| # taz.de -- Serie „Paris Police 1900“ auf Sky: Babylon Paris | |
| > Die französische Serie „Paris Police 1900“ entfaltet ein breites | |
| > historisches Panorama. Und sie kommt einem irgendwie bekannt vor. | |
| Bild: Sorgsam ausgestattet, naturalistisch, düster: Paris Police 1900 | |
| Der Titel ist schon mal ein klitzekleiner Etikettenschwindel. Geht es doch | |
| los mit einer deftigen Szene, in der sich ein Mann über den degradierten | |
| und verbannten Hauptmann Alfred Dreyfus empört. Der hätte, nachdem er zu | |
| Unrecht der Spionage für Deutschland beschuldigt worden war, noch nicht | |
| einmal die Größe gehabt, in der Strafkolonie zu sterben! Sondern wolle nun | |
| zu seinem Revisionsverfahren nach Frankreich zurückkehren! Wirklich | |
| unfassbar! | |
| Dabei soll den Mann der Blowjob, den er gerade empfängt, doch aufgeilen | |
| und nicht aufregen. Zu spät. Das kommt davon. Schon ist es um den Mann | |
| geschehen, bei dem es sich, wie der Zuschauer bald erfährt, um keinen | |
| Geringeren handelt … handelte, als um Félix Faure, den siebten Präsidenten | |
| Frankreichs. | |
| Der also, wenn man den Bildern Glauben schenken soll, weniger in den Armen, | |
| wie es gemeinhin formuliert wird, als im Mund seiner Mätresse starb. Und | |
| zwar am 16. Februar 1899. Dem Tag, an dem also die Handlung der Serie | |
| „Paris Police 1900“ einsetzt. | |
| Aber was ist schon ein Jahr, würde vielleicht jener Dreyfus sagen, der | |
| immerhin vier Jahre seines Lebens auf der ungemütlichen Teufelsinsel vor | |
| Französisch-Guayana hat verplempern müssen. Unschuldig, wie gesagt. [1][Die | |
| Dreyfus-Affäre] hat damals die Dritte Französische Republik erschüttert und | |
| ist bis heute – etwa in mindestens elf Verfilmungen, zuletzt Polańskis | |
| „J’accuse“ – so präsent, dass sie sogar hierzulande Leuten ein Begriff… | |
| ## Das Blut fließt in Strömen | |
| Was man von Marguerite Steinheil (Evelyne Brochu) vielleicht nicht sagen | |
| kann. So hieß nämlich die Mätresse. Oder von Jeanne Chauvin (Eugénie | |
| Derouand), der ersten Frau, die (1901) als Anwältin vor einem französischen | |
| Gericht plädierte. | |
| Oder von Louis Lépine (Marc Barbé), der als Präfekt die Pariser Polizei | |
| modernisiert hat, unter anderem durch die Ausstattung mit Telefonen und | |
| Fahrrädern. Oder von Jules Guérin (Hubert Delattre), dem Gründer der Ligue | |
| antisémitique de France und notorischen Hetzer gegen Alfred Dreyfus, der ja | |
| nicht nur Elsässer war, sondern noch dazu Jude. | |
| In der Serie sieht das etwa so aus, dass Guérin einen Verkäufer der Zeitung | |
| „L’Aurore“ – in der Émile Zolas Text „J’accuse…!“ zur Verteidi… | |
| erschienen war – übel zusammenschlägt und seinen Kiosk anzündet. Und dass | |
| er einem kleinen Ferkel in Dreyfus-Uniform vor seiner in einem Theatersaal | |
| versammelten Anhängerschaft die Kehle durchschneidet. | |
| Überhaupt fließt in „Paris Police 1900“ das Blut in Strömen. Da wird in | |
| einem Koffer in der Seine eine Frauenleiche gefunden – so fachgerecht | |
| zerlegt, dass man bei der Polizei bald auf einen Schlachter als Täter | |
| schließt. Und so ein Schlachthof ist ja auch wieder ein deftiges Setting, | |
| die Armen der Stadt, wie sie ihre Tassen hinhalten … Unter einer Blutspende | |
| hat man damals offenbar noch etwas anderes verstanden, als das heute der | |
| Fall ist. | |
| ## Um Naturalismus bemüht | |
| Ein um viel Naturalismus in der Darstellung bemühtes breites historisches | |
| Panorama aus den politisch bewegten wie gesellschaftlich exzessiven Jahren | |
| vor dem großen Krieg – der in Frankreich als „La Grande Guerre“ freilich | |
| der Erste Weltkrieg ist. Ein aus fiktiven und (fiktionalisierten) realen | |
| Personen zusammengemischtes Ensemble. Ein wackerer, zunächst noch etwas | |
| unbedarfter junger Polizist (Jérémie Laheurte) im Mittelpunkt, der | |
| gleichzeitig gegen Mörder ermitteln und einen rechten Staatsstreich gegen | |
| die junge Republik verhindern und nebenbei noch mit seinem maximal | |
| emanzipierten love interest (Jeanne Chauvin, jener ersten Anwältin) | |
| anbandeln muss. | |
| Ein kolportiertes Budget von zwei Millionen Euro pro Folge. Gedreht in der | |
| authentischen Landessprache und nicht in verschämt sich einem | |
| internationalen Publikum, auf das man natürlich trotzdem spekuliert, | |
| anbiederndem Englisch – wie noch „Versailles“, die letzte ähnlich | |
| kostspielige Canal+-Prestigeserie. | |
| Déjà-vu, sagt der Frankophile – der Berliner: Nachtigall, ick hör dir | |
| trapsen. Ein Schelm nämlich, wer da nicht denkt, der Serienschöpfer (und | |
| gelernte Graphic-Novel-Szenarist) Fabien Nury habe sich von [2][„Babylon | |
| Berlin“,] nun ja: inspirieren lassen. Was nicht heißt, dass „Paris Police | |
| 1900“ ein Abklatsch wäre – billig sowieso nicht, siehe oben. | |
| 15 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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