# taz.de -- Massive Lieferengpässe in China: Schiffstau mit Rattenschwanz | |
> Ein Covid-Ausbruch an einem chinesischen Hafen sorgt für eine Disruption | |
> globaler Lieferketten. Die Folgen könnte man noch an Weihnachten merken. | |
Bild: Ein Corona-Ausbruch hat den Hafen von Yantian stillgelegt | |
PEKING taz | Nicht ohne Grund wurde das südchinesische Perlflussdelta noch | |
bis vor kurzem als „Werkbank der Welt“ bezeichnet. Und auch wenn die | |
einstigen Textilfabriken längst elektronischen Hardwarefirmen gewichen | |
sind, ist die umliegende Provinz Guangdong mit Warenlieferungen im Wert von | |
über 700 Milliarden Dollar die mit Abstand exportstärkste innerhalb der | |
gesamten Volksrepublik. | |
Doch in Zeiten von Covid ist die Metropolregion auch die Achillesferse für | |
globale Lieferketten. Im Mai entdeckten die örtlichen Gesundheitsbehörden | |
rund um den Yantian-Hafen in Shenzhen den ersten Fall der gefürchteten | |
Deltavariante, wenig später wurden 15 weitere asymptomatisch Infizierte | |
entdeckt. In den meisten Ländern der Welt wären solche Zahlen wohl nicht | |
weiter besorgniserregend, doch die Volksrepublik China fährt trotz | |
fortgeschrittener Impfkampagne nach wie vor eine strikte | |
Zero-Covid-Strategie. | |
Dementsprechend drastisch fielen die epidemiologischen Maßnahmen der | |
Behörden am Hafen von Yantian aus: Sämtliche Hafenarbeiter wurden in | |
staatlich organisierte Quarantäne-Unterkünfte geschickt und über 230.000 | |
Menschen im Einzugsgebiet des Hafens umgehend auf das Virus getestet. Fast | |
eine Woche war der nach Singapur und Schanghai größte Containerhafen der | |
Welt komplett stillgelegt, ehe der Betrieb Schritt für Schritt wieder | |
aufgenommen wurde. | |
Diese kurze Pause reichte jedoch aus, um die bisher größte Unterbrechung | |
globaler Lieferketten zu erzeugen. Vincent Clerc, Manager der Reederei | |
Maersk, sprach in einem Pressegespräch Mitte Juni bereits von schlimmeren | |
Folgen als bei der [1][Blockade des Suezkanals im März]. | |
## Massiv gestiegene Frachtpreise | |
Auf der Höhe der Coronamaßnahmen in Yantian mussten sämtliche Frachter bis | |
zu 16 Tage warten, allein um am Hafen anlegen zu dürfen. Vor den | |
Hafengewässern bildete sich zeitweise ein Stau von über 130 | |
Container-Schiffen, die vor allem auf Ladungen an Elektronikwaren warteten | |
– also ausgerechnet jene Produkte, die seit den globalen Lockdowns von | |
Konsumenten verstärkt nachgefragt werden. Noch einen Monat nach Einführung | |
der ersten Auflagen lag der Betrieb erst bei rund 70 Prozent, seit Anfang | |
Juli spricht Maersk von einer „Produktivität auf 85 Prozent des | |
Normalniveaus“. | |
Die weitreichenden Folgen lassen sich ganz unmittelbar an den massiv | |
gestiegenen Frachtpreisen ablesen, die laut Jörg Wuttke, Präsident der | |
europäischen Handelskammer in Peking, so hoch wie noch nie seien. Die | |
weltweite Verschiffung eines handelsüblichen 40-Fuß-Containers kostet | |
derzeit knapp 8.800 Dollar, wie aus dem Preisindex der Londoner Drewry | |
Shipping Consultants hervorgeht. Die Route Schanghai–Rotterdam liegt | |
derzeit sogar bei historischen 12.795 Dollar pro Container. | |
Noch besorgniserregender als die absoluten Preise ist die Geschwindigkeit | |
des Anstiegs, der derzeit bei über fünf Prozent pro Woche liegt. Im | |
Jahresvergleich sind etwa die Frachtkosten für die Route von Schanghai nach | |
Rotterdam um nahezu 600 Prozent gestiegen. Zudem haben sich die | |
Lieferzeiten seither verdoppelt, wie es in einer Stellungnahme des | |
US-amerikanischen Speditionsunternehmens Flexport heißt. Die Route | |
Schanghai–Chicago, die zu vorpandemischen Zeiten nur etwa 35 Tage dauerte, | |
beansprucht mittlerweile 74 Tage. | |
## Eindeutige Lehren für die Logistik-Branche gibt es nicht | |
An einzelnen Unterbrechungen hängt in der Logistikbranche stets ein | |
riesiger Rattenschwanz. Der aktuelle Stau könnte noch über Monate zu spüren | |
sein – möglicherweise noch bis zur Weihnachtssaison. Zunächst fehlte es an | |
Speicherplätzen, um die aufgestauten Waren im Hafengelände zu lagern. Dies | |
wiederum hat die Produktionspläne in den Fabriken beeinflusst. | |
Es gibt keine eindeutige Lehre, die Unternehmen aus dem Fiasko ziehen | |
können. Vielmehr stehen sie vor einem Dilemma: Diversifizierungen in den | |
Lieferketten würden zwar das Risiko streuen, sind jedoch extrem | |
kostspielig. | |
Ähnliche Vorfälle können sich aber jederzeit wiederholen. Von der | |
Strategieberatung „Trivium“ heißt es, dass das Beispiel Yantian „die Vor- | |
und Nachteile von Chinas aggressiver Eindämmung von Covid“ aufzeige. | |
Einerseits hat die Staatsführung in Peking das Alltagsleben der Leute | |
innerhalb der Landesgrenzen längst normalisiert. | |
Dennoch können selbst geringfügige Ausbrüche diesen fragilen Normalzustand | |
wieder zunichtemachen. Insofern würde ausgerechnet die [2][radikale „Zero | |
Covid“-Strategie] „die vollständige wirtschaftliche Wiedereröffnung des | |
Landes behindern“. | |
In Yantian versuchen die Behörden nun mit erhöhter Alarmbereitschaft eine | |
weitere Stilllegung zu vermeiden. Lastwagenfahrer, die aus anderen | |
Provinzen anreisen, müssen grundsätzlich einen negativen Covid-Test | |
vorweisen und im Zweifelsfall sich 48 Stunden lang isolieren, auf das | |
Testergebnis zu warten. Zudem leben die Hafenarbeiter statt bei ihren | |
Familien nun hauptsächlich in 216 provisorischen Unterkünften, die in den | |
letzten Wochen unter Eile errichtet wurden | |
In der örtlichen Shenzhen Daily heißt es in der üblich blumigen Sprache der | |
chinesischen Staatsmedien: „Alle Mitarbeiter von Yantian haben sich | |
zusammengeschlossen, um gegen die Pandemie zu kämpfen und ihren Teil zur | |
Wiederherstellung des Normalbetriebs beizutragen“. | |
11 Jul 2021 | |
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[1] /Schwindende-Bedeutung-des-Suezkanals/!5758327 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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