# taz.de -- Das Gefühlskarussell von Kindern: Nimm mich jetzt in den Arm | |
> Kleine Kinder sind zornig, sie brüllen und sie fragen einem Löcher in den | |
> Bauch. Aber wer ist schon perfekt? | |
Bild: Schreien gehört auch mal dazu – genauso wie Knuddeln und Verzeihen | |
Der Dreijährige, der bald vier wird, ist sehr harmoniebedürftig. Das hat er | |
von mir. Mir fallen jetzt prompt zehn Leute ein, die an dieser Stelle laut | |
auflachen werden. Doch wer mich kennt, weiß das. | |
Der Dreijährige, der bald vier wird, wird furchtbar wütend, wenn man ihm | |
Unrecht tut. Wenn er sich ertappt fühlt auch. Dann brüllt er rum, droht, er | |
würde einen aus seinem Leben streichen und es schießen ihm die Tränen in | |
die Augen. Manchmal kommt er dann ein paar Minuten später an und sagt | |
kleinlaut: „Tut mir leid, Mami“. Auch das hat er von mir. Das arme Kind. | |
Dann wird geknuddelt und verziehen. | |
Er mag es gar nicht, wenn wir mit ihm schimpfen. Wenn er mit dreckigen | |
Schuhen durch die Wohnung flitzt. Mit Sandkastenklamotten in mein Bett | |
springt. Da bin ich empfindlich. Der Straßendreck wird hier an der Tür | |
gelassen. [1][Wenn ich ihn dann zurechtweise,] dann sagt er mir hinterher | |
sehr bestimmt: „Vertrag dich!“ Was soviel heißt, wie: „Ja, ich hab was | |
gemacht, von dem ich weiß, dass ich es nicht tun soll. Aber bitte nimm mich | |
jetzt in den Arm.“ Dann wird geknuddelt und verziehen. Das nächste Mal | |
machen wir es beide besser. | |
Wenn ich ihn ins Bett bringe, sprudeln manchmal Dinge aus ihm raus, die ihn | |
beschäftigen. Wann er wieder Zug fahren darf. Dass sein Freund ihn | |
angebrüllt hat, als er ihm die Schaufel nicht geben wollte. Dass das neue | |
Kind in der Kita anders genannt wird als es heißt, weil die Kinder den | |
chinesischen Namen nicht aussprechen können – und, dass er es aber geübt | |
hat. Er sagt den Namen 25 Mal und ist stolz auf sich. Aber nicht so sehr | |
wie ich es bin. Er sagt dann oft, dass er seinen Opa vermisst, der ein Land | |
weiter wohnt. Manchmal sprudeln dann Emotionen hinterher. Es wird nochmal | |
geweint, geknuddelt, der Welt verziehen. | |
Der Dreijährige, der bald vier wird, will immer alles genau wissen. Ich | |
erkläre ihm, so viel ich kann. Manchmal kann ich aber nicht mehr und wenn | |
er abends fragt: „Mama, wenn ein großer Stein auf die Erde fliegt, sterben | |
dann alle Menschen gleichzeitig?“ dann sage ich nur: „Kommt darauf an, wie | |
groß der Stein ist“. Er guckt mich dann prüfend an, lächelt und lässt es | |
gut sein mit den Fragen. | |
Manchmal will er, dass ich ruhig bin. „Ich rede jetzt!“, sagt er dann. Und | |
ich höre zu. [2][Manchmal macht es mich wahnsinnig,] dass ich nur jeden | |
zehnten Satz zu Ende sprechen kann, seit er da ist. Dass meine Gedanken wie | |
Springmäuse durch meinen Kopf flitzen und meine Kreativität nur noch ein | |
Gerücht ist. | |
Manchmal sehe ich ihn an, den Dreijährigen, der bald vier wird, und werde | |
ganz traurig. Weil ich weiß, dass er nicht immer so nah bei mir sein wird. | |
Ich hoffe, dass wir auch dann noch nach Harmonie streben, einander zuhören | |
und Fragen stellen. Dass er mir erzählt, wenn ihn etwas bedrückt. Dass er | |
Dinge übt, die er noch nicht kann. Dass er nie in ein anderes Land zieht. | |
Und vor allem, dass wir uns immer verzeihen können. | |
22 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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