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# taz.de -- Parlamentswahl in Armenien: Zweite Chance für Paschinjan
> Die erste Wahl seit der militärischen Niederlage gegen Aserbaidschan
> vorbei. Paschinjans Partei wird erneut stärkste Kraft.
Bild: Nikol Pashinyan nach dem Gewinn der Parlamentswahlen in Eriwan am Montag
Jerewan taz | „Man sollte dich lebendig begraben, du Türkensohn“, brüllt
eine Putzfrau und schlägt mit ihrem Besen auf ein Wahlplakat in einem
Glaskasten ein. Darauf ist Premierminister Nikol Paschinjan abgebildet.
Seit dem frühen Montag morgen reinigen Frauen die Fußgängerzone im Zentrum
der armenischen Hauptstadt Jerewan. Sie habe gehofft, in einem neuen
Armenien aufzuwachen, „ohne Nikol, der das Vaterland an die Türken und
Aserbaidschaner verkauft hat“, flucht die Putzfrau.
Doch daraus wird wohl nichts. Laut den vorläufigen Endergebnissen hat
Paschinjan mit seiner Partei Zivilvertrag [1][bei der vorgezogenen
Parlamentswahl] am Sonntag 53,92 Prozent der Stimmen erhalten. Robert
Kotscharjan, Paschinjans wichtigster Widersacher und von 1998 bis 2008
zweiter Präsident Armeniens, kam mit seinem Bündnis Armenien mit 21,04
Prozent auf den zweiten Platz. Als dritte Kraft zieht das Bündnis Ich habe
Ehre mit 5,23 Prozent der Stimmen in die Nationalversammlung ein. Das
Bündnis, für das der ehemalige Präsident Serge Sargsjan Wahlkampf gemacht
hatte, erreichte 5,23 Prozent der Stimmen.
Insgesamt hatten sich 25 Parteien bzw. Blöcke um einen Sitz in der
Nationalversammlung beworben. Für Parteien gilt eine Fünfprozenthürde,
Blöcke müssen mindestens sieben Prozent erreichen, um bei der
Mandatsverteilung berücksichtigt zu werden. Das Wahlgesetz sieht jedoch
vor, dass mindestens drei politische Kräfte im Parlament vertreten sein
müssen. Die Wahlbeteiligung lag bei 49,4 Prozent (48,63 Prozent 2018).
Die vorgezogene Wahl war nötig geworden, nachdem [2][der jüngste Krieg
zwischen den Südkaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan um die Region
Bergkarabach] im vergangenen Herbst Armenien in eine tiefe politische Krise
gestürzt hatte. Ein Waffenstillstandsabkommen vom 9. November 2020, das
unter russischer Vermittlung zustande gekommen war, schreibt für Armenien
bedeutende Gebietsverluste fest. In der Folgezeit hatten immer wieder
Tausende den Rücktritt des „Verräters“ Paschinjan, der 2018 im Zuge der
samtenen Revolution an die Macht gekommen war, gefordert.
## Stromausfall bei der Auszählung
Die Wahl am Sonntag verlief nicht reibungslos. Mehrfach kam es zu
Zusammenstößen zwischen Anhängern verschiedener Parteien und vereinzelten
Schießereien in der Nähe von Wahllokalen. Bei der Auszählung der Stimmen
fiel vor allem in vielen Regionen im Norden am Sonntagabend plötzlich der
Strom aus. Journalisten filmten, wie fremde Personen in Zivil einige
Wahllokale betraten und versuchten, Druck auf die Wahlkommissionen
auszuüben. Beobachter der OSZE bezeichneten die Wahl als demokratisch.
Robert Kotscharjan sprach hingegen von Wahlbetrug und kündigte an, das
Ergebnis nicht anerkennen zu wollen. Besonders er war für Paschinjan
bereits im Wahlkampf ein bevorzugtes Angriffsziel gewesen. Mehrmals hatte
Paschinjan gesagt, dass die samtenen Zeiten vorbei seien und angedeutet,
dass er eine härtere Gangart gegenüber seinen Gegnern einschlagen wolle. Am
vergangenen Freitag hatte er vor seinen Anhänger*innen einen Hammer in
die Höhe gehalten.
Arman Tatojan, Menschenrechtler und Ombudsmann Armeniens, ist alarmiert.
„Diese Art der Machtdemonstration von Paschinjan, verbunden mit seiner
hasserfüllten Rhetorik, ist ein gefährliches Phänomen“, sagte er.
Für Montagabend hat Paschinjan zur einer weiteren Demonstration auf dem
zentralen Republikplatz in Jerewan aufgerufen. Dort solle die Übergabe des
„stahlharten“ Regierungsmandats gebührend gefeiert werden.
21 Jun 2021
## LINKS
[1] /Vor-der-Parlamentswahl-in-Armenien/!5776941
[2] /Militaerparade-in-Aserbaidschan/!5730525
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Armenien
Schwerpunkt Bergkarabach
Nikol Paschinjan
Samtene Revolution
Aserbaidschan
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