# taz.de -- Hamburger Werkhaus vor dem Aus: Wenn ein Projekt nicht mehr passt | |
> Das Werkhaus im Münzviertel bietet seit 2013 Essen, Kunst und eine | |
> Tagesstruktur für junge Obdachlose. Nun will die Behörde die Finanzierung | |
> stoppen. | |
Bild: Viel zu tun für junge Erwachsene ohne Obdach: Fahrradwerkstatt und Holzw… | |
HAMBURG taz | Dem [1][„Werkhaus“ im Münzviertel] droht das Aus, da die | |
Sozialbehörde die Finanzierung des Projektes für junge Obdachlose von 18 | |
bis 27 Jahren beenden will. Das gab der bildende Künstler Günther Westphal | |
am Freitag beim „Tag der offenen Tür“ der Einrichtung öffentlich bekannt. | |
Schon der Ort ist besonders. In dem direkt hinterm Hauptbahnhof gelegenen | |
[2][Viertel] konzentrierten sich „alle Ungerechtigkeiten der Welt“, sagt | |
Maximilian Müller von der Stadtteilinitiative Münzviertel, die das Werkhaus | |
gemeinsam mit dem Träger Passage und dem Künstlerverein Kunage betreibt. Es | |
gebe groteske Gegensätze, erzählt Müller, neben Hotelneubauten und | |
Touristenströmen sei die Obdachlosigkeit erschreckend normal, gebe es unter | |
jeder Brücke einen Schlafplatz. „Für uns sind obdachlose Menschen Nachbarn. | |
Wir kümmern uns um sie“, sagt er. Darum sei das Werkhaus heute so notwendig | |
wie zu seiner Gründung vor sieben Jahren. | |
Müller bekommt Applaus aus dem Publikum, überwiegend Nachbarn, die auf dem | |
Hof der früheren Mädchenschule an der Rosenallee im Schatten von Kastanien | |
versammelt sind. Deren Blätter leuchten noch dunkelgrün, sehen fast gesund | |
aus. Holzkästen am Stamm zeugen von den Bemühungen des Projekts | |
„Kastanienrettung“, der Miniermotte Herr zu werden. Das ist neben | |
Gewächshäusern, Gartenbänken und Hochbeeten ein Projekt der Grünwerkstatt, | |
vorgestellt im Jahresheft 2016. | |
Auch für 2018 und 2019 gibt es so ein Heft. Für das letzte Jahr ist das | |
Heft noch in Arbeit, weil wegen Corona alles verzögert ist. Aber ein | |
Schreiben des Bezirks Mitte attestiert dem Werkhaus, auch in der Pandemie | |
gut gearbeitet zu haben. Unter anderem gab es weiter Frühstück und über | |
einen Tresen weiterhin „Beratungen in Präsenz“. | |
## Stadt argumentiert mit Corona-Schulden | |
Als Leitung des [3][Werkhauses] fungiert ein „Küchenkabinett“, ihm gehören | |
neben Westphal auch die Betriebswirtin Corinna Braun und die | |
Kunstprofessorin Rahel Puffert an. Als Puffert spricht, wird es etwas | |
theoretisch: Das Werkhaus wolle Pädagogik, Kunst und Quartiersarbeit | |
verbinden. Dies seien drei Dinge, die „ohne einander nicht auskommen“. Denn | |
das Haus bietet auch einen Ort für Künstler, die Projekte mit den jungen | |
Leuten durchführen und dafür mehrmonatige Werkverträge bekommen, finanziert | |
über das Programm „Neustart Kultur“ des Bundes. Das neuste Projekt heißt: | |
„Obdachlosen eine Stimme geben“. | |
Doch nun steht das Werkhaus in Frage. Vor drei Wochen wurde dem | |
Küchenkabinett von einer Fachabteilung der Behörde mitgeteilt, dass das | |
Angebot nicht mehr in das Förderprogramm passe. Deshalb sollte der Verein | |
bis Ende nächsten Jahres eine neue Geldquelle suchen. Eines der Argumente: | |
Die Stadt habe wegen Corona Schulden. | |
Dabei gilt das, was das Werkhaus seit 2013 in der zweiten Etage der alten | |
Schule anbietet, als erfolgreich. Trotz der Einschränkungen der Corona-Zeit | |
werde das Angebot zunehmend angenommen, sagt Corinna Braun, | |
organisatorische Leiterin und Frau für die Zahlen. So gab es in der Zeit | |
von April bis Juni 135 Kontakte zur Zielgruppe, elf von ihnen kamen neu. | |
Etwa die Hälfte nahm an Gruppenangeboten teil. Eine Fahrradwerkstatt, | |
besagte Grünwerkstatt und eine gut ausgestattete Holzwerkstatt gehören | |
dazu, ebenso ein Musikstudio und eine Küche, in der häufig Marmelade mit | |
Früchten von der Hamburger Tafel gekocht wird. „Die anderen kamen zur | |
Beratung, zu Themen wie Wohnen, Schule, Ausbildung, Finanzen, | |
Behördenkontakte, Gesundheit, Drogen bei einigen, Zahnprobleme und | |
rechtliche Geschichten“, so Braun. | |
Ein häufiges Problem sei das Fahren ohne Fahrschein. Deshalb gebe es die | |
Fahrradwerkstatt, in der sich die jungen Leute ein Rad zusammenbauen | |
können, berichtet Braun. „Dann brauchen sie nicht mehr den HVV.“ Der Tag | |
beginnt mit einem Frühstück, das seit Kurzem wieder gemeinsam im Raum | |
eingenommen werden kann. Denn wegen Corona waren auch im Werkhaus Abstand | |
und Maske nötig. | |
Die Besucher können auch Mittagessen, duschen und ihre Wäsche waschen. „Wir | |
bieten einen Raum, wo die Menschen zur Ruhe kommen“, sagt Braun. Ab 15 Uhr | |
gingen viele wieder los, um den Schlafplatz für die Nacht zu suchen. „Wobei | |
wir versuchen, sie in Einrichtungen zu vermitteln.“ Das Angebot ist | |
freiwillig und gilt als niedrigschwellig. „Wir bieten Möglichkeiten für | |
Jugendliche, die sonst nicht erreicht werden“, sagt Braun. | |
Doch die Krux ist die Altersgruppe. Die rund 400.000 Euro, die das Werkhaus | |
für zwei Jahre bekommt, um Miete und Gehalt für 2,5 Stellen zu zahlen, | |
kommen aus dem Etat der [4][„Sozialräumlichen Hilfen und Angebote“, kurz | |
SHA]. Und dieses Programm hat zum Ziel, durch Stadtteilangebote Familien | |
und deren Kinder unter 18 zu stärken. Die Jungerwachsenen gelten dafür als | |
zu alt. „Uns wurde gesagt, wir passen nicht in die Förderstruktur“, sagt | |
Braun. „Weder in die Arbeitsmarktpolitik noch in die Jugendhilfe oder in | |
die Sozialhilfe.“ | |
## Sozialbehörde äußert sich vage | |
Gefragt, ob es zutrifft, dass die Förderung beendet wird, äußert sich die | |
Sozialbehörde etwas vage. Die Gelder aus dem SHA-Topf seien immer auf zwei | |
Jahre befristet, sagt Sprecherin Anja Segert. In diesem Fall ende die | |
Förderung mit Ablauf des Jahres 2022. Segert: „Aktuell prüft die | |
Sozialbehörde alternative Fördermöglichkeiten und steht dazu im Austausch | |
mit dem Träger.“ | |
Günther Westphal berichtet, der Behörde schwebe die Förderung durch eine | |
Stiftung vor. Corinna Braun sagt: „Wir sind optimistisch, dass es eine | |
Lösung gibt. Weil unser Projekt so gut angesehen ist.“ | |
3 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://werkhaus-muenzviertel.de/ | |
[2] /Muenzviertel/!t5203496 | |
[3] https://www.diakonie-hamburg.de/de/visitenkarte/passage-gGmbH-Werkhaus-Muen… | |
[4] https://www.hamburg.de/sozialraeumliche-angebote/3341348/angebote/ | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Münzviertel | |
Obdachlosigkeit | |
Jugendhilfe | |
Hauptbahnhof | |
Obdachlose | |
Obdachlosigkeit in Hamburg | |
Obdachlosigkeit in Hamburg | |
Gentrifizierung | |
Housing First | |
Housing First | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wohnraum für Obdachlose: Hartes Pflaster, weiches Bett | |
Das Hamburger Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ hat eine neue Zentrale. Neben | |
Arbeitsräumen wurden auch Wohnungen für ehemalige Obdachlose geschaffen. | |
Obdachlosigkeit in Hamburg: Menschenverachtender Geiz | |
Der Hamburger Senat gönnt Obdachlosen nicht mal Container. Seit sie geimpft | |
seien, sei das nicht mehr nötig. Das ist eine würdelose Haltung. | |
Viva Con Agua baut Hotel in Hamburg: Gentrifizierung in Kauf genommen | |
Viva Con Agua baut ein Hotel im Hamburger Münzviertel. Der Verein versucht | |
einen Balanceakt zwischen Gemeinnützigkeit und Profit. | |
Wohnraum für Obdachlose: Housing First auf Sparflamme | |
Endlich startet Housing First in Hamburg. Doch das bedingungslose Wohnen | |
soll gerade mal für 30 Haushalte gelten. | |
Wohnraum für Obdachlose in Hamburg: „Immer Partei ergriffen“ | |
Das Bündnis Stadtherz fordert voraussetzungslosen Wohnraum für Obdachlose. | |
Im Münzviertel setzen sich die AnwohnerInnen selbst dafür ein. |