# taz.de -- Corona in Russland: Harte Zeiten für Impfmuffel | |
> In Russland ist die Impfbereitschaft gering. Jetzt droht die Stadt Moskau | |
> Zwangsmaßnahmen an. Wer die Spritze verweigert, riskiert eine Kündigung. | |
Bild: Impfung einer Straßenbauerin in einem Moskauer Einkaufszentrum | |
MOSKAU taz | Anastasia Subrewa meldete sich freiwillig. „So freiwillig man | |
sich eben melden kann in dieser Situation“, sagt die 32-jährige Floristin. | |
Ihr 4-jähriger Sohn zieht sie am Ärmel, sie hält sich den linken Oberarm. | |
Vor ein paar Minuten hat eine Krankenschwester ihr im Impfpavillon des | |
Gorki-Parks im Zentrum der russischen Hauptstadt Moskau eine Spritze | |
gegeben – Sputnik V, erste Dosis. Subrewa hatte lange gezögert. Die | |
Datenlage sei mies, zudem habe der Staat lange so getan, als sei die | |
Pandemie überstanden. Ein trügerisches Gefühl. | |
Denn [1][die Fallzahlen im Land explodieren]. Innerhalb von zwei Wochen | |
haben sich die Zahlen der Neuinfizierten zum Teil verdreifacht. In Moskau | |
erreichten sie vor einigen Tagen den Rekord von mehr als 9.000, seitdem | |
fallen sie ein wenig. 90 Prozent der Fälle gehen offenbar auf die | |
Delta-Variante des Virus zurück, heißt es offiziell. | |
Täglich werden mehr als 1.800 Personen in Kliniken eingeliefert. | |
Krankentransporte stehen dort Schlange. In der Stadt: altbekanntes | |
Laisser-faire. Masken, obwohl Pflicht, werden gern unterm Kinn getragen, an | |
den städtischen Stränden tummeln sich die Massen, die Metro ist überfüllt. | |
Die Führung reagiert derweil hektisch – und hat eine De-facto-Impfpflicht | |
eingeführt. Arbeitgeber*innen in der Gastronomie, in Hotels, | |
Einkaufszentren, Banken, Verkehrsbetrieben, Museen, Theatern und anderen | |
Bereichen müssen dafür sorgen, dass mindestens 60 Prozent ihrer | |
Angestellten geimpft sind. | |
## Unbezahlt freigestellt | |
Weigern sich diese, dürfen sie unbezahlt freigestellt werden. Werden die | |
Vorgaben bis zum 15. Juli nicht erfüllt, haben die Firmen mit | |
Strafzahlungen zu rechnen. „Der Chef stellte uns ein Ultimatum, also habe | |
ich mich zur Verfügung gestellt. Ich will ja meinen Job behalten“, sagt | |
Anastasia Subrewa. | |
Monatelang gab sich Russland als Insel der Glückseligen. Einschränkungen | |
schien es nur woanders auf der Welt zu geben. Das Land feiert die | |
Fußball-EM in Stadien und Fan-Zonen, Restaurants und Bars sind voll. Man | |
habe die Lage im Griff, hieß es. Schließlich habe das Land mit [2][Sputnik | |
V] das erste weltweit registrierte Vakzin. „Der sicherste und wirksamste | |
Impfstoff“, wie Russlands Präsident Wladimir Putin betont. | |
Nur: Viele Russ*innen misstrauen dem Stoff wie auch der Regierung. Die | |
Impfbereitschaft war von Beginn an gering, obwohl gerade in Moskau nahezu | |
an jeder Ecke Impfstationen aufmachten. Mittlerweile hat Russland mit | |
Sputnik V, Sputnik light, EpiVacCorona und CoviVac vier Vakzine zugelassen. | |
Bis heute sind 14 Prozent der Bevölkerung erstgeimpft, in Deutschland sind | |
es mehr als 50 Prozent. | |
Nun greift Zwang – und der Anreiz, Autos und Wohnungen zu gewinnen. Jeder, | |
der sich in den kommenden vier Wochen impfen lässt, nimmt an einer Lotterie | |
teil. Moskau hat an diesem Mittwoch die ersten fünf Renault Logan verlost. | |
„Lächerlich“, sagt Subrewa. „Ich fürchte, dass man ohne Impfung bald ni… | |
mehr machen kann.“ | |
## Kein Zugang zum QR-Code | |
In der Tat: Ab Montag setzt Moskau auf QR-Codes, mit denen Geimpfte, | |
Genesene und PCR-Getestete Restaurants und Cafés besuchen dürfen. Das | |
System hat jedoch Lücken. Migrant*innen können sich nahezu nicht impfen | |
lassen, viele Ausländer*innen, auch solche, die im Land wohnen und geimpft | |
sind, haben grundsätzlich keinen Zugang zum staatlichen digitalen System, | |
das solche Codes generiert. Zunächst sollten selbst Kinder QR-Codes | |
vorzeigen, auch auf Sommerterrassen sollte der Zugang eingeschränkt werden. | |
Auf Druck von Restaurant-Betreiber*innen kippten die Behörden diese | |
Vorgaben nach zwei Tagen. | |
„Die Diskriminierung ist unumgänglich“, teilt der Kreml mit. | |
Besitzer*innen von Restaurants beklagen den „Lockdown, der nicht so | |
heißen darf“. „Anstatt die Restaurants in so einer Lage zu schließen und | |
den Betreibern Staatshilfen zukommen zu lassen, lässt man sie ins Verderben | |
laufen, weil man die Verantwortung allein auf ihren Schultern ruhen lässt“, | |
sagt die Geschäftsfrau Anastasia Tatulowa, die eine Familiencafé-Kette in | |
Moskau betreibt. | |
Vor dem Impfpavillon im Gorki-Park geht es Schlag auf Schlag. Sergei | |
Ljaschin wartet bei 35 Grad die erste halbe Stunde nach der Spritze ab, | |
Nikolai Matrossow hat bürokratische Hürden zu überwinden, weil er nicht aus | |
Moskau ist. Väter kommen mit ihren Söhnen, ältere Frauen mit ihren | |
Freundinnen, Ehepaare tauschen sich darüber aus, welchen Haken sie wo | |
setzen müssten. „Wer ist der nächste?“, fragt die Assistentin. | |
Sie erklärt den Neuankömmlingen die Fragebögen, fragt nach Pass und | |
obligatorischer Krankenversicherung. Eigentlich ist der Pavillon, unweit | |
der Neuen Tretjakow-Galerie, Teil des Programms „Gesundes Moskau“. Hier | |
können sich Moskauer*innen kostenlos checken lassen. Blutwerte testen, | |
die Schilddrüse, die Lungen. | |
Seit dem Ukas des Bürgermeisters Sergei Sobjanin wird hier täglich von 8 | |
bis 22 Uhr nur geimpft. „Ohne die Spritze funktioniert das Leben hier nicht | |
mehr“, sagt Nikolai Matrossow, der lange die Position vertrat: „Mal sehen, | |
wie andere das vertragen.“ Seine Freundin holt nebenan ein Schokoeis. | |
24 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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