgen hilft vielen Beschäftigten bei den Löhnen und später bei der | |
| Rente. Das Rentenniveau muss dauerhaft mindestens auf dem heutigen Niveau | |
| stabilisiert werden. Gering Verdienenden muss im Alter eine auskömmliche | |
| Rente gesichert werden. Öffentliche Investitionen müssen von der | |
| Schuldenbremse ausgenommen werden. Große Vermögen müssen stärker zum | |
| Gemeinwesen beitragen. Das sind meine Punkte neben dem, was wir als | |
| Energie-, Verkehrs- und Agrarwende auf den Weg bringen müssen. | |
| Die Unterstützung sozialer Bewegungen an der Basis war Ihnen als | |
| Ver.di-Vorsitzender besonders wichtig. Wie stellen Sie sich das als | |
| Bundestagsabgeordneter vor? | |
| Ich habe all die Jahre den Kontakt mit den Ver.di-Mitgliedern vor Ort | |
| gesucht und großen Wert auf die Begegnung mit den Aktiven in den Betrieben | |
| und Verwaltungen gelegt, um zu hören, was den Kolleginnen und Kollegen | |
| wichtig ist. Das war extrem gut investierte Zeit. Daran will ich anknüpfen. | |
| Ich sehe mich als Abgeordneter nicht im Elfenbeinturm. Ich will das | |
| aufnehmen und dem Gehör verschaffen, was den Menschen wichtig ist. | |
| Wenn wir die Umwelt schützen und den sozialen Zusammenhalt stärken wollen, | |
| stehen wir vor einer fundamentalen Transformation. Das bedeutet auch | |
| Konflikt. Und wir sehen ja, wie sich die Gegenkräfte formieren. Die | |
| Metallarbeitgeberverbände haben ein Belastungsmoratorium gefordert, die | |
| Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände will eine Agenda | |
| 2010-2.0. Das ist mit der Bekämpfung der Klimakrise ebenso wenig vereinbar | |
| wie mit sozialer Gerechtigkeit. Mehrheiten für den Umbau werden wir nur | |
| gewinnen, wenn wir den Kontakt mit den Menschen suchen und uns mit den | |
| sozialen Bewegungen, mit „Fridays for Future“ und Gewerkschaften, | |
| verbinden. | |
| Glauben Sie, auch in einer etwaigen schwarz-grünen Koalition mit Ihren | |
| Anliegen durchzudringen? | |
| Grüne und Union sind bei dieser Wahl klare Alternativen. Nehmen wir zum | |
| Beispiel die Finanzpolitik. Die Grünen machen sich ehrlich und legen ein | |
| Programm vor, wie Ökologie und Soziales finanziert werden können. Die Union | |
| glaubt dagegen, sie könnte die Wähler verscheißern. Sie will bei den | |
| Reichen auf Steuereinnahmen in Höhe von 30 Milliarden Euro verzichten, aber | |
| keinerlei Ausgabenkürzungen vornehmen. Sie will für Aufrüstung nochmal 30 | |
| Milliarden draufpacken und gleichzeitig schnell zurück zur Schuldenbremse | |
| und zur Schwarzen Null. Dass das nicht funktionieren kann, sieht man auf | |
| den ersten Blick. Auf solchem Unsinn lässt sich keine Koalition gründen. | |
| Was wäre Ihr liebste Koalition? | |
| Eine ohne Union und FDP. | |
| Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein? | |
| Völlig ausgeschlossen ist das nicht. Notwendige Bedingung dafür ist auf | |
| jeden Fall ein starkes Abschneiden der Grünen. | |
| 10 Sep 2021 | |
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