# taz.de -- Umgang mit Fehlgeburten: Sonnenhut für zwei kleine Köpfe | |
> Nach einer Fehlgeburt bleibt einem nur die Trauer. Selbst wenn man sich | |
> wieder über ein Baby freuen darf, geht sie nie ganz weg. | |
Bild: Vielleicht dürfen Trauer und Freude nebeneinander existieren | |
Der kleine Sonnenhut passt nicht mehr auf Babys Dickschädel. Und ich bin | |
erleichtert. Denn eigentlich war der für ein anderes Baby gedacht und jedes | |
Mal, wenn ich diese Mütze ansehe, sticht es zwischen Herz und Bauch. Nicht | |
fatal, keine klaffende Messerwunde, aber so Nadelstiche. Kleine, spitze | |
Trauerstiche. | |
Es war November 2019, klirrend kalt draußen, und in Vorfreude auf mein | |
Junibaby hab ich diese kleine türkisfarbige Schirmkappe gekauft. Ich hielt | |
mich noch für klug, weil: Ha, ein Schnäppchen! Ich will mich aber gar nicht | |
naiv nennen. Es gibt diese 12-Wochen-Grenze, vor der man zwar schwanger | |
sein, aber nicht laut darüber reden, nicht zu fest daran denken soll. Doch | |
ich denke, diese Grenze soll vor allem andere schützen. Es ist im Grunde | |
Aberglauben. Nicht über eine Schwangerschaft zu sprechen, schützt nicht vor | |
einer Fehlgeburt. Wer auch darüber nicht spricht, bleibt vor allem alleine | |
mit seiner Trauer. | |
„Fehlgeburt“ – was das schon für ein Wort ist. Wer hat denn hier einen | |
Fehler gemacht? Wenn ein Embryo, ein Fötus, nicht weiterwächst, sich kein | |
Herzschlag entwickelt, dann weiß man sehr oft gar nicht woran es lag. Die | |
laienhafte Suche nach einem Grund, nach dem „Fehler“, macht es für | |
Betroffene oft nur noch schlimmer. Ärzt:innen sprechen ab drei oder mehr | |
Fehlgeburten vom sogenannten habituellen Abort, meist werden erst dann | |
weitere Untersuchungen angestellt. | |
Dennoch fragen sich Betroffene: Hab ich etwas falsch gemacht? Etwas | |
Falsches gegessen? Oder – und das hat jede Frau, die Probleme hatte, | |
schwanger zu werden oder zu bleiben, schon mal gehört – ist es der Stress? | |
„Du arbeitest zu viel“, wird einem dann vorgeworfen. Ja, so schnell kann | |
man gar nicht schauen, ist man schon wieder selber schuld. Ein Wink, sich | |
zu entscheiden: Karriere oder Familie, beides darfst du nicht haben. Wer | |
sich laut über die Schwangerschaft gefreut hat, hört dann auch noch: „Du | |
hättest es nicht so früh erzählen sollen.“ Misogynie pur. Denn ja, wer | |
versucht schwanger zu werden, hat gemeinhin weniger berufliche Chancen, | |
sobald das bekannt wird. Doch das ist ein Missstand, der auf politischer | |
Ebene gelöst werden muss und nicht mit einem Schweigegelübde. | |
## Beides ist wahr | |
Als ich den Sonnenhut Mitte Dezember 2019 in eine Schublade lege, kann ich | |
vor Trauer kaum sein. Im folgenden Juli weiß ich an einem sonnigen | |
Dienstagmorgen, dass nun wieder ein Baby unterwegs ist. Es dauert lange, | |
bis ich mich freuen kann. | |
Heute sehe ich dieses Baby oft an und denke an einen Satz, den ich nach der | |
Fehlgeburt auch gehört habe: „Vielleicht war es besser so.“ Nichts hat mich | |
so wütend gemacht wie dieser Satz. Ich hätte alles getan für einen | |
Herzschlag. Heute hadere ich manchmal mit mir, weil ich dieses Baby hier | |
nicht missen möchte. Und doch hätte ich das andere so gerne kennengelernt. | |
Aber vielleicht darf beides wahr sein. Vielleicht dürfen Trauer und Freude | |
nebeneinander existieren. | |
6 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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