| # taz.de -- Alleinerziehende und Kinder: Freibad ist Luxus | |
| > Die Situation für Kinder und Alleinerziehende bleibt miserabel, das | |
| > belegt eine neue Studie. Selbst der kostenlose öffentliche Raum fällt | |
| > weg. | |
| Bild: Das Freibad ausgebucht – in der Krise wird Freizeitgestaltung für Juge… | |
| Es ist ein wortwörtliches Armutszeugnis: Alleinerziehende und ihre Kinder | |
| sind laut einer [1][aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung] besonders | |
| betroffen von finanzieller Armut. Knapp 43 Prozent, also fast jede zweite | |
| Familie, in der es nur ein Elternteil gibt, gilt laut der am Donnerstag | |
| veröffentlichten Studie als einkommensarm. Neben Alleinerziehenden sind vor | |
| allem Familien mit vielen Kindern betroffen. | |
| Es ist nichts Neues, in Deutschland werden Alleinerziehende und Kinder in | |
| Armut vom Staat allein gelassen – daran ändert auch eine weltweite Krise | |
| nichts. Bei 2,8 Millionen Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland von | |
| Armut betroffen sind liegt der Fehler in der strukturellen | |
| Vernachlässigung, im Klein-Klein von Maßnahmen, die immer nur im Ansatz | |
| helfen, aber das Problem nie ganz beheben, während Mieten schneller | |
| steigen, als man „Wohngeldantrag“ sagen kann. | |
| An der Armut ändert auch Arbeit nichts. Zwar ist die Zahl der arbeitenden | |
| Alleinerziehenden seit 2006 gestiegen. Dennoch habe sich die finanzielle | |
| Situation gegenüber Paarfamilien nicht verbessert, heißt es in der Studie: | |
| „Die Einkommensarmutsquote von Alleinerziehenden lag 2019 bei 42,7 | |
| Prozent, die von Paarfamilien mit zwei Kindern bei 11 Prozent.“ | |
| Zwar haben einzelne Maßnahmen wie eine Anpassung des steuerlichen | |
| Entlastungsbetrages und die Befreiung von den Gebühren für einzelne | |
| Kindergartenjahre dazu beigetragen, dass Alleinerziehende entlastet werden | |
| – doch sind Alleinerziehende laut der Studie immer noch überproportional | |
| oft auf eine Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen. | |
| ## Ein Blick in die Zukunft | |
| Und auch der Blick in die Zukunft lässt nichts Gutes erahnen: | |
| „Alleinerziehende erzielen durchschnittlich lediglich zwei Drittel des | |
| Bruttoverdienstes aller Erwerbstätigen. Dieser Rückstand soll sich nach | |
| Prognosen bis 2025 noch verstärken, was an der Branchenstruktur, in der | |
| alleinerziehende Mütter vermehrt beschäftigt sind, und ihren wegen der | |
| Fürsorgeverantwortung geringeren Arbeitszeiten begründet liegt.“ | |
| Die Bertelsmann Stiftung veröffentlichte zur Studie [2][ein Video], in dem | |
| neben den Fakten auch persönliche Geschichten von (ehemals) | |
| armutsbetroffenen Kindern eingeblendet werden. Darin heißt es: „Ich habe | |
| aufgehört, sie zu fragen, ob ich mit Mitschülern ins Kino kann. Kino ist | |
| Luxus.“ | |
| Wohin also, wenn das Kino Luxus ist? Vor der Pandemie wichen Eltern mit | |
| ihren Kindern in Parks, Seen und Freibäder aus. Öffentliche Räume, die | |
| entweder kostenlos oder niedrigschwellig zu erreichen sind und Familien, | |
| Kindern und Jugendlichen Entlastungen boten. | |
| Zu Shutdownzeiten waren diese Orte zeitweise geschlossen, und auch jetzt | |
| ist der Zugang mit allerlei Hürden verbunden: Tickets fürs Freibad müssen | |
| vorgebucht werden und sind rar gesät, in Berlin sind sie innerhalb des | |
| Rings meistens schon nach wenigen Minuten ausverkauft. Der Aufenthalt im | |
| Park ist für Jugendliche und junge Erwachsene schwieriger geworden. Sich | |
| ständig aktualisierende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie führen dazu, | |
| dass kaum wer weiß, was gerade erlaubt ist: Ist ein Treffen zu fünft | |
| erlaubt? Darf man Alkohol trinken? Nach 22 Uhr vor die Tür? [3][Kurzerhand | |
| feiern manche Jugendliche illegal], die Polizei [4][räumt regelmäßig | |
| Parks], in denen nachts getanzt wird. | |
| ## Einzelne Maßnahmen | |
| Nun wird über Einzelmaßnahmen diskutiert, die Familien entlasten sollen: In | |
| Bayern wird Grundschüler:innen ein Jahr lang der Beitrag für einen | |
| gemeinnützigen Sportverein finanziert und das „Seepferdchen“ kostenlos | |
| spendiert. Doch auch hier gibt es Kritik: Der Präsident des Deutschen | |
| Schwimmlehrerverbands sagte der dpa, dass Gutscheine für | |
| „Seepferdchen“-Schwimmkurse erst dann sinnvoll seien, [5][wenn man Kinder | |
| ab 3 Jahren zuvor ans Wasser gewöhne]. | |
| Auch in Hessen wird über derartige Maßnahmen nachgedacht. Die hessische | |
| Linksfraktion forderte unter dem Motto „SOS – Seepferdchen in Not“, | |
| [6][Kindern und Jugendlichen kostenlosen Eintritt im Freibad zu | |
| ermöglichen]. In Berlin wird das derweil [7][einfach umgesetzt]. Abgesehen | |
| von der länderweiten Freibadpolitik: Wie kann es sein, dass Maßnahmen wie | |
| diese Ländersache sind? Dass es Glückssache ist, inwiefern alleinerziehende | |
| Mütter entlastet werden – je nachdem, ob sie in Berlin, München oder | |
| Hamburg leben? | |
| Und selbst dort, wo der Freizeitbesuch kostenlos ist, ist es schwierig, ein | |
| Ticket zu ergattern. Baden am See ist hier nur noch bedingt eine | |
| Alternative, weil viele Kinder durch die pandemiebedingten Maßnahmen nicht | |
| schwimmen lernen konnten, viele Seen nur mit dem Auto erreichbar oder | |
| vollkommen überfüllt sind. | |
| Bleibt der Park als kostengünstige Alternative. Zwar dürfen Kinder | |
| Spielplätze wieder nutzen und können schaukeln und rutschen. Aber blickt | |
| man auf andere Altersgruppen, sieht es düster aus: Jugendliche und junge | |
| Erwachsene haben es zurzeit schwer, einen geeigneten Ort für ihre | |
| Feierlaune zu finden. | |
| ## Feiern mit geeigneten Hygienemaßnahmen | |
| Zwar sind Freiluftveranstaltungen für bis zu 1.000 Menschen erlaubt, doch | |
| gilt in Städten wie Berlin und Hamburg ein Alkoholverbot im öffentlichen | |
| Raum. Oftmals erobern sie sich den Raum zurück, immer wieder muss die | |
| Polizei Partys in Parks auflösen. Deshalb wird nun darüber nachgedacht, | |
| einzelne Flächen als „legale Partyflächen“ zu nutzen, wie das [8][Vorfeld | |
| des Tempelhofer Felds]. | |
| All das sind nur einzelne kleine Stellschrauben, die jedoch nichts | |
| strukturell verändern werden. Es bräuchte Maßnahmen auf Bundesebene, die | |
| dazu führen, dass Kinder in Armut nicht bloß kostenlosen Zugang zum Freibad | |
| haben, sondern auch an anderen kulturellen und sozialen Orten teilhaben | |
| können: [9][Die Bertelsmann Stiftung fordert eine finanzielle | |
| Grundsicherung für alle Kinder], gerechten Zugang zum gesellschaftlichen | |
| Leben und eine Politik, die Kindern und Jugendlichen zuhört, weil diese am | |
| besten wissen, was sie brauchen. | |
| Und für den Moment bräuchte es klar definierte Auflagen, die Feiern mit | |
| geeigneten Hygienemaßnahmen ermöglichen – denn feiern werden junge | |
| Erwachsene sowieso. | |
| Es mangelt am öffentlichen Raum, den jede:r nutzen kann – egal wie reich | |
| oder arm. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden weiterhin vom | |
| Staat alleingelassen. Fast so, als würde das Bundesministerium für Familie, | |
| Senioren, Frauen und Jugend nur nebenbei geführt werden. | |
| 16 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bi… | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=4a3oZuDQf0U&t=4s | |
| [3] /Alkoholverbote-in-Parks/!5780783 | |
| [4] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/polizei-corona-hamburg-party-stadtp… | |
| [5] https://www.welt.de/regionales/bayern/article232268583/Verband-Gutschein-fu… | |
| [6] https://www.zeit.de/news/2021-07/08/linksfraktion-fuer-freien-eintritt-fuer… | |
| [7] https://www.berlin.de/aktuelles/berlin/6698368-958092-760-000-euro-fuer-kos… | |
| [8] https://www.tagesspiegel.de/berlin/riesige-gruppen-illegale-partys-sollen-b… | |
| [9] https://www.stopptkinderarmut.org/ueber | |
| ## AUTOREN | |
| Nicole Opitz | |
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