# taz.de -- Zukunft der gesetzlichen Rente: Größeres Stück vom Kuchen | |
> Eine Erhöhung des Rentenalters ist unnötig und ungerecht. Vielmehr | |
> müssten Löhne vom Wirtschaftswachstum profitieren, dann steigen auch die | |
> Renten. | |
Bild: Sollen sie doch Kuchen essen! | |
Pünktlich zum Wahlkampfbeginn kommt das Thema Rente auf den Tisch. Vor | |
leeren Kassen wird gewarnt. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert eine | |
längere Lebensarbeitszeit und beklagt, die gesetzliche Rente stehe vor der | |
Unfinanzierbarkeit. Vor einigen Wochen veröffentlichte zudem der | |
wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums eine Studie, in der | |
die finanzielle Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) | |
infrage gestellt wird. | |
Der Beirat schlägt deshalb eine [1][Anhebung des Renteneintrittsalters auf | |
68 Jahre] vor. Dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) | |
geht auch das nicht weit genug. IW-Ökonomen fordern gar eine Anhebung auf | |
70 Jahre. Aber kann der Lebensunterhalt im Alter tatsächlich nur durch | |
längeres Arbeiten abgesichert werden? | |
Fakt ist, dass wir auch in Zukunft nur das verbrauchen können, was wir auch | |
produzieren. Wenn der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter | |
schrumpft, müssen weniger Menschen die Güter für alle herstellen. Sie | |
versorgen mit ihrer Arbeit aber nicht nur die Rentner, sondern auch die | |
Kinder. Dass der Anteil der Kinder schrumpft, wirkt – entgegen der | |
öffentlichen Wahrnehmung – dem Problem grundsätzlich entgegen. | |
Zudem wächst stetig die Produktivität, also die Güterproduktion pro Person. | |
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner ist die Wertschöpfung | |
heute im Vergleich zu 1957 dreieinhalb Mal so groß. Im | |
gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt gibt es also offenbar gar kein Problem, | |
weiterhin alle Menschen zu versorgen. | |
## Erstmal Produktivität erhöhen | |
Die Digitalisierung sollte auch in Zukunft dafür sorgen, dass die | |
Güterproduktion pro Arbeitnehmer ansteigt, sofern wir die Weichen richtig | |
stellen. Um auch zukünftig eine adäquate Lebenssicherung zu gewährleisten, | |
sollte man daher alles dafür tun, die Produktivität zu erhöhen, bevor man | |
über versteckte Rentenkürzungen diskutiert. Die viel zu geringen | |
staatlichen Investitionen in (digitale) Infrastruktur und Bildung stellen | |
das eigentliche Problem für die Nachhaltigkeit unseres Rentensystems dar. | |
Zugleich wird der Wohlstand trotz demografischer Entwicklung weiter | |
steigen. Allerdings stehen wir vor einem Verteilungsproblem – und das | |
bereits heute: So ist das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt seit 1991 um | |
40 Prozent gestiegen, der durchschnittliche Bruttolohn aber nur um 16 und | |
die Standardrente um mickrige 5 Prozent. Die Mehrheit der Bevölkerung | |
bekommt demnach ein immer kleineres Stück vom stetig wachsenden Kuchen ab. | |
Die schlechte finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung hat | |
also maßgeblich mit der schwachen Lohnentwicklung zu tun. Umgekehrt würden | |
steigende Löhne auch steigende Renteneinzahlungen bedeuten und den Topf der | |
GRV füllen. Zudem kurbeln steigende Löhne die Nachfrage an. Und wenn die | |
Wirtschaft brummt, investieren die Unternehmen, erhöhen damit auch die | |
Gütermenge und steigern die Produktivität. | |
Um das Problem der drohenden Armutsrenten zu erfassen, reicht es aber nicht | |
aus, die durchschnittliche Lohnentwicklung zu betrachten. Denn seit Mitte | |
der Neunziger ist diese sehr ungleich. Menschen, die im Niedriglohnsektor | |
tätig sind, haben preisbereinigt heute häufig weniger Lohn als noch vor 25 | |
Jahren. Sie können daher auch nicht so viel in das Rentensystem einzahlen | |
und müssen mit einer Rente rechnen, die zum Leben nicht reicht. Führt man | |
sich vor Augen, dass Geringverdiener im Durchschnitt eine kürzere | |
Lebenserwartung haben, somit auch weniger Jahre in Rente genießen, ist das | |
besonders perfide. | |
## Hausgemachtes Verteilungsproblem | |
Hier machen sich die Agendareformen der Schröder-Jahre bemerkbar. Wie von | |
Kritikern vorhergesagt, hat die Spreizung der Lohneinkommen durch | |
Einführung des laut Schröder „besten Niedriglohnsektors“ dazu geführt, d… | |
immer mehr Menschen keine ausreichende Rente mehr erhalten. Hinzu kam die | |
Senkung des Rentenniveaus. | |
Das deutsche Verteilungsproblem ist folglich selbst verschuldet. Wären die | |
Löhne ähnlich gestiegen wie das BIP pro Kopf und hätte man das Rentenniveau | |
nicht reduziert, müssten wir heute gar nicht über drohende Altersarmut | |
diskutieren. Es wären auch keine steigenden Beitragssätze notwendig, wenn | |
die Lohnempfänger vom gesamtwirtschaftlichen Fortschritt profitiert hätten. | |
Die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht mehr korrigieren. Würde man | |
ein angemessenes Rentenniveau mittels höherer Einzahlungen herbeiführen | |
wollen, verringerte sich das verfügbare Einkommen der heute Arbeitenden, | |
sofern es keine deutlichen Lohnerhöhungen gäbe. Auf diese Weise ließen sich | |
lediglich Lohn- und Rentenempfänger gegeneinander ausspielen – obwohl beide | |
gleichermaßen zu den Verlierern der vergangenen 40 Jahre gehören. | |
Wollen wir [2][Altersarmut] vermeiden, werden wir in naher Zukunft nicht um | |
stärkere Rentenzuschüsse aus Bundesmitteln herumkommen. Dies sollte aber | |
niemanden beunruhigen. Die hohen staatlichen Defizite nach Finanzkrise und | |
Pandemie zeigen, dass der Fiskus problemlos seine Ausgaben erhöhen kann. | |
Die relevante Frage ist eher, ob wir dann genügend Güter herstellen, die | |
mittels Renteneinkommen gekauft werden. | |
Doch insbesondere steigende Renten der Geringverdienenden können die | |
Wirtschaft ankurbeln und die Produktivität erhöhen. Die Geringverdienenden | |
würden das zusätzliche Einkommen ausgeben. Die steigende Nachfrage sollte | |
dann die Unternehmen zu weiteren Investitionen veranlassen, weil ihnen | |
Profite winken. Genauso würden sich auch höhere Löhne auswirken. Das | |
Kuchenstück der Arbeitgeber wäre dann vielleicht geringer, der Kuchen | |
insgesamt vermutlich aber größer. | |
Und wenn man aufgrund der Schuldenbremse keine weiteren Schulden machen | |
kann, spricht nichts dagegen, gleichzeitig hohe Einkommen und Vermögen zu | |
besteuern. Dann würde man die Ungleichheit sogar doppelt bekämpfen. | |
7 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Maurice Höfgen | |
Michael Paetz | |
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