# taz.de -- Die Kunst der Woche: Welten aus Worten | |
> Bei Efremidis nehmen Willem Oorebeeck und Mitchell Anderson Großmächte in | |
> den Blick, CFA propagiert eine neue Neue Sachlichkeit. | |
Bild: Sophie Reinhold, „Money“ (Ausschnitt), 2020, Öl auf Marmormehl auf … | |
Er irritiert zweifellos, der Slogan, den Willem Oorebeek auf die | |
Fensterscheiben der [1][Galerie Efremidis] appliziert hat: „Free China From | |
Tibet“ ist dort zu lesen, geschrieben (ausgerechnet) in schwarzer Fraktur. | |
„Schmale Anzeige“, der Name der Ausstellung zitiert die Bezeichnung für die | |
gewählte Schriftart, könnte aber auch als Aufforderung verstanden werden – | |
für eine Erweiterung des Blicks und der Aufmerksamkeitsspanne, dafür, der | |
Polarisierung und Reduzierung komplexer politischer Fragestellung auf | |
schlichte Parolen entgegenzusteuern, zum Innehalten und differenzierten | |
Nachdenken. | |
Oorebeck jedenfalls ändert in seiner Interpretation des bekannten, | |
mittlerweile jedoch kaum mehr präsenten Slogans „Free Tibet“ die | |
Blickrichtung, lenkt den Fokus vom kleinen Tibet auf das riesige China und | |
größere Zusammenhänge. Konfliktherde gibt es dort schließlich noch einige | |
mehr. | |
Innen in der Galerie widmet sich derweil Mitchell Anderson der anderen | |
Großmacht, den USA oder genauer gesagt dem Kennedy-Clan samt der Mythen, | |
die diesen umranken. Übergroß auf Leinwand gezogen hat der seit einigen | |
Jahren in der Schweiz lebende US-amerikanische Künstler Anstecker, die zu | |
verschiedenen Zeiten für verschiedene Mitglieder der Familie werben | |
sollten, mit dem Familiennamen wie einer Marke darauf. Vielsagend sind auch | |
die Spielkartenporträts, auf denen Anderson Fotos leicht bekleideter | |
männlicher Kennedy-Sprößlinge gedruckt hat, Paparazzi-Bilder, die diese | |
inszenieren und objektivieren. | |
Mit dem passenden Code, so heißt es, ließe sich die Aneinanderreihung der | |
Karten sogar entschlüsseln, sodass sich literarische Texte zu Ungleichheit, | |
Privilegien, der US-amerikanischen Gesellschaft ergeben. | |
## Figuration, neu aufgelegt | |
Leichter lesen lässt sich das Wort „Money“ auf dem gleichnamigen Gemälde | |
von Sophie Reinhold. Eine Handvoll geisterhafter Wesen tanzt darauf dem | |
Mammon einen Reigen und bilden auf der für die Künstlerin typischen | |
Marmoroberfläche die Buchstaben mit ihren Körpern. Das Bild, in das sich | |
allerlei Kritik an die durchökonomisierte (Kunst-)Welt hineininterpretieren | |
ließe, ist Teil einer Gruppenausstellung bei [2][CFA], die den vielsagenden | |
Titel „Neue Sachlichkeit“ trägt. Parallelen werden da nämlich aufgetan | |
zwischen jener vor 100 Jahren entstandenen Kunstrichtung und der Praxis | |
heutiger mehr oder weniger figurativ arbeitender Malerinnen. | |
Viel war ja bereits 2019 die Rede von den beginnenden neuen Zwanziger | |
Jahren und von möglichen gesellschaftlichen Parallelen zur Weimarer | |
Republik gewesen, nicht nur deswegen erscheint der Vergleich durchaus | |
überzeugend. Im ihrem lesenswerten Essay im Katalog zur Schau stellt Dana | |
Žaja der Flâneuse der 1920er die Scrolleuse der 2020er Jahre entgegen, die | |
nicht nur die urbane Welt erobert, sondern sich ebenso selbstbestimmt durch | |
die digitale bewegt. In der neuen Neuen Sachlichkeit mischt sich folglich | |
Virtualität unter die Faktizität. Den wachen Blick auf die Realität | |
unterwandern die endlosen Weiten der Bilderfluten des WWW. | |
Umso bemerkenswerter erscheint es, dass die in der Gruppenschau vertreten | |
Künstlerinnen eben dieser mit den Mitteln der guten alten Malerei begegnen | |
– und dabei zahllose kunsthistorische, bildgeschichtliche wie popkulturelle | |
Verweise mit in den Hut werfen. So wie Francesca Facciola, die auf „One | |
Trick Pony“ Bildebenen wie Sehnsüchte übereinanderschichtet. Eine Frau im | |
knallroten Latexfetisch-Pferdekostüm streckt dem Publikum das beschweifte | |
Hinterteil entgegen, hinter ihr trabt eine Schar Wildpferde durch eine | |
golden glimmernde Landschaft, die so aussieht, als habe Bob Ross einen | |
Bildschirmhintergrund gestaltet. | |
Die von Ellen Berkenblit auf cartoonartige Weise auf die Leinwand gebrachte | |
Frau scheint indes irgendetwas massiv zu missfallen. Intensiv starrt sie | |
rechts aus dem Bildrand, ihr Mund ist wütend nach oben geschoben. Ist es | |
der vermeintliche Pickel, den sie sich mit den Fingern auszudrücken | |
versucht oder hat sie sich über etwas geärgert, was sie auf Twitter gelesen | |
hat? Rosiger, besser gesagt babyblauer sind die Aussichten, die Emily May | |
Smith per Reißverschluss eröffnet: Die Malerei bleibt verheißungsvoll, wenn | |
sie sich neuen Perspektiven öffnet – „The Studio“ steht auf dem Zipper. | |
6 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://efremidisgallery.com/de/5018-2/ | |
[2] https://cfa-berlin.de/exhibitions/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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